Otto Christoph von Sparr
wurde mutmaßlich 1605 aus der Ehe Arndts von Sparr mit Emerentia von Seestedt 68) auf dem Schlosse zu Lichterfelde geboren.
Die Jugend Otto Christophs hüllt sich in Dunkel. Ob er sich im Parke zu Lichterfelde oder im Garten zu Prenden – dessen Mitbesitzer sein Vater war – umher tummelte, ob er im Hause des letzteren oder in der benachbarten Hauptstadt erzogen wurde, was und wo er war, als die ersten jener Gewitterwolken heraufzogen, die dann dreißig Jahre lang über dem unglücklichen Lande stehen sollten – darüber verlautet nichts und wird auch in Zukunft wenig verlauten, denn es war eine eiserne Zeit, die wenig schrieb und am wenigsten bei Jugendgeschichten verweilte. Annehmen aber dürfen wir, daß die Erziehung unseres Sparr eine sorgfältige war, da wir im weiteren zu zeigen haben werden, daß er keineswegs jenen abenteuernden Naturen zugehörte, die, voll Mut und Rücksichtslosigkeit, auf dem Boden des Krieges rasch emporwuchsen, sondern umgekehrt in Wissenschaften glänzte, die ihn befähigten, Befestigungen zu leiten und Feldzugspläne zu entwerfen. Ein im Auftrage des Kurfürsten von ihm angefertigtes Memorial über »Kriegsführung gegen die Türken« ist ein Meisterstück einfach klarer Darstellung, und unter den verschiedenen Städten, an deren Befestigung er erfolgreich gearbeitet, werden Peitz, Hamm, Berlin und Magdeburg vornehmlich genannt. König rühmt von ihm, daß er fortgesetzt habe, was in der Kriegskunst siebzig oder achtzig Jahre vor ihm durch Rochus von Lynar begonnen worden sei.
Wahrscheinlich um 1626 trat er, wie so viele andere Märkische vom Adel, in die Dienste des Kaisers. Den Forschungen Theodor von Mörners ist es geglückt, auch über diesen weitzurückliegenden Abschnitt einiges Licht zu verbreiten und unseren Otto Christoph, zumal während des letzten Jahrzehnts des Dreißigjährigen Krieges auf seinen Kreuz- und Querzügen in Pommern, in der Mark, im Westfälischen und am Rhein zu begleiten. Wir leisten aber darauf Verzicht, jenen Forschungen an dieser Stelle zu folgen und begnügen uns damit, hervorzuheben, daß unser Sparr die Lützener Schlacht wahrscheinlich als Kaiserlicher Hauptmann mitmachte. Fünf Jahre später erblicken wir ihn in bestimmterer Gestalt bei einem versuchten, aber mißglückten Sturm auf Stargard, und im selben Jahre noch (1637) als Kommandanten von Landsberg an der Warthe. Der Klagen über ihn, namentlich von seiten der Küstriner Regierung, waren damals viele: »Er habe die Regalien angetastet, sich das Kurfürstliche Metzkorn angemaßt, ohne Zahlung zu leisten, habe die Zollrolle bedroht, den Mühlenmeister unschuldig in Ketten gelegt und tausend Schafe aus der Kurfürstlichen Schäferei zu Kartzig weggetrieben.« Anklagen, die bei der sicherlich nicht angeborenen Rauf- und Raublust unseres Sparr nur aufs neue zeigen, wie der Krieg seine eigenen Gesetze hat, zumal der Dreißigjährige, dem ja Zeit gegeben war, seinen Kodex zu schreiben und einzubürgern.
Endlich kam der Frieden, und Deutschland suchte sich wieder an einen Zustand zu gewöhnen, an den es kaum noch geglaubt hatte.
Kurfürst Friedrich Wilhelm, dessen Jugend in das wildeste Treiben des Krieges gefallen war, nahm aus den Wunden und Wirren jener Zeit eine Lehre mit in den Frieden hinüber und zwar die: »daß ein Land verloren sei, das sich nicht selbst zu schützen wisse«.Und mit dieser Lehre zugleich die Überzeugung, daß dieser Schutz nur aus einem hervorwachse, aus einem schlagfertigen und zuverlässigen Heere. Unter diesem Gesichtspunkte begann er den Wiederaufbau seines verwüsteten Landes. An Soldaten war kein Mangel, aber sie waren mehr eine Last als ein Segen, solange die Führer fehlten, um ihnen Halt und Ordnung zu geben. Diese Einsicht führte von seiten des Kurfürsten zur Anwerbung von Generalen, die sich im schwedischen oder kaiserlichen Dienste ausgezeichnet hatten. Joachim Hasso v. Schapelow, George Derfflinger, Joachim v. Görtzke, Otto Christoph von Sparr, alle traten zu beinahe gleicher Zeit in die Dienste des Kurfürsten über und verblieben darin, reich geehrt durch ihren Krieges- und Landesherrn, bis an ihr Ende. Die Schicksale Görtzkes und Sparrs zeigen viel Übereinstimmendes. Beide reich begüterten Familien des Landes Barnim angehörig, verloren sie diese Güter während langer Kriegsläufte, kehrten endlich, nach zwanzig- oder dreißigjähriger Abwesenheit, in den Dienst ihres Landesherrn zurück und brachten es, an derselben Stelle fast wo sie geboren waren, zu neuem reichen Besitz und immer wieder wachsenden Ehren.
