Abteilung XI.
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.
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Ich unterhalte mich täglich mit einem Freunde, der skeptische Paradoxen liebt. Obgleich ich vielen seiner Behauptungen nicht beistimmen kann, so sind sie doch interessant und betreffen jene Kette von Beweisen, welche in der gegenwärtigen Untersuchung benutzt worden sind. Ich werde sie daher aus der Erinnerung so genau, als ich vermag, wiedergeben, damit der Leser selbst urteilen möge.
Ich begann die Unterhaltung, indem ich das besondere Glück der Philosophie bewunderte. Sie fordert, sagte ich, volle Freiheit als ihr höchstes Recht und erblüht nur aus dem freien Kampfe der Ansichten und Beweise. Wie glücklich daher, dass sie zu einer Zeit und in einem Lande der Freiheit und Toleranz zur Welt kam, wo sie selbst bei ihren ausschweifendsten Lehren nie durch Glaubenssätze, Bekenntnisse und Strafgesetze eingezwängt wurde. Denn mit Ausnahme der Verbannung des Protagoras und den Tod des Sokrates, welcher zum Teil andere Veranlassungen hatte, gibt es in der alten Geschichte kaum ein Beispiel von der überfrommen Eifersucht, von welcher die jetzige Zeit so zu leiden hat. Epikur lebte bis zu hohem Alter friedlich und ruhig in Athen, und seine Schüler wurden sogar als Priester zugelassen, um bei dem Altar und in den heiligsten Gebräuchen der geltenden Religion mitzuwirken. [Lucian im Symposian und Dio.] Ebenso wurden Gehalte und Pensionen durch die Weisesten der römischen Kaiser den Lehrern aller philosophischen Sekten zur allgemeinen Anregung erteilt. Wie sehr die Philosophie einer solchen Behandlung in ihrer frühen Jugend bedurfte, kann man daraus abnehmen, dass sie noch jetzt, wo sie doch härter und stärker geworden sein muss, nur schwer die Rauheit der Zeit und die auf sie einbrechenden scharfen Stürme der Verleumdung und Verfolgung ertragen kann.
Sie sehen das als ein Glück der Philosophie an, sagte mein Freund, was vielmehr das Ergebniss des natürlichen Laufs der Dinge ist und in keiner Zeit und bei keinem Volke vermieden werden kann. Diese hartnäckige Frömmelei, über welche sie sich beklagen, weil sie der Philosophie so verderblich ist, sie entspringt vielmehr aus letzterer selbst, verbindet sich mit dem Aberglauben, trennt sich dann ganz von ihrer Mutter und wird ihr ausdauernder Feind und Verfolger. Tiefsinnige Religionssätze, welche jetzt so wütenden Streit veranlassen, konnten in den frühesten Zeiten von den Menschen weder begriffen noch festgehalten werden; sie mussten bei ihrer Unwissenheit die religiösen Vorstellungen ihrer schwachen Fassungskraft anpassen und ihre heiligen Glaubenssätze nach solchen Erzählungen bilden, welche mehr der Gegenstand eines überlieferten Glaubens, als das Ergebniss von Beweisgründen und Streitigkeiten waren. Als daher der erste Schreck vorüber war, welcher die neuen Paradoxien und Grundsätze der Philosophen veranlassten, scheinen diese Lehrer im Altertume immer in grosser Eintracht mit dem bestehenden Aberglauben gelebt und die Menschen zuletzt unter sich verteilt zu haben; die ersteren nahmen die Gelehrten und Gebildeten, und der letztere das gemeine ungebildete Volk.
Sie scheinen, erwiderte ich, die Politik ganz aus dem Spiele zu lassen und anzunehmen, dass eine weise Obrigkeit über gewisse Sätze der Philosophie, wie die des Epikur, nicht besorgt zu werden brauche; obgleich diese das Dasein eines Gottes, und folglich seine Vorsehung und ein künftiges Leben, nicht anerkennen, damit in starkem Maasse die Bande der Moralität lockern und deshalb als für den Frieden der bürgerlichen Gesellschaft gefährlich erachtet werden können.
Ich weiss, erwiderte er, dass diese Verfolgungen allerdings zu keiner Zeit von der ruhigen Vernunft ausgegangen sind; auch nicht davon, dass man die verderblichen Folgen der Philosophie durch Erfahrung kennen gelernt. Sie entspringen lediglich aus Leidenschaften und Vorurteil. Wie aber, wenn ich weiter ginge und behauptete, dass Epikur, im Falle er durch einen Schmeichler oder einen Denuncianten des jetzigen Schlages vor dem Volke angeklagt worden wäre, sich leicht hätte verteidigen und beweisen können, dass die Sätze seiner Philosophie ebenso heilig seien als die seiner Gegner, obgleich sie mit so viel Eifer ihn dem öffentlichen Hass und Misstrauen preiszugeben suchten.
Ich wünschte, sagte ich, Sie versuchten Ihre Beredsamkeit für einen so ungewöhnlichen Gegenstand und hielten eine Rede für Epikur, welche nicht blos den Pöbel von Athen befriedigte, wenn sie erlauben, dass diese alte und gebildete Stadt einen Pöbel gehabt hat, sondern auch dem philosophischeren Teil seiner Zuhörer, welche im Stande waren, seine Beweisführung zu verstehen.
Unter solchen Bedingungen, erwiderte er, ist dies nicht schwer. Gefällt es Ihnen, so will ich für eine kurze Zeit mich zu Epikur und Sie zu dem Volk von Athen machen und solch eine Verteidigungsrede zum Besten geben, dass die Urne nur mit weissen Bohnen sich füllen soll, und keine schwarze meine boshaften Gegner erfreuen soll.
Sehr schön! Beginnen Sie unter diesen Voraussetzungen.
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