Kattes Überführung nach Küstrin
Das Kommando unter Major von Schack bestand aus dreißig Pferden, einem Rittmeister, einem Leutnant und zwei Unteroffizieren, die den Wagen in ihre Mitte nahmen. In diesem selbst saßen außer Katte der Major von Schack, der Feldprediger Müller vom Regiment Gensdarmes und ein Unteroffizier. Als sie bis an den Wasserlauf der »Landwehr« gekommen, begann der Feldprediger ein Singen und Beten, und besonders war es das Lied: »Weg, mein Herz, mit den Gedanken«, was eines Eindrucks auf Katte nicht verfehlte. Zu guter Stunde kamen sie ins Quartier (nur Dörfer wurden gewählt), und hier sprach Katte den Wunsch aus, einen Abschiedsbrief an seinen »Herrn Vater schreiben zu dürfen, den er so sehr betrübet habe«. Dies wurde ihm bewilligt, und man ließ ihn allein, um sich zu sammeln. Aber es wollte ihm nicht gelingen, und als Major von Schack nach einiger Zeit wieder bei ihm eintrat, fand er ihn noch auf- und abgehend. Und dabei klagte er, daß es so diffizil wäre, und daß er vor Betrübnis keinen Anfang finden könne«. Von Schack sprach ihm zu, und er setzte sich nun hin und schrieb. Dieser Brief aber war folgenden Inhalts:
»In Thränen, mein Vater, möcht' ich zerrinnen, wenn ich daran gedenke, daß dieses Blatt Ihnen die größte Betrübniß, so ein treues Vaterherze empfinden kann, verursachen soll; daß die gehabte Hoffnung meiner zeitlichen Wohlfahrt und ihres Trostes im Alter mit einmal verschwinden muß, daß Ihre angewendete Mühe und Fleiß in meiner Erziehung zu der Reife des gewünschten Glücks sogar umsonst gewesen, ja daß ich schon in der Blüthe meiner Jahre mich neigen muß, ohne vorher Ihnen in der Welt die Früchte ihrer Bemühungen und meiner erlangten Wissenschaften zeigen zu können. Wie dachte ich nicht, mich in der Welt empor zu schwingen, und Ihrer gefaßten Hoffnung ein Genüge zu leisten; wie glaubte ich nicht, daß es mir an meinem zeitlichen Glück und Wohlfahrt nicht fehlen könnte; wie war ich nicht eingenommen von der Gewißheit meines großen Ansehens! Aber alles umsonst! wie nichtig sind nicht der Menschen Gedanken: mit einmal fällt alles über einen Hauffen, und wie traurig endiget sich nicht die Scene meines Lebens, und wie gar unterschieden ist mein jetziger Stand von dem, womit meine Gedanken schwanger gegangen; ich muß, anstatt den Weg zu Ehren und Ansehen, den Weg der Schmach und eines schändlichen Todes wandeln. Aber wie unbegreiflich, o Herr, sind Deine Wege, und unerforschlich Deine Gerichte. Wohl recht heisset es: Gottes Wege sind nicht der Menschen Wege, und der Menschen Wege sind nicht Gottes Wege. Würd' ich nicht etwan in der Sicherheit fortgegangen, bey allem Glück und Wohlleben Gott vergessen und ihn hintenan gesetzt haben? Würd' ich nicht bey den guten Tagen den Weg des Fleisches, der Sünden und der Wollust dem Wege zu Gott vorgezogen haben? Ja gewiß hätte mich solches vielmehr von Gott abals zu ihm geführt.