Die Verhandlungen mit Sparr begannen 1649 und führten rasch zum Ziele. Aber erst 1651 erfolgte sein wirklicher Eintritt in das neugebildete Heer.
Die nun folgenden Jahre seines kurfürstlichen Dienstes zerfallen in eine Kriegs- und Friedensepoche. Den Mittelpunkt jener, von 1651 bis 1657, bildete der polnisch-schwedische Krieg. Wir werden bei den Ereignissen desselben einen Augenblick zu verweilen haben.
In Schweden war Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken der Königin Christine als erwählter König gefolgt und nahm mit Leidenschaft die Idee auf, die seit fast einem halben Jahrhundert die schwedische Politik bestimmt hatte: die Gründung eines Baltischen Reiches. Pommern, Preußen und die jetzt speziell sogenannten Ostseeprovinzen sollten teils erst erobert, teils fester dem schwedischen Reich eingefügt werden. Es war eine Machterweiterung vor allem auf Kosten Polens, und Karl Gustav suchte sich dazu des brandenburgischen Beistandes zu versichern. Der Kurfürst lehnte jedoch, solange er noch freie Hand hatte, das ihm zugemutete Bündnis ab und zog in seinen preußischen Provinzen ein Heer zusammen, dessen nächster Zweck eine bewaffnete Neutralität war. In Wirklichkeit aber kam die Aufstellung dieses Heeres einem Bündnisse mit Polen gegen Schweden gleich. Das Heer selbst war ansehnlich. Es bestand aus 26800 Mann mit vierunddreißig Geschützen und hatte in Otto Christoph von Sparr seinen obersten Befehlshaber.
So standen die Dinge im Sommer 1656.
Wenige Monate jedoch änderten die Sachlage. Dem raschen Vordringen Karl Gustavs hatte sich das schlecht gerüstete Polen fast ohne Widerstand unterworfen, Johann Kasimir war aus Warschau geflohen, und die schwedische Kriegswelle, wenig geneigt sich in ihrem Siegeslaufe hemmen zu lassen, schickte sich eben an, das vom brandenburgischen Heere besetzte Preußen zu überschwemmen. Jetzt war für den Kurfürsten der Moment gegeben, den Kampf gegen das herausfordernde Schweden aufzunehmen, aber voll Mißtrauen in seines Landes Kraft, das damals noch keine glänzende Kriegsprobe bestanden hatte, vermied er den angebotenen Kampf und löste das stille Bündnis mit Polen, um dafür in ein offenes Bündnis mit Schweden gegen Polen einzutreten. Was er ein Jahr vorher den schwedischen Bitten abgeschlagen hatte, gewährte er jetzt rasch und rückhaltlos den schwedischen Drohungen. Er gab dabei dem Gebote der Klugheit nach, vielleicht in stiller Voraussicht, daß die Stunde der Rückzahlung kommen und alte und neue Kränkung quitt machen werde.
Der Kurfürst, von seinem Standpunkte aus, war im Rechte, politisch im Rechte, das Bündnis mit Schweden zu schließen; die Polen aber hatten, von ihrem Standpunkte aus, mindestens ein gleiches Recht, dies Bündnis als Abfall anzuklagen. Und war es nun Entrüstung über eben diesen Abfall, oder war es das Gefühl einer verdoppelten Gefahr, gleichviel, dasselbe Volk, das sich beinahe widerstandslos niedergeworfen hatte, als das Kriegsgewitter über dasselbe hingezogen war, stand jetzt plötzlich aufrecht da, wie ein Ährenfeld, das der Sturm gebeugt, aber nicht gebrochen hat. Und so sahen sich denn die vereinigten Schweden und Brandenburger einem stärkeren Feinde gegenüber, als er vor seiner ersten Niederwerfung gewesen war. Die Zahl des in der Nähe der Hauptstadt aufgestellten polnischen Heeres wird verschieden angegeben und schwankt in den zeitgenössischen Berichten zwischen 40000 und 200000 Mann. Wahrscheinlich waren es 50000, eher mehr als weniger. Am 28. Juli 1656 kam es zu der berühmten dreitägigen Schlacht von Warschau.
Versuch' ich es, gestützt auf ein zum Teil widersprechendes Material, ein einigermaßen übersichtliches Schlachtbild zu geben.
Die Polen, so scheint es, hatten eine befestigte Hügelposition inne, zahlreiche Artillerie vor der Front, einiges Fußvolk am linken und rechten Flügel, und große Reitermassen im Zentrum, auf einem die ganze Stellung beherrschenden Plateau. Dies Plateau bildete den Schlüssel. Aber es erschien doppelt schwierig, sich desselben zu bemächtigen, da sich am Abhang ein dichtes Gehölz hinzog, das feindlicherseits mit den besten Fußtruppen besetzt worden war. Gehölz und Plateau deckten und unterstützten sich gegenseitig. Nur drei Wege boten sich für den Angriff:
ein Frontalangriff gegen die beiden Flügel,
oder eine Umgehung der feindlichen Stellung überhaupt,
oder drittens eine Durchbrechung des Zentrums.
