Prinzip einer Philosophie in der Form eines
absoluten Grundsatzes


Die Philosophie als eine durch Reflexion produzierte Totalität des Wissens wird ein System, ein organisches Ganzes von Begriffen, dessen höchstes Gesetz nicht der Verstand, sondern die Vernunft ist; jener hat die Entgegengesetzten seines Gesetzten, seine Grenze, Grund und Bedingung richtig aufzuzeigen, aber die Vernunft vereint diese Widersprechenden, setzt beide zugleich und hebt beide auf. An das System, als eine Organisation von Sätzen, kann die Forderung geschehen, daß ihm das Absolute, welches der Reflexion zum Grunde liegt, auch nach Weise der Reflexion als oberster absoluter Grundsatz vorhanden sei. Eine solche Forderung trägt aber ihre Nichtigkeit schon in sich; denn ein durch die Reflexion Gesetzes, ein Satz ist für sich ein Beschränktes und Bedingtes und bedarf einen anderen zu seiner Begründung usf. ins Unendliche. Wenn das Absolute in einem durch und für das Denken gültigen Grundsatze ausgedrückt wird, dessen Form und Materie gleich sei, so ist entweder die bloße Gleichheit gesetzt und die Ungleichheit der Form und Materie ausgeschlossen und der Grundsatz durch diese Ungleichheit bedingt; in diesem Fall ist der Grundsatz nicht absolut, sondern mangelhaft, er drückt nur einen Verstandesbegriff, eine Abstraktion aus; — oder die Form und Materie ist, als Ungleichheit, zugleich in ihm enthalten, der Satz ist analytisch und synthetisch zugleich: so ist der Grundsatz eine Antinomie und dadurch nicht ein Satz, er steht als Satz unter dem Gesetz des Verstandes, daß er sich nicht in sich widerspreche, nicht sich aufhebe, sondern ein Gesetztes sei; als Antinomie aber hebt er sich auf.

Dieser Wahn, daß ein nur für die Reflexion Gesetztes notwendig an der Spitze eines Systems als oberster absoluter Grundsatz stehen müsse oder daß das Wesen eines jeden Systems in einem Satze, der fürs Denken absolut sei, sich ausdrücken lasse, macht sich mit einem System, auf das er seine Beurteilung anwendet, ein leichtes Geschäft; denn von einem Gedachten, das der Satz ausdrückt, läßt sich sehr leicht erweisen, daß es durch ein Entgegengesetztes bedingt, also nicht absolut ist; es wird von diesem dem Satze Entgegengesetzten erwiesen, daß es gesetzt werden müsse, daß also jenes Gedachte, das der Satz ausdrückt, nichtig ist. Der Wahn hält sich um so mehr für gerechtfertigt, wenn das System selbst das Absolute, das sein Prinzip ist, in der Form eines Satzes oder einer Definition ausdrückt, die aber im Grunde eine Antinomie ist und sich deswegen als ein Gesetztes für die bloße Reflexion selbst aufhebt; so hört z. B. Spinozas Begriff der Substanz, die als Ursache und Bewirktes, als Begriff und Sein zugleich erklärt wird, auf, ein Begriff zu sein, weil die Entgegengesetzten in einen Widerspruch vereinigt sind. — Kein Anfang einer Philosophie kann ein schlechteres Aussehen haben als der Anfang mit einer Definition wie bei Spinoza — ein Anfang, der mit dem Begründen, Ergründen, Deduzieren der Prinzipien des Wissens, dem mühsamen Zurückführen aller Philosophie auf höchste Tatsachen des Bewußtseins usw. den seltsamsten Kontrast macht. Wenn aber die Vernunft von der Subjektivität des Reflektierens sich gereinigt hat, so kann auch jene Einfalt Spinozas, welche die Philosophie mit der Philosophie selbst anfängt und die Vernunft gleich unmittelbar mit einer Antinomie auftreten läßt, gehörig geschätzt werden. Soll das Prinzip der Philosophie in formalen Sätzen für die Reflexion ausgesprochen werden, so ist zunächst als Gegenstand dieser Aufgabe nichts vorhanden als das Wissen, im allgemeinen die Synthese des Subjektiven und Objektiven, oder das absolute Denken. Die Reflexion aber vermag nicht die absolute Synthese in einem Satz auszudrücken, wenn nämlich dieser Satz als ein eigentlicher Satz für den Verstand gelten soll; sie muß, was in der absoluten Identität eins ist, trennen und die Synthese und die Antithese getrennt, in zwei Sätzen, in einem die Identität, im andern die Entzweiung ausdrücken.

