Natur
Die Natur ist hiermit sowohl in theoretischer als in praktischer Rücksicht ein wesentlich Bestimmtes und Totes. In jener Rücksicht ist sie die angeschaute Selbstbeschränkung, d. h. die objektive Seite des Selbstbeschränkens; indem sie als Bedingung des Selbstbewußtseins deduziert und, um das Selbstbewußtsein zu erklären, gesetzt wird, ist sie bloß ein zum Behuf der Erklärung durch Reflexion Gesetztes, ein ideell Bewirktes. Wenn sie schon dadurch, daß das Selbstbewußtsein bedingt durch sie erwiesen wird, eine gleiche Würde der Selbständigkeit mit jenem erhält, so ist, weil sie nur durch die Reflexion gesetzt ist, ihre Selbständigkeit ebendadurch auch vernichtet und ihr Grundcharakter der des Entgegengesetztseins.
Ebenso wird in praktischer Rücksicht, in der Synthese des bewußtlosen Sich-selbst-Bestimmens und des Selbstbestimmens durch einen Begriff, des Naturtriebs und des Triebs der Freiheit um der Freiheit willen29), die Natur durch die Kausalität der Freiheit zu einem reell Bewirkten. Das Resultat ist: der Begriff soll Kausalität auf die Natur haben und die Natur als ein absolut Bestimmtes gesetzt werden.
Wenn die Reflexion ihre Analyse des Absoluten vollständig in einer Antinomie setzt, das eine Glied als Ich, Unbestimmtheit oder Sich-selbst-Bestimmen, das andere als Objekt, Bestimmtsein, und beide als ursprünglich anerkennt, so behauptet sie die relative Unbedingtheit und damit auch die relative Bedingtheit beider. Über diese Wechselwirkung des gegenseitigen Bedingens kann die Reflexion nicht hinaus. Sie erweist sich als Vernunft dadurch, daß sie die Antinomie des bedingten Unbedingten aufstellt, und indem sie durch dieselbe auf eine absolute Synthese der Freiheit und des Naturtriebs hinweist, hat sie die Entgegensetzung und das Bestehen beider, oder eines derselben, und sich selbst nicht als das Absolute und Ewige behauptet, sondern vernichtet und in den Abgrund ihrer Vollendung gestürzt. Wenn sie aber sich und eins ihrer Entgegengesetzten als das Absolute behauptet und am Kausalitätsverhältnisse festhält, so ist der transzendentale Gesichtspunkt und die Vernunft dem Standpunkt der bloßen Reflexion und dem Verstand unterlegen, dem es gelungen ist, das Vernünftige in der Form einer Idee als ein absolut Entgegengesetztes zu fixieren. Für die Vernunft bleibt nichts als die Ohnmacht des sich selbst aufhebenden Forderns und der Schein einer — aber verständigen, formalen — Vermittlung der Natur und Freiheit in der bloßen Idee der Aufhebung der Gegensätze, in der Idee der Unabhängigkeit des Ich und des Absolut-Bestimmtseins der Natur, die als ein zu Negierendes, als absolut abhängig gesetzt ist. Der Gegensatz ist aber nicht verschwunden, sondern — weil, indem ein Glied desselben besteht, auch das andere besteht — unendlich gemacht.
Auf diesem höchsten Standpunkte hat die Natur den Charakter der absoluten Objektivität oder des Todes; nur auf einem niedrigeren Standpunkte tritt sie mit dem Schein eines Lebens, als Subjekt = Objekt auf. Wie auf dem höchsten Standpunkte das Ich die Form seiner Erscheinung als Subjekt nicht verliert, so wird dagegen der Charakter der Natur, Subjekt = Objekt zu sein, ein bloßer Schein und absolute Objektivität ihr Wesen.
Die Natur ist nämlich das bewußtlose Produzieren des Ich, und Produzieren des Ich ist ein Sich-selbst-Bestimmen, die Natur also selbst Ich, Subjekt = Objekt; und so wie meine Natur gesetzt ist, gibt es noch Natur außer der meinen, welche nicht die ganze Natur ist; die Natur außer mir wird gesetzt, um meine Natur zu erklären. Weil meine Natur bestimmt ist als ein Trieb, ein Sich-selbst-Bestimmen durch sich selbst, so muß auch die Natur außer mir so bestimmt werden, und diese Bestimmung außer mir ist Erklärungsgrund meiner Natur.30)
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29) Fichte, Sittenlehre, SW, Bd. IV, S. 139
30) Fichte, Sittenlehre, SW, Bd. IV, S. 113