Katte vor dem König
Am 15. August wußte der in Berlin zurückgebliebene Grumbkow von dem Fluchtversuche des Kronprinzen, und am folgenden Tage war es in der Stadt herum. Gleichzeitig mit der Nachricht an Grumbkow war auch bei dem Feldmarschall von Natzmer der Befehl eingetroffen: »den Leutnant von Katte vom Regiment Gensdarmes verhaften und auf die Wache seines Regiments abführen zu lassen«.
Kein Zweifel, daß Katte, wenn er nur für seine Person besorgt gewesen wäre, vollauf Zeit gehabt hätte, sich zu retten; das ergibt sich aus den verschiedensten Angaben. Alles befleißigte sich, ihn zu warnen, und ein von Asseburg, der ihm begegnete, rief ihm zu: »Was, Katte, Sie noch hier!« Ja, man ging weiter und schob seine Verhaftung um mehrere Stunden hinaus. So wenigstens stellt es die Prinzessin Wilhelmine, die spätere Markgräfin von Bayreuth, in ihren Memoiren dar. »Der uns zugethane dänische Gesandte von Löwenör«, so schreibt sie, »hatte gehört, was sich gegen Katte vorbereitete. Sofort schrieb er an ihn und rieth ihm, aufs schnellste abzureisen, weil er unstreitig arretirt werden würde. Katte bat sich in Folge dieser Benachrichtigung einen ›kurzen Urlaub‹ aus, der ihm – da sein Regiments-Commandeur, Oberst von Pannewitz, von den umlaufenden Gerüchten zu jener Stunde noch nichts gehört haben mochte – auch ohne Weiteres bewilligt wurde. Und so war denn eine vorzügliche Gelegenheit zur Flucht gegeben. Aber Katte sah sich verhindert, unmittelbaren Gebrauch davon zu machen, weil ein Sattel, in dem er Geld und Werthsachen zu verbergen vorhatte, leider noch nicht fertig war. So verging Zeit. Diese wandte er an, um alle Papiere zu verbrennen. Das war gut. Und nun endlich kam das Pferd, der Sattel war da, und er wollte es eben besteigen, als der Feldmarschall von Natzmer (in Wahrheit war es der vorgenannte Oberst von Pannewitz) erschien, um ihn im Namen des Königs zu verhaften. Katte übergab ihm, ohne die Farbe zu wechseln, den Degen und wurde sogleich auf die Wache des Regiments abgeführt. Man legte all' seine Sachen in Gegenwart des Feldmarschalls – der betretener als sein Gefangener schien – unter Siegel. Der alte Herr hatte länger als drei Stunden mit Ausführung des königlichen Befehls gezögert und war sehr böse, Katten noch, vorzufinden.«
So die Markgräfin in einer durch die ganzen Memoiren sich hinziehenden Mischung von Falschem und Richtigem. Übrigens wird, von Namensverwechslungen und ähnlichen kleinen Irrtümern ganz abgesehen, auch das, was Katte den rechten Augenblick zur Flucht versäumen ließ, von verschiedenen Personen sehr verschieden angegeben. Friedrich II. selbst soll später zu dem englischen Gesandten Sir Andrew Mitchell von einem »Liebesverhältnis« gesprochen und dieses als Grund der Versäumnis bezeichnet haben. Mir, offen gestanden, noch unwahrscheinlicher als der »verspätete Sattel«. Nach dem Bilde, das ich aus der Lektüre der zeitgenössischen Aufzeichnungen gewonnen habe, liegen die Dinge viel natürlicher und namentlich viel ehrenvoller für Katte. Er war einfach mit Aufträgen und Verpflichtungen überbürdet, indem er, wie schon angedeutet, nicht bloß an sich, sondern vor allem auch an den Kronprinzen, an die Königin und die Prinzessin Wilhelmine zu denken hatte. Und so glaube ich ihm nur gerecht zu werden, wenn ich ihn als ein Opfer seiner ritterlichen Gesinnung hinstelle, der er denn auch – was im übrigen immer seine Fehler gewesen sein mögen – bis zum letzten Atemzuge treu geblieben ist.
Aber kehren wir zu den Ereignissen selbst zurück.
Am 27. war der König von Wesel her in Berlin eingetroffen und hatte schon zwei Stunden später den Arrestanten von Katte vorfordern lassen. Es war ein schwerer Gang. Die Prinzessin Wilhelmine stand an einem der hohen Fenster und sah den Unglücklichen über den Schloßplatz führen. »Er war bleich und entstellt«, so schreibt sie, »nahm aber doch den Hut ab, um mich zu grüßen. Hinter ihm trug man die Koffer meines Bruders und die seinen, welche man weggenommen und versiegelt hatte. Gleich darauf erfuhr der König, dessen Empörung bis dahin sich gegen uns gerichtet hatte, daß Katte da sei. Und er verließ uns nun, um den Ausbrüchen seines Zornes ein neues Ziel zu geben.«
Als Katte den Gefürchteten vor sich sah, warf er sich vor ihm nieder. Der König aber riß ihm das Johanniterkreuz vom Halse, mißhandelte ihn mit dem Stock und trat ihn mit Füßen. Alsdann befahl er dem schon vorher herbeigerufenen Generalauditeur Mylius, unverzüglich mit dem Verhör zu beginnen. Katte bewies eine Standhaftigkeit, die den König in Verwunderung setzte, und gestand nur ein, von der Flucht des Kronprinzen gewußt und die Absicht, ihm zu folgen, gehabt zu haben. Auf die Frage jedoch, »an welchen Hof der Prinz sich habe begeben wollen«, antwortete er, »das wisse er nicht«. Und danach wurde er in die Gensdarmenwache zurückgebracht.
Während der Septemberwochen – auch noch bis in den Oktober hinein – folgte nunmehr Verhör auf Verhör, und als endlich mit Hilfe derselben ein ausgiebiges Material zur Anstrengung eines prozessualischen Verfahrens gesammelt war, wurde die Voruntersuchung geschlossen und ein Kriegsgericht, das über fünf Angeklagte, in erster Reihe aber über den Kronprinzen Fritz und den Leutnant von Katte zu befinden hatte, zusammenberufen.