Alle drei Wege wurden versucht.
Das schwedisch-brandenburgische Heer – wahrscheinlich um etwas schwächer, als das Heer Johann Kasimirs – stand in entsprechender Dreiteilung dieser formidablen Position der Polen gegenüber. Der Angriff wurde beschlossen. Am rechten Flügel kommandierte Karl Gustav die Schweden, am linken der Kurfürst eine aus Schweden und Brandenburgern gemischte Truppe, im Zentrum aber hielt Generalfeldzeugmeister von Sparr mit zwei schwedischen und fünf brandenburgischen Regimentern, einschließlich der gesamten Artillerie. Unter ihm kommandierten Graf Josias von Waldeck und Joachim Rüdiger von der Goltz. Die Schweden trugen zur Unterscheidung ein Büschel Stroh am Hut, und das Feldgeschrei war: In Gottes Namen!
So begann die Schlacht.
Am ersten Tage (28. Juli) schritten der rechte und linke Flügel zum Angriff. Aber beide Angriffe, wiewohl mit größter Bravour und unter persönlicher Anführung von König und Kurfürst ausgeführt, wurden zurückgeschlagen. Die feindliche Hügelstellung, durch Redouten doppelt fest, schien uneinnehmbar.
Am zweiten Tage versuchten die Schweden und Brandenburger eine Umgehung; aber die Polen kamen den Angreifern zuvor, und nachdem, in veränderter Schlachtstellung, um eine Dorfgasse lang gekämpft worden war, kehrten beide Armeen in ihre früheren Positionen zurück. Dieses Scheitern aller Anstrengungen auf seiten der Verbündeten mochte den Mut der ohnehin siegessicheren Polen heben, und ihre zahlreiche Reiterei ging nunmehr zum Angriff über. Vom Plateau herabsausend, an dem Gehölz vorüber, in welchem der Hauptteil ihrer Infanterie steckte, suchten sie die Schlachtreihe der Verbündeten zu durchbrechen. Aber dieser Angriff wurde von dem Zentrum unter Sparr zurückgeschlagen und mißlang ebenso, wie am Tage vorher der schwedisch-brandenburgische Angriff auf die feindlichen Flügelpositionen mißlungen war.
So kam der dritte Tag. Das Operieren mit den Flügeln war erfolglos geblieben. Es blieb also nur noch übrig, wenn man Verbrauchtes nicht wiederholen wollte, den Feind an seiner stärksten Stelle zu fassen: im Zentrum. Zu diesem Behufe war es unerläßlich, sich zuvörderst in Besitz jenes Gehölzes zu setzen, das sich am Fuße des dominierenden Plateaus hinzog. Ein Angriff auf dasselbe glich einem Verzweiflungscoup und Sparr erkannte die ganze Schwierigkeit desselben. Dennoch ging er vor und führte die Sache siegreich hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er das im Walde versteckte Fußvolk durch konzentriertes Geschützfeuer zwang, sich hügelanwärts zu ziehen, und diesen Rückzugs- und Verwirrungsmoment benutzte, das gesamte Zentrum avancieren zu lassen. Infanteriekolonnen säuberten das Gehölz, während seine Kavallerie: fünf Schwadronen brandenburgische Kürassiere, bergan stürmte und die durch ihr eigenes Fußvolk bereits in Unordnung geratene polnische Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen warf. Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Position herausgeschlagen, wandten sich die Polen zur Flucht und wurden teils in einen Morast, teils in die Weichsel getrieben. Viele der Flüchtigen ertranken.
Die Verbündeten hielten andern Tags ihren Einzug in Warschau.
Es war dies – beinahe zwanzig Jahre vor Fehrbellin, – der erste große Waffenakt der Brandenburger, die von diesem Tage an durch länger als ein Jahrhundert hin, nämlich vom 28. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757, immer siegreich kämpften. Erst der Tag von Kolin brachte die Demütigung einer Niederlage.
Wenn diese Waffentat nichtsdestoweniger halb vergessen ist, und jedenfalls nirgends im Herzen unseres Volkes fortlebt, so hat dies zunächst seinen Grund darin, daß alle Siege, bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten, immer nur dem letzteren als kriegerische Großtat angerechnet werden. Die Stärkeren verfahren dabei systematisch-absprechend und behaupten ihre Sätze so nachdrücklich und so beharrlich, daß das kleinere Volk schließlich selber glaubt, es habe eigentlich wenig oder gar nichts bei der Sache getan. Es kommt aber in dem vorliegenden Falle noch ein anderes hinzu: das ermangelnde Lokalinteresse. Fehrbellin liegt uns nah und Warschau liegt uns fern. Bis diese Stunde feiern wir Großbeeren und Dennewitz auf Kosten größerer und entscheidungsreicherer Aktionen, nur weil uns an beiden Tagen allerpersönlichst das Feuer auf den Nägeln brannte. Die Menschen sind Egoisten in allen Stücken. Auch in diesen.
