Abtheilung VIII.
Über Freiheit und Notwendigkeit.
Abschnitt II.
Nichts ist in Streitfällen gebräuchlicher und doch tadelnswerter als der Versuch, eine Behauptung dadurch zu widerlegen, dass man sagt, sie sei von gefährlichen Folgen für Religion und Moral. Führt eine Behauptung auf Ungereimtheiten, so ist sie sicherlich falsch; aber sie ist es keineswegs wegen ihrer gefährlichen Folgen. Solche Wendungen sollte man daher ganz vermeiden; sie führen nicht zur Entdeckung der Wahrheit, sondern machen nur die Person des Gegners verhasst. Ich führe dies nur im Allgemeinen an, ohne einen Vorteil davon ziehn zu wollen. Ich unterwerfe mich offen einer solchen Prüfung und wage dreist zu behaupten, dass die oben dargelegten Sätze über Notwendigkeit und Freiheit sich nicht allein mit der Moral vertragen, sondern eine wesentliche Stütze derselben bilden.
Die Notwendigkeit kann auf zwei Arten definirt werden, nach den zwei Definitionen der Ursache, von der sie einen wesentlichen Bestandteil bildet. Sie besteht entweder in einer beständigen Verbindung gleicher Dinge oder in dem Verstandesschluss von dem einen auf das andere. Nun hat man allgemein, wenn auch schweigend, in den Schulen, auf der Kanzel und im Leben anerkannt, dass die Notwendigkeit in beiderlei Sinn (im Grunde ist es nur einer) im Wollen des Menschen besteht, und Niemand hat bis jetzt geleugnet, dass man Schlüsse aus menschlichen Handlungen ziehn kann, und dass diese Schlüsse sich auf die Verbindung stützen, welche zwischen denselben Handlungen und denselben Beweggründen, Neigungen und Umständen wahrgenommen wird. Der einzige Punkt, worüber man verschiedener Meinung sein kann, ist entweder, dass man sich nicht entschliessen mag, dieser Eigenschaft des menschlichen Handelns den Namen: Notwendigkeit zu geben; so lange indess, als man im Sinne einig ist, kann das Wort keinen Schaden tun; oder dass man meint, noch etwas Weiteres in der Wirksamkeit der Körper entdecken zu können. Welche Folge dies nun auch auf Naturphilosophie und Metaphysik haben mag, auf die Moralität und Religion hat es offenbar keine. Man kann sich irren, wenn man behauptet, dass kein anderer Begriff von Notwendigkeit oder Verknüpfung in der Wirksamkeit der Körper besteht; aber der Wirksamkeit der Seele schreibt man gewiss nichts zu, als was Jeder bereitwillig anerkennt und anerkennen muss. Ich verändere nichts in dem feststehenden orthodoxen System rücksichtlich des Willens, sondern nur rücksichtlich der körperlichen Dinge und Ursachen. Keine Lehre kann deshalb unschuldiger als diese sein. Da alle Gesetze auf Lohn oder Strafe gestützt werden, so gilt als fundamentales Prinzip, dass diese Beweggründe einen gleichförmigen und regelmässigen Einfluss auf die Seele üben und sowohl die guten Handlungen veranlassen, wie die schlechten verhindern. Man nenne diesen Einfluss, wie man wolle, da er regelmässig mit der Handlung verbunden ist, so muss er als eine Ursache gelten und als ein Beispiel von der Notwendigkeit angesehen werden, wie ich hier sie behaupte.
Der allein wahre Gegenstand des Hasses und der Rache ist eine mit Verstand und Bewusstsein begabte Person oder Wesen, und wenn irgend verbrecherische oder verletzende Handlungen diese Gefühle erwecken, so geschieht es nur durch ihre Verknüpfung mit einer Person oder in Beziehung auf sie. Die Handlungen sind aber ihrer Natur nach vergänglich und vorübergehend; sobald sie nicht aus irgend einer Ursache im Charakter oder der Gesinnung der handelnden Person hervorgehn, so können die guten ihr nicht zur Ehre, und die schlechten ihr nicht zur Schande gereichen. Die Handlungen selbst können tadelnswert und allen Segeln der Religion und Moral zuwider sein; aber der Mensch ist für sie nicht verantwortlich, und da sie aus nichts Beständigem und Beharrlichem in ihm hervorgehn und nichts der Art hinter sich zurücklassen, so kann er unmöglich ihretwegen zum Gegenstand einer Strafe oder Rache werden. Nach dem Prinzip, welches die Notwendigkeit und folglich die Ursachen leugnet, ist ein Mensch nach Begehung des abscheulichsten Verbrechens so rein und fleckenlos als wie im Augenblick seiner Geburt. Sein Charakter ist dann in keiner Weise bei seinen Handlungen beteiligt, denn sie gehen nicht aus ihm hervor, und die Schlechtigkeit des Einen kann nie als Beweis für die Verdorbenheit des Andern dienen.
Man tadelt Niemand wegen solcher Handlungen, welche er unbewusst und zufällig begeht, was auch die Folgen derselben sein mögen. Weshalb nicht? Weil die Prinzipien dieser Handlungen nur momentan sind und in ihnen endigen. Man tadelt Jenen weniger, der heftig und unvorsichtig handelt, als Den, der mit Überlegung vorgeht. Weshalb? Weil ein heftiges Temperament, obgleich es ein beständiges Prinzip oder eine Ursache in der Seele ist, doch nur zeitweise sich äussert und nicht den ganzen Charakter ansteckt, umgekehrt wäscht Reue jedes Verbrechen aus, wenn sie sich mit einer Besserung des Lebens und Benehmens verbindet. Wie lässt sich dies erklären? Nur dadurch, dass Handlungen den Menschen nur strafbar machen, so weit sie ein Zeichen strafbarer Grundsätze der Seele sind. Hören sie durch einen Wechsel dieser Grundsätze auf, solche sichere Zeichen zu sein, so sind sie auch nicht mehr strafbar. Aber ohne die Lehre von der Notwendigkeit sind sie niemals zuverlässige Zeichen und folglich niemals strafbar.
Ebenso leicht und mit denselben Gründen lässt sich zeigen, dass die Freiheit in dem obigen Sinne, worin Alle übereinstimmen, der Moralität ebenso wesentlich ist, und dass keine menschliche Handlung, der sie abgeht, als eine moralische gelten, oder Gegenstand von Lob und Tadel sein kann. Denn da die Handlungen nur insoweit der Gegenstand unserer moralischen Gesinnung sind, als sie die Zeichen des innern Charakters, der Leidenschaften und Affekte sind, so können sie weder zu Lob noch Tadel Anlass geben, wenn sie nicht aus diesen Quellen abstammen, vielmehr durch äussere Gewalt veranlasst sind.