Hans Albrecht von Barfus


Der jetzt alles vermag und kann,

War erst nur ein schlichter Edelmann,

Und weil er der Kriegsgöttin sich vertraut,

Hat er sich diese Größ' erbaut.

Schiller


Hans Albrecht von Barfus ward inmitten der Drangsale des Dreißigjährigen Krieges 1635 zu Möglin geboren und diese Drangsale waren es auch wohl, die seiner Erziehung und Bildung ein fast allzu geringes Maß gaben. Das Militärische trat von Anfang an in den Vordergrund und wurde Schule fürs Leben und Staffel zum Glück.

Hans Albrecht trat früh in Dienst. Es war die Zeit, wo die Söhne des Adels anfingen, den Krieg, aus eigenem Drang heraus, als Metier zu betreiben. Die Höfe lagen wüst, die Zeiten waren unsicher. Zudem entstanden eben damals die stehenden Armeen und brauchten Offiziere. Hans Albrecht diente »von der Pike auf«, ein Umstand, dessen er sich in seinen Feldmarschallstagen gern zu rühmen pflegte.

Seine ersten Feldzüge machte er unter Sparr, Derfflinger und Görtzke. Er focht mit in Polen, in Pommern, in Preußen und am Rhein. Bei Fehrbellin war er höchst wahrscheinlich nicht, da er beim Fußvolk stand, das brandenburgischerseits in dieser Reiterschlacht fast gar nicht zur Verwendung kam. Auch Schöning, aus gleichem Grunde, fehlte bei Fehrbellin. Im übrigen begann schon damals die Differenz zwischen beiden, auch in ihrer äußeren Stellung hervorzutreten. Es durfte nicht wundernehmen. Schöning war der Ausnahme-, Barfus der Durchschnittsmensch, und wenn jener den Mann der »großen Karriere« repräsentierte, so repräsentierte dieser den Mann der Anciennität und Subalternität. Freilich war er seinerseits wieder ein subalternes Genie und gehörte jener Klasse von Leuten an, die eine mäßige Begabung glücklich und segensreich für sich und mitunter auch für andere zu benutzen wissen. Ihre Tugenden sind Charaktersache und ihre Genialität heißt: Abwarten, Ausdauer, Konsequenz.

Im Jahre 1670, fünfunddreißig Jahre alt, war unser Hans Albrecht noch Leutnant, aber sei es, daß die immer rascher sich folgenden Kriegszüge ihm eine wachsende Gelegenheit boten sich auszuzeichnen, oder daß das Glück, das ihm bis dahin so wenig hold gewesen war, plötzlich seine Gunst ihm zuwandte, gleichviel, mit fünfunddreißig Jahren noch Leutnant, war er mit dreiundvierzig Jahren bereits Oberst eines Regiments und wenige Jahre später Generalmajor.64) Als solcher machte Barfus zwei Türkenzüge mit, den ersten 1683 behufs Entsatzes von Wien, den andern 1686 wegen Eroberung von Ofen. Die Belagerung dieser Festung und den besonders ruhmreichen Anteil unseres Hans Albrecht daran habe ich unter Tamsel bereits ausführlicher erzählt. Schöning wird der Ruhm nicht genommen werden können, Brandenburg damals sowohl durch sein persönliches Auftreten, wie durch den Aplomb, mit dem er seine Truppen in den Vordergrund schob, glänzend repräsentiert zu haben, glänzender wahrscheinlich, als es der ihm unterstellte Barfus vermocht hätte; dem letzteren aber bleibt seinerseits das Verdienst, in der Nähe des »Ofens, der sehr heiß war«, am andauerndsten ausgehalten und zweimal allerpersönlichst die Kastanien aus dem Feuer geholt zu haben. Seine Sturmkolonne war es, die, neben der kaiserlichen des Herzogs von Croy, über das Schicksal Budas entschied.

