Abteilung XI.
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

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Der Fall ist bei unsern Folgerungen aus Werken der Natur nicht derselbe. Wir kennen die Gottheit nur aus ihren Werken; sie ist in der Welt nun einmal da und kann nicht unter eine Art oder Gattung begriffen werden, aus deren wahrgenommenen Eigenschaften und Bestimmungen man mittelst der Ähnlichkeit auf eine Eigenschaft oder Bestimmung in jener schliessen könnte. Da das Weltall Weisheit und Güte zeigt, so folgern wir Weisheit und Güte. Da es ein bestimmtes Maass dieser Vorzüge zeigt, so folgern wir ein solches Maass derselben, was genau den erprobten Wirkungen entspricht. Aber weitere Eigenschaften oder ein grösseres Maass derselben ist man nach den Regeln des richtigen Schliessens zu folgern oder anzunehmen nicht berechtigt. Sind aber solche Annahmen nicht gestattet, so können wir mit der Ursache nicht weiter kommen und keine andere Zustände in der Ursache folgern als die unmittelbar wahrgenommenen. Grössere, von diesem Wesen hervorgebrachte Güter müssen einen höhern Grad von seiner Güte beweisen, eine unparteiischere Austeilung von Lohn und Strafe muss aus einer grössern Berücksichtigung der Gerechtigkeit und Billigkeit hervorgehn. Jeder blos willkürlich angenommene Zusatz zu den Werken der Natur gibt zwar einen Zusatz zu den Eigenschaften des Urhebers der Natur; da er aber durch keinen Grund oder Beweis unterstützt ist, so kann er nur als leere Vermutung und Voraussetzung gelten.*
Die grosse Quelle des Irrtums und der schrankenlosen Freiheit von Vermutungen, der wir in solchem Falle nachgeben, ist, dass wir stillschweigend uns an die Stelle des höchsten Wesens setzen und folgern, dass es überall sich ebenso benehmen werde, wie wir selbst es in solcher Lage für ratsam und vernünftig halten würden. Aber schon der gewöhnliche Lauf der Natur belehrt uns, dass beinahe jedes Ding durch Kräfte und Regeln bestimmt wird, die von den unsrigen sehr abweichen, und ausserdem widerspricht es allen Regeln der Analogie, aus den Absichten und Plänen eines Menschen auf die eines so verschiedenen und so viel höheren Wesens zu schliessen. In der menschlichen Natur besteht ein bekannter Zusammenhang der Absichten und Neigungen, so dass, wenn man aus einem Umstand die Neigung des Menschen entnommen hat, es vernünftig ist, nach der Erfahrung weiter zu schliessen und eine lange Reihe von Folgerungen über sein vergangenes und künftiges Benehmen zu ziehen. Aber diese Schlussweise gilt nicht bei einem so entfernten und unbegreiflichen Wesen, welches den andern im Weltall weniger ähnelt, als die Sonne einer Wachskerze, und welches sich nur durch einige schwache Spuren und Züge erkennbar macht, über die hinaus wir ihm keine Eigenschaft oder Vollkommenheit beilegen können. Was wir für eine höhere Vollkommenheit halten, kann in Wahrheit ein Mangel sein, und selbst wenn es eine Vollkommenheit wäre, so kann man sie doch dem höchsten Wesen nicht zuteilen, wenn ihre volle Äusserung in seinem Werke nicht wahrzunehmen ist; dies würde mehr nach Schmeichelei und Lobhudelei schmecken, als nach einem richtigen Schliessen und nach gesunder Philosophie. Alle Philosophie der Welt und alle Religion, die ja nur eine Art der Philosophie ist, kann uns nicht über den gewöhnlichen Lauf der Erfahrung hinaus heben oder uns einen Maassstab für unser Benehmen und Betragen geben, der von dem aus der Betrachtung des gewöhnlichen Lebens entnommenen abweicht. Aus der religiösen Hypothese kann keine neue Tatsache gefolgert, kein Ereigniss vorher gesehen und vorher verkündet, keine Strafe oder Belohnung gefürchtet oder gehofft werden über das hinaus, was Erfahrung und Beobachtung ergeben. Meine Verteidigung des Epikur bleibt deshalb fest und genügend; die politischen Interessen der Gesellschaft haben keinen Zusammenhang mit den philosophischen Erörterungen über Metaphysik und Religion.
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* Im Allgemeinen muss es, meiner Ansicht nach, als Regel gelten, dass, wenn eine Ursache nur aus besonderen Wirkungen ernannt wird, dann keine neue Wirkungen aus der Ursache abgeleitet werden dürfen; weil die Eigenschaften, die zur Hervorbringung dieser Wirkungen neben jenen nöthig sind, entweder verschieden oder bedeutender oder von ausgedehnterer Wirksamkeit sein müssten als die, welche einfach die Wirkungen hervorgebracht haben, aus denen allein die Ursache abgeleitet worden ist. Man hat deshalb kein Recht, solche Eigenschaften vorauszusetzen. Diese Schwierigkeit wird auch dadurch nicht beseitigt, dass die neuen Wirkungen als eine Fortsetzung der Wirksamkeit dargestellt werden, die man schon aus den ersten Wirkungen kenne. Denn selbst wenn man dies zugiebt (obgleich es selten angenommen werden kann), so bleibt doch die Aeusserung einer gleichen Wirksamkeit (denn genau dieselbe kann es unmöglich sein) in einer andern Zeit oder Raumstelle eine willkürliche Annahme, und die Wirkungen, aus denen die Kenntniss der Ursache ursprünglich abgeleitet worden ist, enthalten keine Spur davon. Die geschlossene Ursache muss genau der bekannten Wirkung entsprechen; deshalb kann sie keine Eigenschaften haben, aus der man neue oder andere Wirkungen folgern könnte.
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