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Abteilung XI.
 
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

 

Ich komme hierher, o Athener! um in Eurer Versammlung das zu verteidigen, was ich in meinem Hörsaale gelehrt habe; aber anstatt mit ruhigen und leidenschaftslosen Richtern zu streiten, finde ich mich von wütenden Gegnern angeklagt. Eure Beratungen, welche von Rechts wegen den Fragen des öffentlichen Wohles und den Interessen des Staates zugewendet sein sollten, werden auf die Prüfung einer tiefsinnigen Philosophie abgeleitet, und diese grossartigen, aber vielleicht fruchtlosen Untersuchungen nehmen die Stelle Eurer gewöhnlicheren, aber nützlicheren Beschäftigungen ein. Soweit es auf mich ankommt, will ich diesem Missbrauch zuvorkommen. Wir wollen hier nicht über den Ursprung der Welt streiten; wir wollen nur untersuchen, inwiefern solche Fragen das öffentliche Interesse berühren; und wenn ich Euch überzeugen kann, dass sie für den Frieden des Staates und die Sicherheit der Gesellschaft ganz ohne Bedeutung sind, so hoffe ich, Ihr werdet mich gleich in die Hörsäle zurückschicken, um dort in Musse die erhabenste, aber auch schwierigste Frage aller Philosophie zu erörtern.

Die gottesfürchtigen Philosophen begnügen sich nicht mit den Überlieferungen der Voreltern und mit der Lehre Eurer Priester (bei der ich mich gerne beruhige), sondern geben einer voreiligen Neugierde nach und versuchen, wie weit sie die Religion auf die Gesetze der Vernunft zu gründen vermögen. Somit erwecken sie Zweifel, anstatt sie zu befriedigen; Zweifel, die aus einer sorgfältigen und genauen Untersuchung hervorgehen müssen. Mit den herrlichsten Farben malen sie erst die Ordnung, Schönheit und weise Einrichtung der Welt; dann fragen sie, ob eine solche glänzende Entfaltung von Einsicht je aus zufälligen Verbindungen der Atome hätten hervorgehen können; oder ob Zufall das hervorbringen könne, was der grösste Geist nicht genug bewundern könne. Ich werde die Richtigkeit dieses Grundes nicht untersuchen. Ich werde zugeben, dass er so zureichend sei, als meine Gegner und Ankläger nur wünschen können. Es genügt, wenn ich gerade durch diesen Grund darlegen kann, dass diese Frage durchaus dem tiefem Nachdenken angehört, und dass, wenn ich in meinen philosophischen Untersuchungen eine Vorsehung und ein zukünftiges Leben leugne, ich nicht die Grundvesten der Gesellschaft unterwühle, sondern nur Grundsätze geltend mache, welche Jene selbst in ihren Beweisen, wenn sie konsequent sein wollen, als fest und genügend anerkennen müssen.

Ihr, meine Ankläger, habt also selbst anerkannt, dass der wichtigste oder einzige Beweis eines göttlichen Daseins (was ich nie in Frage gestellt habe) sich aus der Ordnung der Natur ableitet. In ihr bestehen solche Zeichen von Verstand und Absicht, dass Ihr es für unsinnig haltet, den Zufall oder die blinde und ungeleitete Kraft des Stoffes als deren Ursache zu behaupten. Ihr gesteht zu, dass dieser Beweis von der Beziehungsform der Ursachlichkeit entlehnt ist; Ihr folgert aus der Anordnung des Werkes, dass es von einem Werkmeister entworfen und vorbedacht worden sein müsse. Könnt Ihr diesen Punkt nicht festhalten, so erkennt Ihr an, dass Euer Schluss verfehlt ist; auch wollt Ihr den Schluss nicht in grösserer Ausdehnung ziehen, als die Naturerscheinungen ihn rechtfertigen. Dies sind Eure Zugeständnisse. Nun merkt auf die Folgen.

Wenn man eine bestimmte Ursache aus einer Wirkung folgert, so muss man die eine der andern anpassen und darf niemals der Ursache Eigenschaften zuteilen, die zur Hervorbringung der Wirkung nicht genau nötig sind. Wenn ein Gewicht von zehn Lot sich in einer Wagschale hebt, so beweist das, dass das Gegengewicht von der andern schwerer ist; aber der Fall ist kein Grund, dass das Gegengewicht über hundert Lot schwer ist. Ist die für eine Wirkung angenommene Ursache unvermögend, sie hervorzubringen, so muss man entweder die Ursache verwerfen, oder ihr solche Eigenschaften zusetzen, die der Wirkung genau entsprechen. Giebt man ihr aber noch andere Eigenschaften oder die Fähigkeit, noch andere Wirkungen hervorzubringen, so gibt man nur dem Spiel der Vermutungen nach und behauptet ohne Grund und Anhalt, blos nach Belieben das Dasein von Eigenschaften und Kräften.