Zwei ruhmreiche Türkenzüge lagen hinter ihm. Aber ein dritter, ruhmreicherer stand ihm bevor. Im Jahre 1691 stieß abermals ein Korps Brandenburger als Auxiliartruppe zu den Kaiserlichen und am 19. August erfolgte angesichts von Peterwardein die große Türkenschlacht bei Slankamen. Markgraf Ludwig von Baden führte das christliche Heer. Da Barfus diesen wichtigen Tag zu »Ehren der Christenheit« entschied, so ziemt es sich wohl, bei den Details dieses Tages etwas ausführlicher zu verweilen.

Die Türken, 100000 Mann stark, hatten eine sehr feste, aber zugleich sehr gefährliche Position eingenommen, eine Position, in der sie siegen oder notwendig zugrunde gehen mußten. Sie standen nämlich mit ihrem Fußvolk, 50000 Mann, meist Janitscharen, auf den Hügeln an der Donau, den Fluß im Rücken, die Ebene vor sich. Auf dieser Ebene standen andere 50000 Mann, lauter Reiterei, Spahis. Die Janitscharen führte der Großvezier Köprülü, die Reiterei der Seraskier-Pascha. Die kaiserliche Armee war viel schwächer und betrug im ganzen kaum 50000 Mann. Den rechten Flügel führte Feldzeugmeister Graf Souches, den linken Feldmarschall Graf Dünnewald, im Zentrum aber befehligte Hans Albrecht von Barfus. Siebzehn Bataillone und einunddreißig Schwadronen standen unter seinem Kommando.

Der Plan des Markgrafen Ludwig war vortrefflich. Graf Dünnewald sollte vom linken Flügel her mit fünfundachtzig Schwadronen die Spahis von der Ebene fortfegen und Graf Souches, in Benutzung dieses Moments, die Hügelposition erstürmen. Aber der große Reiterangriff unterblieb, und so griff denn Graf Souches unter sehr ungünstigen Verhältnissen an. Dreimal vordringend, ward er dreimal zurückgeschlagen und schon schickte die ganze türkische Reiterei sich an, die Vernichtung des rechten Flügels vollständig zu machen, als Barfus mit seinen Bataillonen vorrückend, einfach rechts schwenkte und dadurch eine schützende Mauer zwischen den eben angreifenden Spahis und unserm fliehenden rechten Flügel aufrichtete. Diese eine Bewegung stellte die Schlacht wieder her.

Aber Barfus sollte nicht nur die schon verlorene Schlacht wiederherstellen, er sollte sie bald darauf auch gewinnen.

Der sieghafte Sturm der Spahis war gehemmt, noch ehe er seinen vollen Anlauf hatte nehmen können. Die Schlacht stand. Da endlich kam Graf Dünnewald mit dem linken Flügel heran. Markgraf Ludwig stellte sich selbst sofort an die Spitze der Reiterei und brach jetzt von links her in die Spahis ein, während 6000 Kürassiere, die gesamte Reserve des christlichen Heeres, denselben feindlichen Reiterschwarm in der Front angriffen. Dieser Angriff war unwiderstehlich. Die Fortfegung der Spahis, womit die Schlacht hätte beginnen sollen, jetzt war sie vollzogen. Aber kein rechter Flügel existierte mehr, um die Gunst des Moments zu nutzen. Graf Souches selbst lag tot auf der Wahlstatt.

Nur das Zentrum stand noch. Barfus erkannte die volle Bedeutung des Augenblicks. Was der rechte Flügel nicht mehr konnte, das konnte das Zentrum. Nur noch das Zentrum. Die Aufgabe jenes war auf dieses übergegangen. Barfus rückte vor und siegreich, wie vor Buda, stieg er die Höhen hinauf. Ein rasendes Gemetzel begann. Was nicht in Stücke gehauen wurde, warf sich in die Donau und ertrank. Der Großvezier Köprülü, der Stolz und Abgott der Türken, der Janitscharen-Aga, achtzehn Paschas, fünfzehn Torbaschis der Janitscharen und zwanzigtausend Gemeine bedeckten das Schlachtfeld. Die Heeresfahne des Großveziers von grüner Farbe mit Gold, 145 Kanonen, die Kriegskasse, 10000 Zelte usw. waren erbeutet, und wohl mochte Markgraf Ludwig berichten, »daß diese Schlacht die schärfste und blutigste in diesem Säkulo gewesen, maßen die Türken wie verzweifelte Leut' gefochten und mehr als eine Stunde den Sieg in Händen gehabt hätten«. Der Verlust des Christenheeres betrug 7300 Mann, darunter 1000 Brandenburger.