Die Beschreibungen der Schlacht von Warschau pflegen Sparrs und seines ausschlaggebenden Angriffs immer nur obenhin zu erwähnen, was uns, aus schon angeführten Gründen, eben nicht wundernehmen darf. Pufendorfs »De rebus a Carolo Gustavo gestis« kam den Schweden zugute, nicht uns, und im eigenen Lande entbehrten wir der Chronisten, die sich unsers brandenburgischen Feldherrn angenommen hätten. So müssen wir denn, was die hervorragende Mitwirkung des letzteren an der großen, dreitägigen Aktion angeht, uns mit einem mittelbaren Beweise begnügen, den wir am besten in den Auszeichnungen finden, die der Kurfürst von jenem Tage an für unseren Otto Christoph von Sparr hatte. Am 26. Juni 1657 wurde er zum Generalfeldmarschall ernannt und sein Gehalt auf eine für die damalige Zeit überraschende Höhe festgesetzt. Er erhielt 800 Taler monatlich, Futter für 40 Pferde und Verpflegung für eine zahlreiche Dienerschaft.69) Auch Karl Gustav, unter dessen Augen er bei Warschau gekämpft hatte, bestätigte das Entscheidende des Sparrschen Angriffs, indem er kurz nach der Schlacht von ihm sagte: »Dieser alte Vater Sparr hat sich als ein kriegskundiger General erwiesen. Er hat seines Amtes unerschrocken gewaltet und alles weislich hinausgeführt.«
Der schwedisch-polnische Krieg verlief nicht plötzlich. Wir verfolgen unsern »Feldmarschall« aber nicht weiter auf seinen Zügen durch Pommern und Mecklenburg, bis nach Holstein und Jütland hinauf, sondern wenden uns vielmehr jenem letzten Abschnitte seines Lebens zu, der dem am 3. Mai 1660 geschlossenen Frieden von Oliva folgte.
Ruhmgekrönt kehrte Sparr in die Heimat zurück. Er war der erste Mann im Lande und nahm an Rang und Ansehen dieselbe Stellung ein, wie sie fünfzehn Jahre später der alte Derfflinger innehatte. Er war der Beirat und Vertraute seines Fürsten, besaß Schlösser und Häuser 70) und im Lande Barnim die Güter: Prenden, Trampe, Lanke, Ützdorf, Heckelberg, Dannenberg und Tiefensee.
Und betrachten wir nun den Inhalt dieser letzten Lebensjahre, so werden wir nicht ohne eine gewisse Rührung gewahr, wie der alte Kriegsmann in wenig Friedensjahren nachzuholen trachtet, was er in einem Leben voll Krieg und Unruhe versäumt. Aus allem spricht das tiefe Verlangen nach Auferbauen, die Sehnsucht nach Sammlung, nach Frieden in sich und nach Frieden mit Gott. Unser Sparr ist nicht länger mehr der Oberst Sparr, über den die Küstriner Kammer klagt, »daß er den Mühlenknecht in Ketten gelegt und das Volk gedrückt habe«, nein, er, dessen Scharen so manche Kirche gestürmt und erbrochen, stellt sein Herz jetzt auf die Tröstungen der Kirche und zeigt sich beflissen, ihre Gnaden durch Demut und Wohltun und frommen Wandel zu verdienen. Wenn es daneben noch ein anderes, ein mehr auf diese Welt gerichtetes für ihn gibt, so ist es der verzeihliche Wunsch, sein eigenes Leben zu einer Abrundung zu bringen und seinen und seines Geschlechtes Ruhm der Nachwelt zu überliefern. Eine Familienstiftung und die Herstellung eines prächtigen Erbbegräbnisses beschäftigen ihn. Aber seine reichen Mittel und seine Sorgen gehören doch in erster Reihe dem Allgemeinen. Er baut Kirchen und Türme, schenkt Glasmalereien und Glocken, und vor allem ist es die Marienkirche zu Berlin, die sich in jeglicher Weise seines Beistandes in Not und Gefahr erfreut. Im Jahre 1661 wurde die Turmspitze vom Blitz getroffen und die hervorbrechenden Flammen machten alsbald die Befürchtung rege, daß die Kirche selbst vom Feuer verzehrt werden würde. Der alte Feldzeugmeister aber wußte Rat und mit einer damals im ganzen Lande bewunderten Kühnheit und Geschicklichkeit ließ er die brennende Turmspitze herunterschießen. War er so der Retter der Kirche geworden, so war es jetzt nicht minder sein Stolz, auch der Wiedererbauer des durch ihn zertrümmerten Turms zu werden. Er schien dies zur Ehrenaufgabe seiner letzten Lebensjahre machen zu wollen, überschätzte jedoch seine Mittel und führte dadurch seinen eigenen Ruin herbei, ohne seinen Lieblingswunsch erfüllt zu sehen. Seine Erben haben später ihrer Mißbilligung dieses frommen Eifers kein Hehl gehabt und nach seinem Tode folgende Worte des Evangelisten Lukas auf eine Kupfertafel niederschreiben lassen: »Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will, und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er's habe hinauszuführen! Auf daß nicht, wo er den Grund gelegt hat und kann's nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an seiner zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hub an zu bauen und kann's nicht hinausführen. Oder, welcher König will sich begeben in einen Streit wider einen andern König, und sitzet nicht zuvor und ratschlaget, ob er könne mit zehntausend begegnen dem, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?«