In A = A, als dem Satze der Identität, wird reflektiert auf das Bezogensein, und dies Beziehen, dies Einssein, die Gleichheit ist in dieser reinen Identität enthalten; es wird von aller Ungleichheit abstrahiert. A = A, der Ausdruck des absoluten Denkens oder der Vernunft, hat für die formale, in verständigen Sätzen sprechende Reflexion nur die Bedeutung der Verstandesidentität, der reinen Einheit, d. h. einer solchen, worin von der Entgegensetzung abstrahiert ist.

Aber die Vernunft findet sich in dieser Einseitigkeit der abstrakten Einheit nicht ausgedrückt; sie postuliert auch das Setzen desjenigen, wovon in der reinen Gleichheit abstrahiert wurde, das Setzen des Entgegengesetzten, der Ungleichheit; das eine A ist Subjekt, das andere Objekt, und der Ausdruck für ihre Differenz ist A nicht = A, oder A = B. Dieser Satz widerspricht dem vorigen geradezu; in ihm ist abstrahiert von der reinen Identität und die Nicht-Identität, die reine Form des Nichtdenkens8) gesetzt, wie der erste die Form des reinen Denkens [setzt], das ein Anderes ist als das absolute Denken, die Vernunft. Nur weil auch das Nichtdenken gedacht, A nicht = A durchs Denken gesetzt wird, kann er überhaupt gesetzt werden; in A nicht = A oder A = B ist die Identität, das Beziehen, das = des ersten Satzes ebenfalls, aber nur subjektiv, d. h. nur insofern das Nichtdenken durchs Denken gesetzt ist. Aber dies Gesetztsein des Nichtdenkens fürs Denken ist dem Nichtdenken durchaus zufällig, eine bloße für den zweiten Satz, von der, um seine Materie rein zu haben, abstrahiert werden muß.

Dieser zweite Satz ist so unbedingt als der erste und insofern Bedingung des ersten, so wie der erste Bedingung des zweiten Satzes ist. Der erste ist bedingt durch den zweiten, insofern er durch die Abstraktion von der Ungleichheit, die der zweite Satz enthält, besteht; der zweite, insofern er, um ein Satz zu sein, einer Beziehung bedarf.

Der zweite Satz ist sonst unter der subalternen Form des Satzes des Grundes ausgesprochen worden; oder vielmehr er ist erst in diese höchst subalterne Bedeutung dadurch herabgezogen worden, daß man ihn zum Satze der Kausalität gemacht hat. A hat einen Grund, heißt: dem A kommt ein Sein zu, das nicht ein Sein des A ist, A ist ein Gesetztsein, das nicht das Gesetztsein des A ist; also A nicht = A, A = B. Wird davon abstrahiert, daß A ein Gesetztes ist, wie abstrahiert werden muß, um den zweiten Satz rein zu haben, so drückt er überhaupt ein Nichtgesetztsein des A aus. A als Gesetztes und als Nichtgesetztes zugleich zu setzen, ist schon die Synthese des ersten und zweiten Satzes.

Beide Sätze sind Sätze des Widerspruchs, nur im verkehrten Sinne. Der erste, der der Identität, sagt aus, daß der Widerspruch = 0 ist; der zweite, insofern er auf den ersten bezogen wird, daß der Widerspruch ebenso notwendig ist als der Nichtwiderspruch. Beide sind, als Sätze, für sich Gesetzte von gleicher Potenz. Insofern der zweite so ausgesprochen wird, daß der erste zugleich auf ihn bezogen ist, so ist er der höchstmögliche Ausdruck der Vernunft durch den Verstand; diese Beziehung beider ist der Ausdruck der Antinomie, und als Antinomie, als Ausdruck der absoluten Identität ist es gleichgültig, A = B oder A = A zu setzen, wenn nämlich A = B und A = A als Beziehung beider Sätze genommen wird. A = A enthält die Differenz des A als Subjekts und A als Objekts zugleich mit der Identität, so wie A = B die Identität des A und B mit der Differenz beider.