Der Sieg bei Slankamen, seiner allgemeinen Bedeutung zu geschweigen, war auch von einer sonderlichen Bedeutung für das Haus Brandenburg. Markgraf Ludwig schrieb an den Kurfürsten und drückte sich über die Mitwirkung der brandenburgischen Hilfsvölker in folgenden Worten aus: »Ich kann Euer Kurfürstlichen Durchlaucht den außerordentlichen Valor und das gute Benehmen von Dero Generallieutenant Barfus so wie Ihrer braven Truppen nicht genug rühmen und ihnen allein hat der Kaiser den Sieg und die Vernichtung der Türken zu danken.«

Eine ähnliche komplimentenreiche Sprache war zwar damals an der Tagesordnung und verfolgte den leicht begreiflichen Zweck, durch freigebig gespendetes Lob die verschiedenen Reichsfürsten und ihre Truppenbefehlshaber bei guter Laune zu erhalten. Im vorliegenden Fall indes drückten diese Worte mehr als ein bloßes Kompliment und in der Tat eine wohlverdiente Anerkennung aus. Dies ergibt sich zum Teil aus der Schlachtbeschreibung selbst, am meisten aber aus der nachfolgenden, überaus gnädigen Haltung des Wiener Hofes. Brandenburg, als es nach der Königswürde zu streben begann, verabsäumte nicht auf seine siegreiche Mitwirkung am Tage von Slankamen immer wieder und wieder zurückzukommen, und so mögen denn die Barfuse nicht ganz unrecht haben, wenn sie später noch den stolzen Ausspruch wagten: »ihr Ahnherr, Hans Albrecht, habe, auf dem Felde von Slankamen, die preußische Königskrone mit erobern helfen«.

Im Jahre 1692 kehrte Barfus mit seinem Hilfskorps nach Berlin zurück. Hier häuften sich jetzt die Ehren auf seinem Haupt. Ohne hofmännische Schulung, ja vielleicht selbst ohne den Ehrgeiz sie haben zu wollen, trat er nichtsdestoweniger in das Parteigetriebe des Hofes ein. Was eigenes Verdienst ihm nicht erwarb, erwarb ihm die Koterie, der er angehörte. »Eine Hand wusch die andere«, wie nicht zum zweiten Male in unserer Geschichte. Er hielt sich von Anfang an zur »Fraktion Dohna-Dönhoff« und es gereicht ihm zur Ehre, in einer Zeit voll zynisch-egoistischen Undanks, in Treue bei der einmal erwählten Partei ausgehalten zu haben. Es kam freilich hinzu, daß er seit 1693 mit Gräfin Eleonore von Dönhoff vermählt und dadurch an die Interessen dieser Familie gefesselt war. 1695, ohne daß inzwischen neue Kriegstaten ihm neuen Kriegsruhm erworben hätten ward er Feldmarschall- Leutnant und das Jahr darauf Feldmarschall. Wie sein Rang und sein Ansehen, so wuchs sein Vermögen. Er erstand die Quittaineschen Güter in Ostpreußen, die bis dahin dem Feldmarschall Derfflinger gehört hatten, und endlich auch »Schloß Kossenblatt an der Spree«, seinen Lieblingsbesitz, von dem wir in dem nächsten Kapitel ausführlicher zu sprechen haben werden.

Aber erst das Jahr 1697 bezeichnet den Höhepunkt seines Ruhms. Im November dieses Jahres ward Eberhard von Danckelmann, der bis dahin allmächtig geglaubte Minister, durch die Dohna-Dönhoffsche Fraktion gestürzt und unserem Hans Albrecht fiel der Gewinn eines Spieles zu, daran sein persönlicher Einsatz, aller Wahrscheinlichkeit nach, ein nur geringer gewesen war. Seine Hand war zu schwer zur Einfädelung einer Intrige. Er gab das Gewicht seines Namens her und ließ dann die andern machen.

