Zehntes Kapitel.
[Feste Haltung]
Ist nun, wie oben in den Aporien gefragt wurde, enthaltsam wer an der wie immer beratenen Vernunft und an jedem wie immer beschaffenen Vorsatz festhält, und hinwieder unenthaltsam wer an jedem wie immer beschaffenen Vorsatz und an der beliebig beratenen Vernunft nicht festhält, oder wer an der übel beratenen Vernunft und dem verkehrten Vorsatz nicht festhält oder festhält? Oder sollte es nicht vielmehr so sein, dass es mitfolgend zwar jeder beliebige Vorsatz, an sich jedoch nur die wahre Vernunft und der rechte Vorsatz ist, woran der eine festhält, der andere nicht? Wenn nämlich jemand diese bestimmte Sache um dieser willen sich vornimmt oder verfolgt, (1151b) so ist es an sich das Zweite, was er verfolgt und sich vorsetzt, aber mitfolgend das Erste. Für »an sich« sagen wir schlechthin, und so ist es beziehungsweise zwar jede beliebige Meinung, die der eine festhält und der andere verleugnet, schlechthin enthaltsam und unenthaltsam aber ist wer die wahre Meinung festhält und preisgibt.
Es gibt auch einige, die an ihrer Meinung festhalten, die man starrköpfisch nennt, weil sie schwer zu überzeugen und nicht leicht umzustimmen sind; sie haben wohl eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Enthaltsamen, wie sie der Verschwender mit dem Freigebigen und der Tollkühne mit dem Mutigen hat, sind aber doch in mancher Hinsicht von ihm verschieden. Jener, der Enthaltsame, läßt sich durch Leidenschaft und Begierde nicht umstimmen, aber ein Enthaltsamer wird gegebenenfalls leicht eines Besseren zu belehren sein; der andere ist durch Gründe nicht umzustimmen, aber Leute von seiner Art sind vielfach den Begierden zugänglich und lassen sich von den Lüsten fortreißen. Ein Starrkopf ist der Eigensinnige, der Unbelehrbare und der Ungebildete; der Eigensinnige insbesondere steht unter dem Einflusse von Lust und Unlust: er freut sich durchzudringen, wenn er sich nicht anders belehren läßt, und ärgert sich, wenn es seinem Willen und seiner Meinung ergeht wie einem Volksbeschlusse, der kassiert wird, und so gleicht er mehr dem Unenthaltsamen als dem Enthaltsamen.
Einige gibt es auch, die an ihrer Meinung und Absicht nicht festhalten nicht aus Unenthaltsamkeit, wie Neoptolemus im Philoktet des Sophokles. Gleich wohl war es Lust, weshalb er an seinem Vorhaben nicht festhielt, aber eine sittlich schöne Lust: ihm galt es für schön, die Wahrheit zu sagen, und von Odysseus war er überredet worden zu lügen. Denn nicht jeder, der etwas aus Lust tut, ist unmäßig oder schlecht oder unenthaltsam, sondern wer es aus böser Lust tut.