Diese Regel gilt ebenso bei dem unvernünftigen und unbewussten Stoff, wie bei vernünftigen und einsichtigen Wesen, sofern man sie als Ursachen betrachtet. Wird die Ursache nur aus der Wirkung abgeleitet, so darf man ihr nie mehr Eigenschaften zuteilen, als zur Hervorbringung der Wirkung gerade nötig ist, und ebensowenig darf man nach den Regeln der gesunden Vernunft nun wieder von der Ursache ausgehn und ihr Wirkungen zuschreiben, die über die uns bekannten hinausgehn. Niemand konnte, wenn er nur ein Gemälde von Zeuxis sah, daraus entnehmen, dass er auch ein Bildhauer und Baumeister war, und in Stein und Marmor so geschickt, wie in Farben. Nur die Talente und der Geschmack, der in dem besondern Werke vor uns enthalten ist, können mit Sicherheit von dem Künstler ausgesagt werden. Die Ursache muss der Wirkung entsprechen, und wenn wir sie ihr genau anpassen, so wird man nie Eigenschaften in ihr finden, die weiter führen oder einen Schluss auf neue Absichten und Taten gestatten. Solche Eigenschaften gehen über das hinaus, was die untersuchte Wirkung zu ihrer Erzeugung erfordert.

Räumt man also ein, dass die Götter die Urheber von dem Dasein und der Ordnung der Welt sind, so folgt, dass sie genau das Maass von Macht, Einsicht und Güte besitzen, was in ihrem Werke enthalten ist; aber nichts weiter kann damit bewiesen werden, wenn man nicht die Übertreibung und Schmeichelei zu Hülfe nehmen will, um die Mängel des Beweises und der Begründung zu ergänzen. So weit, als die Spuren einer Eigenschaft sich jetzt zeigen, so weit kann man auf das Dasein dieser Eigenschaften schliessen. Die Annahme weiterer Eigenschaften ist reine Willkür und noch mehr die Annahme, dass in fernen Räumen und Zeiten noch eine glänzendere Entfaltung dieser Eigenschaften und eine solche Einrichtung der Verwaltung gewesen ist oder sein wird, welche solchen eingebildeten Tugenden mehr entspricht. Es ist niemals zulässig, von der Welt, als Wirkung, zu Jupiter, als Ursache, aufzusteigen, und dann wieder abwärts von dieser Ursache neue Wirkungen abzuleiten, als wenn die vorhandenen Wirkungen nicht ganz dem Werte jener ruhmvollen Eigenschaften entsprächen, die wir dieser Gottheit zuschreiben. Wenn die Kenntniss der Ursache nur allein aus der Kenntniss der Wirkung entlehnt ist, so müssen sie genau auf einander passen, und das eine kann nie weiter führen und nicht die Grundlage für neue Schlüsse und Folgerungen abgeben.

Ihr bemerkt Erscheinungen in der Natur. Ihr sucht nach einer Ursache oder einem Urheber. Ihr meint ihn gefunden zu haben. Allmählich werdet Ihr so verliebt in diesen Sprössling Eures Gehirns, dass Ihr meint, er müsse noch Grösseres und Vollkommneres hervorbringen als den gegenwärtigen Schauplatz dieser Welt, die so voll von Übel und Unordnung ist. Ihr vergesst, dass dieser höchste Verstand und Güte nur eingebildet sind, oder mindestens ohne vernünftige Grundlage, und dass Ihr nicht berechtigt seid, ihm weitere Eigenschaften zuzuteilen, als die, welche in seinen Werken sich wirklich entfaltet und wirksam darstellen. Lasst deshalb, Ihr Philosophen, Eure Götter dem gegenwärtigen Zustand der Natur entsprechen, und unternehmt nicht, diesen Zustand durch willkürliche Zusätze zu ändern, um ihm die Eigenschaften anzupassen, die Ihr so gern Euern Gottheiten zuteilt.

 


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