Danckelmann war gestürzt und Barfus übernahm die Leitung der Geschäfte. War es doch eine Zeit, in der sich jeder zu jedem fähig glaubte, wenigstens bei Hofe. Das bekannte Wort Oxenstiernas wurde wahr an jedem neuen Tag und was als das Erstaunlichste gelten mag: die Dinge gingen auch so, gingen zum Teil sogar gut.

Barfus war Premierminister, noch richtiger Universalminister. Er war alles, er tat alles. Auswärtiges, Finanzen, Krieg – jegliches fiel ihm zu. Dazu war er Gouverneur von Berlin, Kommandeur der Garde, Landeshauptmann der Grafschaft Ruppin, und so viel Stellen sich ihm auftaten, so viel Quellen flossen in seinen Schatz. Er wurde sehr reich. Als Gouverneur von Berlin bezog er ein palastartiges Gebäude, das vor ihm der Obermarschall von Grumbkow (der Vater des bekannten) besessen hatte. Barfus ließ es umbauen, erweitern und einen Garten nach der Spree hin anlegen. Es ist dies dasselbe Gebäude, das wir jetzt als »Stadtvogtei« kennen und das, als solches, eine so hervorragende, wenn auch freilich wenig poetische Rolle in unserer Stadt- und Staatsgeschichte gespielt hat.

Hans Albrecht war Universalminister, aber er war es nur durch Zulassung und nicht durch eigne Kraft. Die Dohna-Dönhoffs schoben ihn einfach vor, um nicht in die, durch Danckelmanns Sturz entstandene Günstlingslücke einen neuen, vielleicht viel gefährlicheren Günstling einrücken zu sehen, und unserem Barfus fiel es lediglich zu, durch sein bloßes Dasein den Satz zu predigen: wo ich bin, kann kein anderer sein.

Das ging zwei Jahre lang, aber nicht länger. Der Kurfürst, was immer seine Schwächen sein mochten, war aus zu feiner Schulung, um an der Haltung eines alten Kampagnesoldaten, der nicht einmal französisch sprach, auf die Dauer ein Genüge finden zu können. Und die Einführung einer Perückensteuer, wodurch Hans Albrecht den Sitten und Finanzen des Landes gleichmäßig aufzuhelfen trachtete, bezeigte sich schließlich als der allerschlechteste Weg, die schon schwankende Waage zu seinen Gunsten wiederum sinken zu machen. Die neue Sonne: Kolbe-Wartenberg stieg immer höher. Er begann den Majordomus zu spielen und der Danckelmannsche Hochmut erschien nun wie Leutseligkeit neben dem Ton des neuen Günstlings. Niemand wurde geschont, kaum die Königin, am wenigsten die alten Parteien des Hofes.

Aber Barfus, der den Hof überhaupt wie ein Schlachtfeld nahm, war ein viel zu guter Soldat, um so ohne weiteres an Flucht oder Rückzug zu denken. Er hatte den türkischen Großvezier besiegt, warum nicht auch den Majordomus von Brandenburg? Die Königin, die Dohna-Dönhoffs dachten ähnlich und so bereitete sich jene »große Liga von 1702« vor, die keinen andern Zweck verfolgte, als den tyrannischen Günstling zu beseitigen und das Barfussche Interregnum von 1697–99, die Zeit der vereinigten Ministerien und der Perückensteuer, wieder herzustellen.

Aber Kolbe-Wartenberg war glücklicher, als es Danckelmann vor ihm gewesen war. Vielleicht weil es die Liga in der Person versah, die sie mit Ausführung der Hauptrolle betraute. Diese Person war der Hofmarschall von Wense. Graf Otto Dönhoff, als er von der Wahl dieses letztgenannten Herrn hörte, zuckte die Achseln und setzte gutgelaunt hinzu: »Wohlan denn, wir müssen dem Glück einen Ochsen opfern!« Er hatte recht gehabt. Nur blieb es nicht bei dem einen Opfer. Alle traf die Ungnade des Königs, und während der Hofmarschall von Wense den Hof mit der Festung Küstrin vertauschte, wurde der Rest vom Hofe verbannt: die Dohnas, die Dönhoffs und auch Barfus.