Erkennt der Verstand im Satze des Grundes, als einer Beziehung beider, nicht die Antinomie, so ist er nicht zur Vernunft gediehen, und formaliter ist der zweite Satz kein neuer für ihn. Für den bloßen Verstand sagt A = B nicht mehr aus als der erste Satz; der Verstand begreift alsdann nämlich das Gesetztsein des A als B nur als eine Wiederholung des A, d. h. er hält nur die Identität fest und abstrahiert davon, daß, indem A als B oder in B gesetzt wiederholt wird, ein Anderes, ein Nicht-A gesetzt ist, und zwar als A, also A als Nicht-A. — Wenn man bloß auf das Formelle der Spekulation reflektiert und die Synthese des Wissens in analytischer Form festhält, so ist die Antinomie, der sich selbst aufhebende Widerspruch, der höchste formelle Ausdruck des Wissens und der Wahrheit.

In der Antinomie, wenn sie für den formellen Ausdruck der Wahrheit anerkannt wird, hat die Vernunft das formale Wesen der Reflexion unter sich gebracht. Das formale Wesen hat aber die Oberhand, wenn das Denken in der einzigen Form des ersten, dem zweiten entgegengesetzten Satzes mit dem Charakter einer abstrakten Einheit als das erste Wahre der Philosophie gesetzt und aus der Analyse der Anwendung des Denkens ein System der Realität der Erkenntnis errichtet werden soll. Alsdann ergibt sich der ganze Verlauf dieses rein analytischen Geschäfts auf folgende Art. Das Denken ist, als unendliche Wiederholbarkeit des A als A, eine Abstraktion, der erste Satz als Tätigkeit ausgedrückt. Nun fehlt aber der zweite Satz, das Nichtdenken; notwendig muß zu ihm als der Bedingung des ersten übergegangen und auch dieses, die Materie, gesetzt werden. Hiermit sind die Entgegengesetzten vollständig, und der Übergang ist eine gewisse Art von Beziehung beider aufeinander, welche eine Anwendung des Denkens heißt und eine höchst unvollständige Synthese ist. Aber auch diese schwache Synthese ist selbst gegen die Voraussetzung des Denkens als Setzens des A als A ins Unendliche fort; denn in der Anwendung wird A zugleich als Nicht-A gesetzt und das Denken in seinem absoluten Bestehen als ein unendliches Wiederholen des A als A aufgehoben. — Das dem Denken Entgegengesetzte ist durch seine Beziehung aufs Denken bestimmt als ein Gedachtes = A. Weil aber ein solches Denken, Setzen = A, bedingt durch eine Abstraktion und also ein Entgegengesetztes ist, so hat auch das Gedachte, außerdem daß es Gedachtes = A ist, noch andere Bestimmungen = B, die vom bloßen Bestimmtsein durchs reine Denken ganz unabhängig sind, und diese sind dem Denken bloß gegeben. Es muß also für das Denken, als Prinzip des analytischen Philosophierens, einen absoluten Stoff geben, wovon weiter unten die Rede sein wird. Die Grundlage dieser absoluten Entgegensetzung läßt dem formalen Geschäfte, worin die berühmte Erfindung, die Philosophie auf Logik zurückzuführen9), beruht, keine andere immanente Synthese als die der Verstandesidentität, A ins Unendliche zu wiederholen. Aber selbst zur Wiederholung braucht sie eines B, C usw., in denen das wiederholte A gesetzt werden kann; diese B, C, D usw. sind um der Wiederholbarkeit des A willen ein Mannigfaltiges, sich Entgegengesetztes — jedes hat durch A nicht gesetzte, besondere Bestimmungen —, d. h. ein absolut mannigfaltiger Stoff, dessen B, C, D usw. sich mit dem A fügen muß, wie es kann; eine solche Ungereimtheit des Fügens kommt an die Stelle einer ursprünglichen Identität. Der Grundfehler kann so vorgestellt werden, daß in formaler Rücksicht auf die Antinomie des A = A und des A = B nicht reflektiert ist. Einem solchen analytischen Wesen liegt das Bewußtsein nicht zum Grunde, daß die rein formale Erscheinung des Absoluten der Widerspruch ist, — ein Bewußtsein, das nur entstehen kann, wenn die Spekulation von der Vernunft und dem A = A als absoluter Identität des Subjekts und Objekts ausgeht.

 

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8) vgl. Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 111

9) Reinhold, Beiträge, 1. Heft, S. 98


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