Identität, Selbstbewußtsein, Philosophie
Die Grundlage des Fichteschen Systems ist intellektuelle Anschauung, reines Denken seiner selbst, reines Selbstbewußtsein Ich = Ich, Ich bin;10) das Absolute ist Subjekt-Objekt, und Ich ist diese Identität des Subjekts und Objekts.
Im gemeinen Bewußtsein kommt Ich in Entgegensetzung vor; die Philosophie hat diese Entgegensetzung gegen ein Objekt zu erklären; sie erklären heißt, ihre Bedingtheit durch ein Anderes aufzeigen und also sie als Erscheinung erweisen. Wenn vom empirischen Bewußtsein erwiesen wird, daß es im reinen Bewußtsein vollständig begründet und nicht bloß durch dasselbe bedingt ist, so ist damit ihre Entgegensetzung aufgehoben, wenn anders die Erklärung vollständig, d. h. wenn nicht bloß eine teilweise Identität des reinen und empirischen Bewußtseins aufgezeigt ist. Die Identität ist nur eine teilweise, wenn dem empirischen Bewußtsein eine Seite übrigbliebe, von welcher es durch das reine nicht bestimmt, sondern unbedingt wäre; und weil nur reines und empirisches Bewußtsein als die Glieder des höchsten Gegensatzes auftreten, so würde das reine Bewußtsein selbst bestimmt und bedingt sein vom empirischen, insofern dieses unbedingt wäre. Das Verhältnis würde auf diese Art ein Wechselverhältnis sein, welches gegenseitiges Bestimmen und Bestimmtsein in sich faßt, aber eine absolute Entgegensetzung der in Wechselwirkung Stehenden und also die Unmöglichkeit, die Entzweiung in absoluter Identität zu heben, voraussetzt.
Dem Philosophen entsteht dies reine Selbstbewußtsein dadurch, daß er in seinem Denken von allem Fremdartigen abstrahiert, was nicht Ich ist, und nur die Beziehung des Subjekts und Objekts festhält. In der empirischen Anschauung sind sich Subjekt und Objekt entgegengesetzt; der Philosoph faßt die Tätigkeit des Anschauens auf, er schaut das Anschauen an und begreift es hierdurch als eine Identität. Dies Anschauen des Anschauens ist einerseits philosophische Reflexion und der gemeinen Reflexion sowie dem empirischen Bewußtsein überhaupt entgegengesetzt, das sich nicht über sich selbst und seine Entgegensetzungen erhebt; - andererseits ist diese transzendentale Anschauung zugleich der Gegenstand der philosophischen Reflexion, das Absolute, die ursprüngliche Identität. Der Philosoph hat sich in die Freiheit und auf den Standpunkt des Absoluten erhoben.
Seine Aufgabe ist nunmehr die, die scheinbare Entgegensetzung des transzendentalen Bewußtseins und des empirischen aufzuheben. Im allgemeinen geschieht dies dadurch, daß das letztere aus dem ersteren deduziert wird. Notwendig kann diese Deduktion nicht ein Übergang in ein Fremdes sein; die Transzendentalphilosophie geht allein dahin, das empirische Bewußtsein nicht aus einem außerhalb desselben befindlichen, sondern aus einem immanenten Prinzip, als eine tätige Emanation oder Selbstproduktion des Prinzips zu konstruieren. Im empirischen Bewußtsein kann so wenig etwas vorkommen, was nicht aus dem reinen Selbstbewußtsein konstruiert wird, als das reine Bewußtsein ein vom empirischen dem Wesen nach Verschiedenes ist. Die Form beider ist gerade darin verschieden, daß dasjenige, was im empirischen Bewußtsein als Objekt, entgegengesetzt dem Subjekt erscheint, in der Anschauung dieses empirischen Anschauens als identisch gesetzt und hierdurch das empirische Bewußtsein durch dasjenige vervollständigt wird, was sein Wesen ausmacht, worüber es aber kein Bewußtsein hat. Die Aufgabe kann auch so aufgedrückt werden: durch die Philosophie soll reines Bewußtsein als Begriff aufgehoben werden. In der Entgegensetzung gegen das empirische Bewußtsein erscheint die intellektuelle Anschauung, das reine Denken seiner selbst, als Begriff, nämlich als Abstraktion von allem Mannigfaltigen, aller Ungleichheit des Subjekts und Objekts. Sie ist zwar lauter Tätigkeit, Tun, Anschauen, sie ist nur vorhanden in der freien Selbsttätigkeit, die sie hervorbringt; dieser Akt, der sich von allem Empirischen, Mannigfaltigen, Entgegengesetzten losreißt und sich zur Einheit des Denkens, Ich = Ich, Identität des Subjekts und Objekts erhebt, hat aber eine Entgegensetzung an anderen Akten; er ist insofern fähig, als ein Begriff bestimmt zu werden, und hat mit den ihm entgegengesetzten eine gemeinschaftliche höhere Sphäre, die des Denkens überhaupt. Es gibt außer dem Denken seiner selbst noch anderes Denken, außer dem Selbstbewußtsein noch mannigfaltiges empirisches Bewußtsein, außer Ich als Objekt noch mannigfaltige Objekte des Bewußtseins. Der Akt des Selbstbewußtseins unterscheidet sich bestimmt von anderem Bewußtsein dadurch, daß sein Objekt gleich sei dem Subjekt; Ich = Ich ist insofern einer unendlichen objektiven Welt entgegengesetzt.
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10) vgl. Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschafslehre (1794), SW, Bd. 1, S. 94