Dies war des letzteren letzte Aktion – kein Ruhmestag von Slankamen. Der Hof war nicht sein Feld. Trösten mochte es ihn, daß auch Gewandtere unterlegen hatten. Unser Feldmarschall aber ging nach »Kossenblatt«, wo inzwischen, auf einer Spreeinsel, der Frontbau eines Schlosses entstanden war. Mit sich nahm er zu allem, was er sonst noch besaß, ein Jahresgehalt von 8000, nach Pöllnitz sogar von 12000 Talern. Aber er erfreute sich desselben nicht lange mehr. Am 27. Dezember 1704 beschloß er sein an Kämpfen und Wandlungen reiches Leben.

In einem schlichten Anbau neben der Kossenblatter Kirche hat er seine letzte Ruhestatt gefunden.

Wir versuchen nun, nachdem wir in vorstehendem die Lebensgeschichte Hans Albrechts erzählt haben, eine Schilderung seiner äußeren Erscheinung und seines Charakters.

Hans Albrecht von Barfus war von großem, kräftigem Körperbau, über sechs Fuß hoch und durchaus militärisch in Haltung und Auftreten. Selbst stattlich, legte er auch Gewicht auf Stattlichkeit, und lange bevor König Friedrich Wilhelm I. seine Riesengarde ins Leben rief, verriet Hans Albrecht eine entschiedene Neigung, hünenhafte Leute, besonders Offiziere, in den preußischen Dienst zu ziehen. Es waren dies die ersten Anfänge der später so notorisch gewordenen »blauen Kinder« von Potsdam. Und so mag es denn auch mehr als Zufall sein, daß das einzige größere Bildnis, das von unserem Hans Albrecht existiert, vom »Soldatenkönige« selbst gemalt wurde. Dieses Bild stammt etwa aus dem Jahre 1737, und da um diese Zeit unser Feldmarschall längst verstorben war, so hat es nichts Unwahrscheinliches, daß der König es, nach einem Stich oder einer Zeichnung, eigens zur Huldigung gegen denjenigen ausführte, in dem die Idee der »großen Blauen« zuerst gedämmert und gelegentlich Gestalt gewonnen hatte.

Fassen wir den Charakter unseres Feldmarschalls ins Auge, so finden wir: er war tapfer, soldatisch, spezifisch deutsch, antifranzösisch (auch hierin ein Vorläufer Friedrich Wilhelms I.), habsüchtig aber unbestechlich, rechthaberisch aber nicht ungerecht, in Intrigen verwickelt aber nicht eigentlich intrigant.

Wir betrachten ihn zuerst in seinen soldatischen, dann in seinen hofmännischen Qualitäten. Als Soldat – ohne ihn überschätzen zu wollen – erhob er sich, trotzdem er immer der Mann blieb, der von der Pike auf gedient hatte, weit über die Klasse derer, die auf den Befehl eines Vorgesetzten hin ihre Truppe prompt ins Feuer zu führen verstehen. Hätte seine militärische Laufbahn mit der Erstürmung Ofens abgeschlossen, so würde er einfach einer jener »braven Soldaten« gewesen sein, wie deren unsere Kriegsgeschichte so viele aufzuweisen hat; sein zweimaliges und jedesmal entscheidendes Eingreifen in die Schlacht bei Slankamen aber zeigt ihn uns allerdings als einen Soldaten von höherer Beanlagung. Beide Male handelte er selbständig und folgte nur seiner persönlichen Erkenntnis dessen, was der gegebene Moment erheischte. Sein Blick und sein Charakter bewährten sich dabei gleichmäßig. Er erkannte, was not tat, und hatte den Mut, das als richtig Erkannte auf eigene Verantwortung hin auszuführen. Dieser Blick und dieser Mut gehören schon zu den selteneren Gaben.