Hand in Hand mit dem Turmbau, der Armut hinterließ, wo Reichtum gewesen war, ging die Erbauung eines Sparrschen Erbbegräbnisses,71) das bis diesen Augenblick nicht bloß eine Zierde der Marienkirche, sondern ihre größte Sehenswürdigkeit ausmacht. Ob es ihm vergönnt war, sein gebeugt Gemüt an der Schönheit jenes prächtigen Marmorbildes aufzurichten, das, von der Hand des Artus Quellinus, den Eingang zur eigentlichen Gruft umgibt, oder ob er hinstarb, ehe es vollendet war, sind Fragen, die wir unentschieden lassen. Krank an Körper und Seele verließ er im Frühjahr 1668 die Hauptstadt, um sie mit Augen nicht wiederzusehen. Er mochte fühlen, daß sein Ende nahe sei. Am 3. Mai vermachte er der Freifrau Luise Hedwig von Blumenthal, der Tochter seines Freundes Otto von Schwerin, sein Stadthaus in der Spandauerstraße; sechs Tage später schied er aus dieser Welt, am 9. Mai 1668, auf seinem Lieblingsschlosse zu Prenden. Der reiche Mann, der hochgestellte Diener seines Fürsten, starb in Dürftigkeit. Die Leichenpredigt, die Propst Andreas Müller hielt, konnte wegen Mangels an Geld nicht gedruckt werden, und noch 1675 also sieben Jahre nach Sparrs Tode, bat der Propst bei den Erben desselben um Zahlung gehabter Unkosten und Auslagen. Die Beisetzung der Leiche erfolgte, wie das alte Kirchenbuch von St. Marien besagt, »am 12. Mai, abends in der Still', im Beisein vornehmer Leute«.
Turm und Erbbegräbnis, die beiden Denkmale, die sich der Feldmarschall bei Lebzeiten gesetzt, hatten ihn zum armen Manne gemacht. Aber, wie so oft, was ihn erniedrigt hatte, hatte ihn auch erhöht. Turm und Erbbegräbnis sind es, die seinen Namen in der Erinnerung der Nachwelt festgehalten haben und bis diesen Tag von einem Ruhm erzählen, der ohne das ernste, halb rätselvolle Steinbild des Artus Quellinus, vergessener wäre, als er es ist.
*
Die Geschichte vom alten Sparr hatte, seit meinen Kindertagen, immer den Zauber jener unbestimmten Linien für mich gehabt, die mehr ahnen lassen als geben, und, so seltsam es klingen mag, ich machte mich auf den Weg nach Prenden in einer gewissen Gehobenheit der Stimmung, als wanderte ich in altes, romantisches Land.
Und es ist auch ein romantisches Land, märkisch- romantisch.
Von Biesenthal aus, – einem Städtchen, das seinerseits wie eine holprige Idylle in der Talrinne des Finowflusses liegt – haben wir noch eine halbe Meile, und diese halbe Meile führt durch eine Art Musterstück heimatlicher Landschaft. Wie Linien, die über ein Blatt gezogen sind, laufen zahlreiche Hügelreihen von Ost nach West, und da wir in senkrechter Linie gegen Norden müssen, so haben wir das Terrain in vollkommener Wellenbewegung zu durchschreiten. Die Hügel sind von einer äußersten Sterilität, kaum eine Moosschicht hat sich darauf niedergelassen, und ihr ganzes Erscheinen erinnert lebhaft an die Sanddünen der Ostsee. Zwischen den Hügeln aber dehnt sich jedesmal ein grüner Streifen, aus dessen Mitte leise gekräuselte Wasserflächen, mal dunkel wie ein Teich, mal blau wie ein See, hervorblicken. Alles Lebendige scheint diese Öde zu meiden, keine Lerche wiegt sich in Lüften, kein Storch stolziert den Sumpf entlang, nur eine Krähe fliegt gleichgültig über die Landschaft hin, wie ein Bote zwischen dem vor uns liegenden Wald und dem Biesenthaler Kirchturm in unserm Rücken.
Die Krähe passiert diese Gegenden wie wir, sie wohnt nicht darin.
Ein halbstündiger Gang in dem mahlenden Sande hat uns endlich an eine tiefere Talschlucht geführt, und die andere Seite derselben hinaufsteigend, treten wir ein in die Stille des Waldes. Das Wellenterrain bleibt dasselbe, aber der Boden ist anders geworden und die roten Fichtenstämme steigen in schlanker Schönheit auf, während das Fehlen alles Unterholzes einen Blick weit waldeinwärts gestattet und den grünen Moosteppich in überraschender Frische zeigt. Der Forst ist von großer Längenausdehnung, aber von wenig Tiefe. So sehen wir es denn bald wieder lichter vor uns werden und fühlen jenen veränderten Luftzug, der den Ausgang des Waldes verrät. Ehe wir ihn erreicht haben, hören wir ein leises Geräusch und gewahren, zu seiten eines dichten Brombeerbusches, einen Alten, der Reisig sammelt und die zerbrochenen Zweige auf seine Karre wirft. Neben ihm liegt ein alter Spaten, um Wurzeln auszugraben, und an der obersten Karrensprosse hängt ein Korb, drin er die fleischfarbenen Reizker und die gelben Pfefferlinge sammelt, die ihm sein gutes Glück als Zugabe beschert.
