Sittengesetz, Schönheit, Kunst und Ästhetik


Es ist merkwürdig, wie Fichte sich über Schönheit vortrefflich, aber inkonsequent in Rücksicht auf sein System ausdrückt, davon überhaupt keine Anwendung auf dasselbe und unmittelbar eine falsche Anwendung auf die Vorstellung des Sittengesetzes macht.

Die Kunst, drückt sich Fichte aus, macht den transzendentalen Gesichtspunkt zu dem gemeinen, indem auf jenem die Welt gemacht, auf diesem gegeben ist: auf dem ästhetischen ist sie gegeben, wie sie gemacht ist. Durch das ästhetische Vermögen ist eine wahre Vereinigung des Produzierens der Intelligenz und des ihr als gegeben erscheinenden Produkts, — des sich als unbeschränkt und zugleich als Beschränktheit setzenden Ich anerkannt, oder vielmehr eine Vereinigung der Intelligenz und der Natur, welche letztere, eben um dieser möglichen Vereinigung willen, noch eine andere Seite hat, als Produkt der Intelligenz zu sein. Die Anerkennung der ästhetischen Vereinigung des Produzierens und des Produkts ist etwas ganz anderes als das Setzen des absoluten Sollens und Strebens und des unendlichen Progresses, — Begriffe, die sich, sowie jene höchste Vereinigung anerkannt wird, als Antithesen oder nur als Synthesen subalternerer Sphären und damit als einer höheren bedürftig ankündigen.

Die ästhetische Ansicht wird weiter so beschrieben: Die gegebene Welt, die Natur hat zwei Seiten; sie ist Produkt unserer Beschränkung, und sie ist Produkt unseres freien idealen Handelns; jede Gestalt im Raum ist anzusehen als Äußerung der inneren Fülle und Kraft des Körpers selbst, der sie hat. Wer der ersten Ansicht nachgeht, sieht nur verzerrte, gepreßte, ängstliche Formen; er sieht die Häßlichkeit. Wer der letzten nachgeht, sieht kräftige Fülle der Natur, Leben und Aufstreben; er sieht die Schönheit.44) Das Handeln der Intelligenz im Naturrecht hatte die Natur nur als eine modifikable Materie produziert; es war also kein freies ideales Handeln, kein Handeln der Vernunft, sondern des Verstandes. Die ästhetische Ansicht der Natur wird nun auch aufs Sittengesetz angewandt, und freilich dürfte die Natur vor dem Sittengesetz nicht den Vorzug der Fähigkeit einer schönen Ansicht haben. Das Sittengesetz gebietet absolut und drückt alle Naturneigung nieder. Wer es so ansieht, verhält sich zu ihm als Sklave. Aber das Sittengesetz ist doch zugleich das Ich selbst, es kommt aus der inneren Tiefe unseres eigenen Wesens; und wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir doch nur uns selbst. Wer es so ansieht, sieht es ästhetisch an.45) — Wir gehorchen uns selbst, heißt, unsere Naturneigung gehorcht unserem Sittengesetz; aber in der ästhetischen Anschauung der Natur als der Äußerung der inneren Fülle und Kraft der Körper kommt kein solches Getrenntsein des Gehorchens vor, wie wir in der Sittlichkeit nach diesem System, im Sich-selbst-Gehorchen, die Naturneigung als begrenzt durch die benachbarte Vernunft, den Trieb botmäßig dem Begriff anschauen. Diese notwendige Ansicht dieser Sittlichkeit, statt eine ästhetische zu sein, muß gerade diejenige sein, welche die verzerrte, ängstliche, gepreßte Form, die Häßlichkeit zeigt.

Fordert das Sittengesetz nur Selbständigkeit als ein Bestimmen nach und durch Begriffe; und kann die Natur zu ihrem Recht nur durch eine Beschränkung der Freiheit nach dem Begriff der Freiheit vieler Vernunftwesen gelangen; und sind diese beiden gepreßten Arten die höchsten, wodurch sich der Mensch als Mensch konstituiert, so ist für den ästhetischen Sinn, der in seinem weitesten Umfange genommen werden muß, für die vollendete Selbstgestaltung der Totalität in der Vereinigung der Freiheit und Notwendigkeit, des Bewußtseins und des Bewußtlosen weder, insofern er sich rein in seinem unbeschränkten Selbstgenusse darstellt, noch in seinen eingeschränkten Erscheinungen, in der bürgerlichen Rechtlichkeit und in der Moralität, Raum zu finden; denn im ästhetischen Sinn ist gerade alles Bestimmen nach Begriffen so sehr aufgehoben, daß ihm dies verständige Wesen des Herrschens und Bestimmens, wenn es an ihn kommt, häßlich und zu hassen ist.

 

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44) Fichte, Sittenlehre, SW, Bd. IV, S. 354

45) Fichte, Sittenlehre, SW, Bd. IV, S. 354


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