Was ihm andererseits fehlte, das erkennen wir am besten, wenn wir sein militärisches Auftreten mit dem seines Nebenbuhlers Schöning vergleichen. Schöning, wiewohl es ihm versagt blieb, in wirklich großen Verhältnissen zu wirken, geht dennoch, sooft er auftritt, jedesmal über das Alltägliche hinaus. Nicht zufrieden damit, den Moment zu begreifen, begreift er die Situation überhaupt. Es genügt ihm nicht, ein Nächstliegendes zu tun oder zu berechnen, sondern die Rücksicht auf das Ganze bestimmt seine Haltung. Am lehrreichsten nach dieser Seite hin ist sein Auftreten vor Ofen. Kaum auf den Höhen erschienen, kaum begrüßt von dem großen Christenheere, das in weitem Halbkreise die Festung umlagerte, rückte Schöning klingenden Spieles vor und jede Deckung oder Vorsichtsmaßregel verschmähend, brachte er sich auf einen Schlag in Linie mit der Belagerungsarmee. Der ungedeckte Vormarsch kostete Opfer, und das ganze Manöver, glänzend wie es war, fand nichtsdestoweniger lebhaften Tadel. Sogar bei den Brandenburgern selbst, von denen es als Rodomontade bezeichnet wurde. Dennoch hatte Schöning recht. Immer das Ganze ins Auge fassend, sagte er sich, daß er der allgemeinen Sache, mindestens aber der Sache seines Kurfürsten, durch etwas Eklatantes am besten diene. Und seine Berechnung traf im vollsten Maße zu. Den Türken sowohl wie den Verbündeten hatte dieser Aufmarsch imponiert und lange bevor Buda über war, hatten die Brandenburger bei Freund und Feind einen moralischen Sieg errungen. Das war Schöningsch. Solcher Berechnungen und Einfälle wäre Barfus unfähig gewesen. Er gehörte zu den Schachspielern, die in jedem Moment einen guten Zug vielleicht den besten zu tun verstehen, aber der Gabe weitsichtiger Vorausberechnung ebensosehr wie jeder genialischen Kombination entbehren.

Tapfer, wie Hans Albrecht war, besaß er auch in hohem Maße jenen liebenswürdigen, am häufigsten bei bewährten alten Soldaten vorkommenden Zug, schwache Momente nachsichtig zu beurteilen. Nur die Leute hinterm warmen Ofen dringen auf beständiges Heldentum. Einmal beklagte sich der Graf Christoph Dohna über die Feigheit eines Offiziers, der ihn während des Gefechts kläglich im Stich gelassen habe. Barfus trat an Dohna heran und sagte: »Hören Sie, Graf, man muß Mitleid mit seinem Nächsten haben und ihm nicht alles Üble antun, was man ihm mit Gerechtigkeit antun könnte. Es gibt schlechte Viertelstunden im Leben. Vielleicht wird dieser Offizier ein andermal sich besser zeigen. Ich werde mit ihm allein reden.« Barfus tat es, und wenige Tage später fiel der Offizier an der Spitze der Angriffskolonne.

Ein sehr hervorstechender Zug seines Charakters war das Antifranzösische. Seine vielbesprochene »Perückensteuer« war nicht bloß eine Finanzmaßregel, sie war auch gegen das »fremde Unwesen« überhaupt gerichtet. Der Umstand, daß er des Französischen nicht mächtig war, mochte ihn in seiner Abneigung gegen die »Welschen« bestärken. Es kamen in der Tat verdrießliche Szenen vor. Seine Gegner bei Hofe gefielen sich darin, in seiner Gegenwart französisch zu sprechen oder wohl gar bei seinem Erscheinen die bis dahin deutsch geführte Konversation mit einer französischen zu vertauschen. Den begreiflichen Ärger darüber ließ er hinterher die Sprache selbst entgelten.