Der Alte selbst trägt Strohhut und Leinwandjacke und zeigt nichts Auffälliges, als das Fehlen jeder Spur von Oberlippe. Mittlerweile hab' ich ihm guten Tag geboten und frage ihn, ob er aus Prenden sei?
»Joa, ick bin ut Pren'n.«
»Ist es noch weit, Papa?«
»Nei, jlieks wenn Se 'rut komen. Awers sehen künn'n Se't nich; 't liggt in'n Grunn.«
»Und ist ein Krug da?«
»Joa, twee. Een jlieks hier vörnan, wo Sparren sin Slott stunn.«
»Noch was zu sehen?«
»Veel nich. As ick in't Dörp käm (ick bin nich bürtig von Pren'n), doa stunn noch veel. Awers nu nich mihr. Ick hebb min'n Zickenstall von Oll-Sparren sin Slott bu't.«
»Und erzählen sich noch die Leute von ihm?«
»Joa, se vertellen noch veel. Und min Fru säggt immer, de grote Steen, dicht an unsern Tuun, dat wihr Sparren sin Steen. Un vördem, so meent se, sinn ook vier iserne Krampen anwest un an jede Kramp wihr wedder ne iserne Kett, un an jede Kett een von Oll- Sparren sine Skloaven. Un ook ein Linnenboom wihr doa. Awers nu is de Linn' wech, un de Krampen sinn ooch wech. Man bloot den groten Steen, den hebben se liggen loaten. He mücht' wohl en beeten to sweer sinn.«
»Sonst nichts, Papa?«
»Duch, duch. Se vertellen noch allerhann anne dumm Tüüch un dohn joa binah, as wenn he de Düwel selber west wihr. Se seggen, he föhr nich giern dörch'n Sann, und wenn he sinen Mantel antrecken deih, denn wihr et mit eens, as en groten Winn, un Kutsch un Pird un allens geng heidi dörch de Luft. Mal eens verluhr sin Kutscher sin' Pietsch, un wull sich büggen. Awers Oll-Sparr heel' em von hinnen her fast un seggte man bloot: ›Vergett nich, mien Söhn, wo du bist.‹ Un as de Kutscher den annern Dag durch Biesenthal torügg föhr, doa seech he, dat sien Pietsch an'n Biesenthalschen Kirchturm hängen deih. Awers ich glöv et nich. Ick bin nich bürtig vunn Pren'n.«
»Ich glaub' es auch nicht, aber man kann doch nicht wissen.«
»Nei, weeten kann man't nich. Un se seggen ook, he spökt in dissen Wald, hier so rümmer. Un ick hebb' ook all so watt hürt, as wie Pietschenknall'n un Pruhsten, un as ob een' vunn wiet aff lachen deih. Nei, weeten kann man't nich.«
»Adieu Papa, und seht Euch vor.«
»Wovor?«
»Vor'm alten Sparr.«
Er lachte und rief mir nach: »Nei, nei, de Sünn is joa noch an'n Hewen. Un he kümmt nich an hell'nlichten Dag.«72)
Es war, wie der Alte gesagt hatte, Prenden versteckte sich. Aber in einiger Entfernung drehte sich eine Mühle langsam im Winde. Dort mußt' es sein.
Und dort war es wirklich. Kaum, daß ich die Mühle passiert hatte, so stand ich abermals an einem jener vielen Taleinschnitte, die hier das Hügelland durchziehen, und sah, über die Kronen der unten stehenden Bäume hinweg, in Dorf Prenden hinein. Ich werde dieses Anblicks nicht leicht vergessen. Nach rechts hin dehnte sich ein stiller, graublauer See mit breitem Sandufer, während sich zur Linken ein durch Gartenland und bestellte Äcker hinplätscherndes Fließ in Wald und Wiese verlor. Dazwischen aber – dem Lauf des Tales nicht folgend, sondern die Längslinie desselben quer durchschneidend – lag das Dorf, auf seinen zwei höchsten Punkten Schloß und Kirche tragend.
Die bunten Farben eines Herbsttages steigerten noch den Reiz des Bildes.
Ich durchschritt das Dorf, um zuerst die jenseits gelegene Kirche nach ihren etwaigen Schätzen zu durchforschen. Konnte nicht Edell Sparr ein Marmordenkmal im hohen Chor oder Emerentia von Seestedt einen Denkstein vor dem Altar haben? Die Hoffnung war gerechtfertigt, aber sie blieb unerfüllt, und ich habe selten einen freudloseren Platz betreten. Malerisch hatte mich die Kirche von der andern Seite des Hügels aus gegrüßt, nun erst sah ich, daß alles nicht viel anderes als eine Landschaftskulisse gewesen war. Das Innere kahl, der Kirchhof verödet, und kein Andenken erfindbar, als das eine, das sich der Feldmarschall selber gestiftet: zwei schöne Glocken, deren Inschriften unter einer Kruste von Schwalbenguano meiner Entzifferungskunst spotteten.
