Zwölftes Kapitel.
[Ansichten über die Lust]


(1152b) Die Betrachtung über Lust und Unlust aber ist Sache dessen, der über die Staatskunst philosophiert. Denn er ist der Architekt, der maßgebende Lehrer des Ziels, auf das wir hinblicken, wenn wir nur irgend etwas schlechthin gut oder böse nennen. Diese Untersuchung ist aber auch notwendig. Haben wir doch im obigen die sittliche Tugend und Schlechtigkeit auf Lust und Unlust bezogen, und sagt man doch von der Glückseligkeit ziemlich allgemein, sie sei mit Lust verbunden, weshalb man auch den Glückseligen (makarios) von der Freude (chairein) so genannt hat.

Nun meinen einige Philosophen, keine Lust sei ein Gut, an sich nicht und auch nicht mitfolgend, da Gut und Lust nicht dasselbe sei; andere meinen, gewisse Arten der Lust seien gut, sehr viele aber schlecht; dazu kommt noch eine dritte Meinung, die dahin geht, dass, wenn auch jede Lust gut wäre, die Lust doch nicht das höchste Gut sein könne. Sie soll überhaupt kein Gut sein, weil jede Lust ein vom Gefühl begleitetes Werden ist, das einen naturgemäßen Zustand vorbereitet, kein Werden aber mit seinem Ziel in eine Gattung gehört, wie z. B. kein Bauen mit dem Gebäude.

Ferner, der Mäßige fliehe die Lüste.

Ferner, der Kluge trachte nach Schmerzlosigkeit, nicht nach Lust.

Ferner, die Lustgenüsse behinderten das Denken, und das um so mehr, je intensiver die Lust sei, so beim Geschlechtsgenuß, wobei niemand eines Gedankens fähig sei.

Ferner, es gebe keine Kunst der Lusterzeugung, und doch sei jedes Gute ein Werk der Kunst.

Und endlich: auch Kinder und Tiere suchten die Lust.

Dafür, dass nicht jede Lust gut sei, wird angeführt, dass es auch schändliche, schimpfliche, ja, schädliche Ergötzungen gebe; denn manches Lustbringende habe Krankheiten zur Folge.

Dafür endlich, dass die Lust nicht das höchste Gut sei, führt man an, sie sei nicht Ziel und Ende, sondern ein gewisses Werden und Entstehen.

Das ist es also etwa, was man gemeinhin vorbringt.


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