Von Habsucht besaß er, wie fast alle Personen, die den Hof König Friedrichs I. bildeten, ein reichlich zugemessen Teil; doch scheint er sich, trotz allen Hanges nach Besitz, der Korruption jener Zeit entzogen und seine gut deutsche Natur in Unbestechlichkeit gezeigt zu haben. Er genoß auch dieses Rufes. Im Jahre 1699 beschwerte sich der holländische Großpensionär Heinsius über eine ganze Reihe unbegreiflicher Handelsmaßregeln, die alle vom Feldmarschall Barfus (der damals alles war, auch Finanzminister) ausgegangen seien und ließ den Verdacht durchblicken, daß Barfus im Solde Frankreichs stehe. Der Großpensionär erhielt indessen von kompetenter Seite den Bescheid, daß General Barfus überhaupt unbestechlich, »jedenfalls aber zu antifranzösisch sei, um sich jemals durch Frankreich bestechen zu lassen.«

Und so wenig bestechlich er war, so wenig intrigant war er. Er diente nur den Intrigen anderer, war vielleicht die Hauptkarte, ohne welche das Intrigenspiel nie und nimmer gewonnen werden konnte, aber wie hoch immer der Wert seiner Karte veranschlagt werden mochte, er war nicht der Spieler selbst. Klügere benutzten ihn und gönnten ihm die goldenen Früchte, die ihm für seine Mitwirkung in den Schoß fielen.

Er war nicht intrigant, aber wir würden irregehen, wenn wir ihm aus dem Fehlen dieser Eigenschaft irgendein besonderes Verdienst machen oder ihn gar mit der hohen Tugend der Selbstsuchtslosigkeit ausstatten wollten. Er gehörte jener Klasse von Charakteren an, denen man in Norddeutschland und besonders in den Marken häufig begegnet: Personen, die zu wirklicher oder scheinbarer Offenheit eine große Verschlagenheit gesellen und soldatische Derbheit, ja rücksichtsloseste Schroffheit mit einem scharfen Erkennen des eigenen Vorteils glücklich vereinen. Er war voll jener scharfen Lebensklugheit, die den Habsüchtigen eigen zu sein pflegt und besaß in hohem Maße die Kunst (ganz wie bei Slankamen) einen glücklich gegebenen Moment zu benutzen. Aber er besaß nicht die Kunst, einen solchen Moment durch eine klug geschürzte Verwicklung herbeizuführen. Und das ist es, was den Unterschied zwischen praktischer Lebensklugheit und Intrige bedingt. Der »Praktiker« nutzt die Situation, der Intrigant macht sie. Jener wird meist realere, dieser meist idealere Zwecke verfolgen. Der Intrigant wird in der Regel gefährlicher, der »Praktiker« in der Regel selbstsüchtiger sein.

Die Hofgeschichte jener Tage bietet zwei Beispiele, die diesen Unterschied recht klar ins Auge stellen. Als der Streit zwischen Schöning und Barfus auf seiner Höhe stand und Schönings Hochmut und Rechthaberei den »richtigen Moment« für Barfus vorbereitet hatte, verstand es dieser, eben diesen richtigen Moment zu benutzen. Und zwar einfach dadurch, daß er der in seinen Beschwerdeschriften immer anmaßlicher werdenden Sprache Schönings einen Ton der Devotion gegenüberstellte. Dieser Ton der Devotion gegen den Kurfürsten und seine Regierung hatte nichts von einer Intrige an sich, war vielmehr nur das einfache Resultat des Schlusses: »Wo Anmaßung verletzt hat, wird Devotion doppelt willkommen sein.« Und der Erfolg bewies, daß dieser Schluß ein richtiger gewesen war.