Und so hatte ich denn Einblick in eine Kirche getan, deren gesamter Kunstschmuck ein zerbrochener Rest eines Altarschnitzwerks und deren historisches Glanzstück, außer den zwei Glocken, eine vereinzelte Kriegsdenkmünze vom Jahre 1813 war.
Ich war enttäuscht, aber nicht verstimmt, denn Kirchhof und Kirche hatten als Musterstücke in ihrer Art zu mir gesprochen. Auch hatte ich bald der Öde vergessen, als die Dorfstraße mich wieder aufnahm. An hohen Stangen reiften die Saatbohnen für das nächste Jahr, und der eigentliche Baum an dieser Stelle schien der Holunderbaum zu sein, dessen schwarzrote Beerenbüschel über alle Zäune hingen. Diese selbst aber waren mehr in graue Flechten als in grünes Moos gekleidet und der Rauch stieg langsam und mühevoll auf, als läg' ein Druck auf allen Dächern.
So kam ich an den diesseitigen Krug, genau die Stelle, wo vordem die Einfahrt in den Schloßhof war. Die Krügerin berichtete mir ähnliches, wie der alte Reisigsammler, und fuhr dann, indem sie mich plaudernd an die Kirchentüre führte, fort: »Hier links und rechts waren die Karpfenteiche, soweit das Kohlfeld reicht, und weiterhin, wo Sie den Türkischen Weizen sehen, da fing der Obstgarten an. Dies hier herum war Hof. Mein Mann hat es gekauft: Krug und Schloß und Garten, und alles was auf und in der Erde ist.« Auf meine Frage, »ob viel in der Erde sei«, antwortete sie zustimmend und erzählte mir, daß nicht nur der Ziegenstall des alten Reisigsammlers, sondern auch die Wirtschaftsgebäude des Krügers aus dem bequemen Steinbruch des ehemaligen Sparrenschlosses gebaut worden seien.
Ich trat nun in den Garten, um die Reste, die bis dahin der Spreng- und Grabekunst der Prendener gespottet haben mochten, in Augenschein zu nehmen. Anfangs empfing ich nur den Eindruck einer unentwirrbaren Masse, bald aber fand ich mich zurecht und konnte mit Hilfe der nach zwei Seiten hin völlig intakt erhaltenen Fundamente die Grundform des alten Schlosses unschwer verfolgen. Es scheint ein Gebäude von fünfzig Fuß Länge und halb soviel Tiefe gewesen zu sein, an das sich nach der Hofseite hin ein Turm, wahrscheinlich der Treppenturm, anlehnte. Die schön gewölbten Keller sind noch teilweis im Gebrauch, ja, bis vor kurzem ließ sich das ganze Souterrain durchschreiten, und Küche und Waschküche (mit dem eingemauerten Kessel) waren unverkennbar. Die Festigkeit dieser Grundmauern ist ihre Rettung gewesen, und ist es noch, sonst würden auch sie bald verschwunden sein, um als Stallgebäude wieder aufzuwachsen. Ein bescheidenes Maß von Schutz mag ihnen auch der Umstand gewähren, daß sie hoch mit Erdreich überschüttet sind, so daß Birnbäume darauf wachsen und Hagebuttensträucher eine Art lebendiger Hecke bilden.
Ich pflückte mir einen Zweig, an dem bereits die roten Beeren hingen, und steckt' ihn an den Hut. Und als ich bald darauf wieder auf der Höhe des Hügels stand und noch einmal in das verschleiert daliegende Dorf zurückblickte, das jetzt, bei niedergehender Sonne, in wunderbaren Farben schwamm, klang, von der andern Hügelseite her, die Betglocke zu mir herüber. Es war eine der alten Sparren-Glocken, und es klang mir, als riefe sie mir einen Gruß nach und einen Dank für freundliches Gedenken.
Und nun trat ich, weiterschreitend, in den dunkel gewordenen Forst und die Fichtenkronen neigten sich tief im Abendwind. Ein Rauschen ging voll und wachsend durch den Wald. Ich zuckte zusammen, halb in Lächeln und halb in Bangen, und murmelte vor mich hin: »Sparr kümmt, – man kann et nich weeten.«
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68) Arndt von Sparr war dreimal vermählt und zwar: mit Edell von Sparr, gest. im Kindbett am 13. November 1599, mit Emerentia von Seestedt und mit Katharina von Ribbeck. Nach Angabe des Sparrschen Biographen König wäre Otto Christoph ein Sohn der Edell Sparr gewesen; Theodor von Mörner aber hat in seinem vorzüglichen Werke: »Märkische Kriegsobersten des 17. Jahrhunderts« diese Königsche Angabe widerlegt.
69) Wegen schlechter Finanzlage des Landes wurden die Gehälter bald darauf (1660) herabgesetzt und Sparr erhielt von da ab nur noch ungefähr 500 Tlr. monatlich und 120 Scheffel Korn.
