Natur bei Kant
Kant anerkennt eine Natur, indem er das Objekt als ein (durch den Verstand) Unbestimmtes setzt, und stellt die Natur als ein Subjekt-Objekt dar, indem er das Naturprodukt als Naturzweck betrachtet, zweckmäßig ohne Zweckbegriff, notwendig ohne Mechanismus, Begriff und Sein identisch. Zugleich aber soll diese Ansicht der Natur nur teleologisch, d. h. nur als Maxime unseres eingeschränkten, diskursiv denkenden, menschlichen Verstandes gelten, in dessen allgemeinen Begriffen die besonderen Erscheinungen der Natur nicht enthalten seien; durch diese menschliche Betrachtungsart soll über die Realität der Natur nichts ausgesagt sein; die Betrachtungsart bleibt also ein durchaus Subjektives und die Natur ein rein Objektives, ein bloß Gedachtes. Die Synthese der durch den Verstand bestimmten und zugleich unbestimmten Natur in einem sinnlichen Verstande soll zwar eine bloße Idee bleiben; es soll für uns Menschen zwar unmöglich sein, daß die Erklärung auf dem Wege des Mechanismus mit der Zweckmäßigkeit zusammentreffe. Diese höchst untergeordneten und unvernünftigen kritischen Ansichten erheben sich, wenn sie gleich menschliche und absolute Vernunft einander schlechthin entgegensetzen, doch zur Idee eines sinnlichen Verstandes, d. h. der Vernunft; es soll doch an sich, das hieße in der Vernunft, nicht unmöglich sein, daß Naturmechanismus und Naturzweckmäßigkeit zusammentreffen. Kant hat aber den Unterschied eines an sich Möglichen und eines Reellen nicht fallenlassen, noch die notwendige höchste Idee eines sinnlichen Verstandes zur Realität erhoben, und deswegen ist ihm in seiner Naturwissenschaft teils überhaupt die Einsicht in die Möglichkeit der Grundkräfte ein Unmögliches, teils kann eine solche Naturwissenschaft, für welche die Natur eine Materie, d. i. absolut Entgegengesetztes, sich nicht selbst Bestimmendes [ist], nur eine Mechanik konstruieren. Mit der Armut von Anziehungs- und Zurückstoßungskräften48) hat sie die Materie schon zu reich gemacht; denn die Kraft ist ein Inneres, das ein Äußeres produziert, ein Sich-selbst-Setzen = Ich, und ein solches kann, vom rein idealistischen Standpunkt aus, der Materie nicht zukommen. Er begreift die Materie bloß als das Objektive, das dem Ich Entgegengesetzte; jene Kräfte sind für ihn nicht nur überflüssig, sondern entweder rein ideell, und dann sind es keine Kräfte, oder transzendent. Es bleibt für ihn keine dynamische, sondern nur eine mathematische Konstruktion der Erscheinungen.49) Die Durchführung der Erscheinungen, die gegeben sein müssen, durch die Kategorien kann wohl mancherlei richtige Begriffe, aber für die Erscheinungen keine Notwendigkeit geben, und die Kette der Notwendigkeit ist das Formale des Wissenschaftlichen der Konstruktion. Die Begriffe bleiben ein der Natur, so wie die Natur ein den Begriffen Zufälliges. Richtig konstruierte Synthesen durch Kategorien hätten darum nicht notwendig ihre Belege in der Natur selbst; die Natur kann nur mannigfaltige Spiele darbieten, welche als zufällige Schemate für Verstandesgesetze gelten könnten, — Beispiele, deren Eigentümliches und Lebendiges gerade insofern wegfiele, als die Reflexionsbestimmungen allein in ihnen erkannt werden. Umgekehrt sind die Kategorien nur dürftige Schemate der Natur.50)
Wenn die Natur nur Materie, nicht Subjekt-Objekt ist, bleibt keine solche wissenschaftliche Konstruktion derselben möglich, für welche Erkennendes und Erkanntes eins sein muß. Eine Vernunft, welche sich durch absolute Entgegensetzung gegen das Objekt zur Reflexion gemacht hat, kann a priori von der Natur, nur durch Deduktion, mehr aussagen als ihren allgemeinen Charakter der Materie; dieser bleibt zugrunde liegen, die mannigfaltigen weiteren Bestimmungen sind für und durch die Reflexion gesetzt. Eine solche Deduktion hat Schein einer Apriorität daher, daß sie das Reflexionsprodukt, den Begriff, als ein Objektives setzt; weil sie weiter nichts setzt, bleibt sie freilich immanent. Eine solche Deduktion ist ihrem Wesen nach dasselbe mit jener Ansicht, die in der Natur nur äußere Zweckmäßigkeit anerkennt. Der Unterschied ist allein, daß jene systematischer von einem bestimmten Punkte, z. B. dem Leib des Vernunftwesens ausgeht; in beiden ist die Natur ein absolut von dem Begriff — einem ihr Fremden — Bestimmtes. Die teleologische Ansicht, welche die Natur nur [als] nach äußeren Zwecken bestimmt anerkennt, hat in Rücksicht der Vollständigkeit einen Vorzug, da sie die Mannigfaltigkeit der Natur, wie sie empirisch gegeben ist, aufnimmt. Die Deduktion der Natur hingegen, die von einem bestimmten Punkt ausgeht und wegen der Unvollständigkeit desselben noch Weiteres postuliert — worin dies Deduzieren besteht —, ist mit dem Postulierten unmittelbar befriedigt, welches unmittelbar so viel leisten soll, als der Begriff fordert. Ob ein wirkliches Objekt der Natur das Geforderte allein zu leisten vermöge, geht sie nichts an, und sie kann dies nur durch Erfahrung finden; findet sich das unmittelbar postulierte Objekt in der Natur nicht hinreichend, so wird ein anderes deduziert usf., bis der Zweck sich erfüllt findet. Die Ordnung dieser deduzierten Objekte hängt von den bestimmten Zwecken ab, von denen ausgegangen wird; und nur soweit, als sie in Rücksicht auf diesen Zweck eine Beziehung haben, haben sie Zusammenhang unter sich. Eigentlich aber sind sie keines inneren Zusammenhangs fähig; denn wenn das Objekt, das unmittelbar deduziert wurde, in der Erfahrung für unzureichend zu dem Begriff, der erfüllt werden soll, gefunden wird, so ist durch ein solches einziges Objekt, weil es äußerlich unendlich bestimmbar ist, die Zerstreuung in die Unendlichkeit aufgetan — eine Zerstreuung, die etwa nur dadurch vermieden würde, daß die Deduktion ihre mannigfaltigen Punkte zu einem Kreise drehte, in dessen inneren Mittelpunkt sie aber sich zu stellen nicht fähig ist, weil sie von Anfang an im Äußeren ist. Für den Begriff ist das Objekt, für das Objekt der Begriff ein Äußeres.
Keine der beiden Wissenschaften kann sich also als die einzige konstituieren, keine die andere aufheben. Das Absolute würde hierdurch nur in einer Form seiner Existenz gesetzt, und so wie es in der Form der Existenz sich setzt, muß es sich in einer Zweiheit der Form setzen; denn Erscheinen und Sich-Entzweien ist eins.
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48) vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 34 f.
49) vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A VII
50) vgl. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A XVI