So weit reichen die Gaben unseres Barfus. Als es sich aber sechs Jahre später darum handelte, den allmächtigen Eberhard Danckelmann, den Günstling des Kurfürsten, aus der Gunst seines Herrn zu entfernen, war es nicht genug, eine sich bietende Situation zu benutzen, sondern es kam vielmehr darauf an, mittelst einer Reihenfolge kleiner, ineinander greifender Szenen erst eine Situation zu schaffen. Dazu war Graf Christoph Dohna der Mann. Er begann folgendes Meisterspiel. Er wußte sich eine Medaille zu verschaffen, die Danckelmann kurz vorher zu Ruhm und Verherrlichung seiner Familie hatte schlagen lassen. Gewölk hing über Berlin; durch das Gewölk hindurch leuchtete aber das Siebengestirn Eberhard Danckelmanns und seiner sechs Brüder. Inschrift: »Intaminatis fulget honoribus«. Christoph Dohna, der die Vorliebe des Kurfürsten für Münzen und Medaillen kannte, wußte es derartig einzurichten, daß sich im Vorzimmer ein Streit um eben diese Medaille entspann. Als der Kurfürst heraustrat, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, erzählte ihm Dohna, in erkünstelter Verlegenheit, daß es sich um eine Medaille handle. »Ich wünsche sie zu sehen«. »Eure Kurfürstliche Durchlaucht werden die Medaille kennen«. Und damit überreichte sie Dohna. Der Kurfürst betrachtete die sieben Sterne, biß sich, eifersüchtig wie er war, auf die Lippen und reichte sie sichtlich verstimmt zurück. An dieser Szene ging Danckelmann zugrunde. Ist es wahr, daß dieser letztere von der Medaille nichts wußte, dieselbe vielmehr hinter seinem Rücken, auf Anstiften seiner Gegner geprägt wurde, so haben wir es hier mit einer ziemlich unwählerisch eingefädelten, aber von Anfang bis Ende klug durchgeführten Intrige zu tun, die zwar, wie schon erzählt, in ihrem glücklichen Ausgang alle Ehren auf unsern Feldmarschall ausschüttete, aber von dem Glückskinde selbst weder jemals geplant noch durchgespielt hätte werden können.

Wenn wir zum Schlusse Hans Albrecht von Barfus mit den hervorragenderen jener brandenburgisch- preußischen Kriegsleute vergleichen, die seitdem gefolgt sind, so zeigt er mit keinem eine größere Verwandtschaft, als mit dem »alten York«. Dieselbe Tapferkeit, dieselbe soldatische Schroffheit, dieselbe Strenge im Dienst und gegen sich selbst. Haß gegen französische Sitte, Gleichgültigkeit gegen die Frauen und Verachtung gegen Ausschweifung gesellen sich als weitere übereinstimmende Züge hinzu. Ebenso sind ihre Feldherrngaben nahe verwandt: kalte Ruhe, klares Erkennen der Fehler bei Freund und Feind, glückliche Benutzung des Moments. Was sie aber vor allem miteinander gemein haben, das ist die hohe Meinung von sich selbst und infolge dieser eigenen, wie immer auch berechtigten Wertschätzung, eine krankhafte Reizbarkeit gegen alles das, was neben oder wohl gar über ihnen stand. York, in seinem Verhältnis zu Bülow und später zu Gneisenau, erinnert mehr als einmal an »Schöning und Barfus«.

Wenn wir York nichtsdestoweniger in einem helleren Lichte sehen, so hat das seinen Grund zu nicht unwesentlichem Teile darin, daß wir die »Konvention von Tauroggen« dankbarer in Erinnerung tragen, als den Tag von Slankamen. Soll aber auch auf die sittliche Superiorität Yorks hingewiesen werden, so dürfen wir, ohne dieselbe bestreiten zu wollen, doch der Tatsache nicht vergessen, daß es 1813 leichter war, als hundert Jahre früher, »selbstsuchtslos im Dienste einer Idee zu stehen«. Die Charaktere waren weniger verschieden, als die Zeiten es waren.

Mit Hans Albrecht von Barfus starb der letzte jener fünf brandenburgischen Feldherren, die noch die jungen Tage des Großen Kurfürsten gesehen und die ersten Siege Brandenburgs unter seinen Fahnen erfochten hatten. Sparr, Derfflinger, Görtzke, Schöning, Barfus. Die Derfflinger sind ausgestorben. Glieder der vier anderen Familien leben noch, aber von dem alten Besitz ist wenig oder nichts mehr in ihren Händen. Auf den alten Barfus-Gütern ist der Name des Geschlechts so gut wie vergessen und nur »Schloß Kossenblatt an der Spree« erzählt noch von seinem Erbauer, dem Feldmarschall.

Diesem »Schloß in der Öde« wenden wir uns im folgenden Kapitel zu. 

 

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64) In der neueren preußischen Kriegsgeschichte bietet vielleicht nur Gneisenau ein ähnliches Beispiel verspäteten und dann sehr raschen Avancements, Gneisenau, der 1806 noch Kapitän und 1813 bereits Generalleutnant war.




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