70) Das Stadthaus des Feldmarschalls lag in der Spandauerstraße und bildet jetzt mit seinen Seiten- und Hintergebäuden den dritten Posthof. Unmittelbar zur Linken, wenn man aus dem zweiten Posthof in den dritten eintritt, befindet sich ein in Stein gehauenes Brustbild des alten Sparr und unter demselben folgende, im Auftrage der Baronin von Blumenthal (geb. von Schwerin) angefertigte Inschrift: Aeternitati sacer heros Illustriss. L. B. Otto Christoph de Sparr Coeli possessiones occupaturus Gratam circumspexit posteritatem Et linqendae huic sedi Singulari mentis destinatione Heredem fecit Illustriss. dominam Loysam B. de Blumenthal Ex Domo Schvverinia Atque ea Testatura benefico cineri Qvanti fecerit hoc inter vivos donum Simul Ut perennius esset Generosae mentis monumentum Ingenti id sumptu A damnosa die vindicavit et restituit In firmitatem et decus hoc Qvod lector prospicis Servet hunc verticem salus Et limen custodiat Jehovae vigil. oculus Heroi autem nostro In sion esto habitatio Et in pace locus ejus. P. J. J. Anno CDDCLXVIII. (In der Mitte des vorigen Jahrhunderts gehörte das Sparrsche Stadthaus dem Minister Adam Otto von Viereck.)
71) Das Sparrsche Erbbegräbnis in der Marienkirche besteht in einem an der Nordseite des Chores gelegenen Anbau, dessen oberer Teil einen kleinen, jetzt zum Teil zur Bibliothek eingerichteten Saal enthält. Darunter befindet sich die eigentliche Gruft, über deren am inneren Chor befindlichen Eingange sich das Grabdenkmal von weißem Marmor erhebt. Dasselbe zeigt, in architektonischer Einfassung von zwei Säulen nebst Sims, einen etwas überlebensgroßen, geharnischten Mann, kniend vor einem Pult, auf welchem ein Buch nebst Totenkopf und Kruzifix. Hinter dem Betenden, zur Linken des Beschauers, ein helmtragender Edelknabe in ganzer Figur. Unter der Decke des Pultes schaut mit nach seinem Herrn gewandten Kopfe ein Hund hervor. An der mit leiser Architekturandeutung versehenen Fläche hinter der Hauptfigur stehen in deutscher Sprache die Verse Hesek. 37, 3 – 6 und Hiob 19, 25. Über dem Sims eine gleichsam zum Giebel sich gestaltende Gruppe: inmitten das einfache Sparrsche Wappen von Mars und Minerva gehalten, zu deren Seiten je zwei an Geschützen gefesselte sitzende Figuren. Dahinter eine Anzahl Fahnen. Das ganze im Übergang von Renaissance zum Barockstil, trägt zwar in der gebotenen herkömmlichen Anordnung die Manier oder den Charakter der Zeit, erweist sich dagegen in seiner Ausführung höchst verdienstlich. Ist gleich ein geharnischter Mann der möglichst ungünstige Gegenstand für Skulptur, so sind doch Kopf und Hände der knienden Hauptfigur vortrefflich modelliert, überhaupt aber ist im ganzen, wie in den Teilen, zumal in den Nebenfiguren, ein künstlerisch modifizierter Realismus unverkennbar. Es offenbart sich darin etwas von dem kräftigen Geiste Schlüters, verbunden mit einem Anfluge jener Manier, die die französische Bildhauerkunst des vorigen Jahrhunderts beherrschte. Wer das Werk schuf, ist nicht mit Sicherheit festgestellt. Die Tradition nennt den jüngeren Artus Quellinus, einen Holländer, den Sohn und Schüler seines gleichnamigen Vaters. Das Denkmal selbst trägt weder Namen noch Chiffre.
72) Es ist sehr interessant zu verfolgen, in welcher Art und nach welchen Gesetzen das Volk sich seine Helden ausstaffiert. Es verfährt dabei lediglich nach einem ihm innewohnenden romantischen Bedürfnis und ist gegen nichts gleichgültiger, als gegen den wirklichen historischen Sachverhalt. Otto Christoph von Sparr war in den letzten zehn Jahren seines Lebens ein frommer Kriegsheld. Hätte seine Frömmigkeit nach außen hin in irgend etwas Wundersamem eklatiert, so würde diese eklatante Tat für das Sagenbedürfnis der Prendener Stoff und Anlehnung geboten haben; da Sparrs Frömmigkeit aber stille Wege ging und alles frappierend Wundersame vermied, so war sie für die Prendener so gut wie gar nicht da, die denn auch sein Leben um Züge befragten, die mehr in die Augen sprangen. Da hörten sie von Türkenzügen, vom Niederschießen des Marienkirchturms, von Kettenkugeln, von seinen sonstigen Wundern als Artilleriegeneral, und der Zauberer war fertig. Er hat nun Fausts Mantel und fährt, wie Derfflinger, über die Kirchtürme hin, an denen der eine die Peitsche des Kutschers, der andere die Teerbutte seines Wagens hängen läßt. Was den Stein mit den Krampen und Ketten und den vier Sklaven angeht, so ist es ersichtlich, daß das Reiterbild des Großen Kurfürsten, mit den vier Gefesselten am Sockel desselben, zu dieser wie zu ähnlichen Sagen Veranlassung gegeben hat.