Aristoteles
(384-322 v. Chr.)
Aristoteles, geb. 384 v. Chr. zu Stagira (Stageiros, Stavro) in Thrakien (Chalkidike), als Sohn des (einer alten Ärztefamilie entstammenden) Arztes Nikomachos. Er kam etwa in seinem 18. Jahre nach Athen, wo er zwanzig Jahre Schüler Platons war. Nach dessen Tode (347) ging er mit Xenokrates zu dem Freunde Hermias von Atarneus, dessen Nichte (und Adoptivtochter) er nach dem Regierungsantritt Alexanders des Großen heiratete. Von Atarneus wandte er sich nach Mitylene, von wo ihn Philipp der Große von Makedonien als Lehrer seines Sohnes Alexanders berief (343), der ihn später in seinen Studien (Sammlungen) unterstützte. Im Jahre 334 ging er nach Athen, wo er eine neue philosophische Schule gründete, und zwar im Lykeion, nach dessen Alleen (peripatoi), auf welchen man hin und her ging, die Schüler »Peripatetiker« genannt wurden. Er hielt (nach Gellius) »akroamatische« (später »esoterisch« genannte) Vorträge über schwierigere und entlegenere Themen, sowie »exoterische« (rhetorische u. dgl. für weitere Kreise). Als einer der ersten besaß Aristoteles eine große Bibliothek und umfassende Sammlungen. Nachdem er zwölf Jahre in Athen gelehrt hatte, wurde er - wegen seiner Beziehungen zu den Makedoniern mißliebig - der Gottlosigkeit (Asebie) beschuldigt und floh nach Chalkis, wo er 322 v. Chr. an einem Magenleiden starb.
Vgl. über sein Leben: AD. STAHR, Aristotelia I, 1830. - LEWES, Aristotle. 1864. - SIEBECK, Aristoteles, Frommanns Klassiker d. Philos., 2. A. 1902.
Die Schriften des Aristoteles waren teils in dialogischer, teils in zusammenhängender (akroamatischer) Form verfaßt; erhalten sind nur die letzteren. Es sind dies: 1. Logische Schriften (als Ganzes »Organen« genannt): Katêgoriai (Kategorien); Peri ermêneias (De interpretatione); 'Analytika protera (Analytica priora, über Schluß) und 'Analytika hystera (Analytica posteriora, Beweis, Definition, Einteilung); Topika (Topica, über Wahrscheinlichkeitsschlüsse); De sophisticis elenchis (über Trugschlüsse und deren Auflösung). 2. Metaphysik. (ta meta ta physika, weil in der Sammlung des Andronikos von Rhodos nach den physikalischen Schriften gestellt), bei Aristoteles selbst »erste Philosophie« (prôtê philosophia, 14 Bücher). 3. Naturwissenschaftliche (bezw. naturphilosophische) Schriften: Physik (8 Bücher). De coelo. peri geneseôs kai phthoras (De generatione et corruptione). Meteorologie, Peri ta zôa historiai, peri zôôn geneseôs u. a. 4. Psychologische Schriften: peri psychês (De anima, 3 Bücher). Kleinere psychologische Schriften (»Parva naturalia«): peri aisthêseôs kai aisthêtôn, peri mnêmês kai anamnêseôs, peri hypnou, peri epypniôn u. a. 5. Ethische Schriften: Ethica Nicomacheia (10 Bücher, ethische Hauptschrift). Die Schrift: »Ethica Eudemeia« (7 Bücher) rührt von Eudemos, dem Schüler des Aristoteles her. Magna moralia (Auszug aus beiden). Politik politika (Staatslehre, 8 Bücher). 6. Ästhetische Schriften: Poetik (peri poiêtikês, unvollständig). Rhetorik (3 Bücher). - Der erste Sammler und Ordner der Aristotelischen Schriften war Andronikus von Rhodus. Durch Syrer, Araber und Juden besonders wurde man im Mittelalter mit den Schriften des Aristoteles bekannt. Sie erschienen gedruckt zuerst lateinisch 1489 (mit den Kommentaren des Averroës), griechisch 1495-1498. Gesamtausgabe von der Berliner Akademie der Wissenschaften (Bekker u. a.), 5 Bände, 1831-1870 (Bd. IV: Scholien; Bd. V: Index Aristotelicus von Bonitz). Nach dieser Ausgabe wird meistens zitiert. Einzelwerke bei Tauchnitz, Teubner. Deutsch z. T. in der Philos. Bibl. Kommentare zu Aristoteles 1882 ff. (von der Berliner Akademie).
Vgl. F. BIESE, Die Philosophie des Aristoteles, 1835-42. - TEICHMÜLLER, Stud. z. Gesch. d. Begriffe, II. - SIEBECK, Aristoteles, 2. A. 1902. - BONITZ, Aristotelische Studien, 1862-67. - TRENDELENBUBG, Elementa logices Arist., 1836. - F. BRENTANO, Die Psychololgie des Aristoteles, 1867. - LUTHARDT, Die Ethik des Aristoteles, 1869. - A. DÖRING, Die Kunstlehre des Aristoteles, 1876.
Aristoteles ist der größte Schüler Platons, dessen Ideenlehre er aber bekämpft, vor allem das Geschiedensein der Ideen von den Dingen. Platon gegenüber ist er trotz seines Rationalismus mehr der Erfahrung und Wirklichkeit zugewandt; ergeht stets von dieser, vom Besonderen aus, wenn auch das Allgemeine, zu dem er fortschreitet, schließlich in unmittelbar gewissen (amesa) Einsichten der Vernunft seine Grundlage hat. Aristoteles ist entschieden nüchterner als Platon, mehr auf Zusammenfassung des Erfahrungsmaterials - er ist oft ein guter Beobachter - gerichtet, mehr ein systematischer Kopf. Er ist einer der größten Gelehrten aller Zeiten, ein Polyhistor ersten Ranges. Was die Systematisierung der Erkenntnisse anbelangt, steht er im Altertum unerreicht da. Er hat eine Weltanschauung entworfen, die viele Jahrhunderte hindurch Wissenschaft und Philosophie mächtig beeinflußt hat. Eine Reihe von Disziplinen (Psychologie, Logik, Ethik) hat er eigentlich erst begründet.
Die Philosophie ist bei Aristoteles noch die Gesamtwissenschaft. Sie gliedert sich in die theoretische, praktische und poietische (auf das Schaffen sich beziehende) Philosophie. Zur theoretischen Philosophie gehört die Metaphysik, die »erste Philosophie« (prôtê philosophia, auch theologikê genannt), die auch Erkenntnistheoretisches enthält.