Die verdammte Ambition, die einem von der Kindheit auf, ohne den rechten Begriff davon zu geben, eingeflößet wird, würde immer weiter gegangen seyn, und zuletzt dem eitlen Verstande zugeschrieben haben, was doch einzig und allein von Gott kommt. Solchem hat der gütige und gerechte Gott wollen zuvorkommen, und – da ich seiner öftern und vielfältigen Regung nicht Gehör gegeben – auf solche Art mich fassen müssen, daß ich mich nicht weiter ins Verderben stürzte, und gar die ewige Verdammniß mir zuzöge. Darum sei er auch dafür gelobet! Fassen Sie sich demnach, mein Vater, und glauben Sie sicherlich, daß Gott mit mir im Spiel, ohne dessen Willen nichts geschehen, auch nicht einmal ein Sperling auf die Erde fallen kann! Er ist es ja der alles regieret und leitet durch sein heiliges Wort; darum kommt auch dieses mein Verhältniß von ihm her. Ist gleich die Art des Todes bitter und herbe, so ist die Hoffnung und die Gewißheit der künftigen Seligkeit desto süßer und angenehmer! Ist es gleich mit Schimpf und Schmach verknüpfet, so ist es doch nicht im Vergleich der künftigen Herrlichkeit! Trösten Sie sich, mein Vater! Hat Ihnen doch Gott mehr Söhne gegeben, denen er vielleicht mehr Glück in dieser Welt geben wird, und Ihnen, mein Vater, die Freude in denenselben erleben lassen, die Sie vergebens an mir gehoffet. Welches ich Ihnen von Grund meiner Seele wünsche. Unterdessen danke mit kindlichem Respekt für alle mir erwiesene Vatertreue, von meiner Kindheit an bis zur jetzigen Stunde. Gott der Allerhöchste vergelte Ihnen tausendfach die mir erzeigte Liebe, und ersetze Ihnen durch meine Brüder, was bey mir rückständig geblieben. Er erhalte und bewahre Sie bis in Ihr hohes und graues Alter, und speise Sie mit Wohlergehen, und tränke Sie mit der Gnade seines Geistes.
Ihr bis in den Tod getreuer Sohn Hans Hermann von Katt.«
»Nachschrift. Was soll ich aber Ihnen, liebwertheste Mama, die ich so sehr, als hätte uns das Band der Natur verbunden (sie war seine Stiefmutter) geliebet, und Euch, liebwertheste Geschwister, wie soll ich mein Andenken bei Euch stiften? Mein Zustand läßt nicht zu, alles was ich auf dem Herzen habe, Euch vorzustellen; ich stehe vor der Pforte des Todes, muß also bedacht seyn, mit einer gereinigten und geheiligten Seele einzugehen, kann also keine Zeit versäumen.
H. H. v. K.«
Als Katte mit diesem flüchtig und auf bloße Zettel niedergeschriebenen Briefe geendigt hatte, wollte er an eine Abschrift desselben gehen, aber der Prediger riet ihm ab: »seine Zeit wäre zu edel und er möcht' es nur lassen; sein Herr Vater sähe ja doch seine Meinung«. So begab er sich und bat den von Schack, den Brief späterhin rein abschreiben zu lassen. Danach aß er ein weniges, trank ein Glas korsikanischen Wein und nahm die geistlichen Unterredungen wieder auf, bei welcher Gelegenheit er ebenso große Fassung und Ergebung wie Kenntnis und Geistesschärfe zeigte. »Er gehe mit Freuden in den Tod«, so sagte er, »und wenn er die Wahl zu leben oder zu sterben hätte, so wollt er das letztere wählen, denn es möchte ihm nicht immer die Zeit werden, sich so gut vorzubereiten wie jetzt.« Unter solchen Gesprächen verging der Abend. Gegen zehn Uhr bat ihn von Schack, sich niederzulegen, was er anfänglich nicht mochte. Zuletzt aber tat er es und genoß eines festen Schlafes.
Am anderen Morgen ging es weiter. Er war mitteilsam wie den Tag zuvor und sprach viel darüber, daß man ihn für einen Atheisten gehalten. Das sei er nie gewesen, ja er dürfe vielmehr versichern, daß er vor atheistischen Büchern allezeit einen wahren Abscheu gehabt habe. Andererseits könne er nicht leugnen, daß er öfters »eine Thesin mainteniret«, aber bloß um seinen Verstand sehen zu lassen. Denn er habe gefunden, daß solches in belebten Gesellschaften »vor sehr artig passiret wäre«. Und so hätte er es mitgemacht.
Auch an diesem Tage – die jedesmalige Tagesfahrt war nur vier Meilen – kamen sie früh ins Quartier, und er erquickte sich an Kaffee, »der überhaupt sein bestes Labsal war«. Sowohl abends wie morgens.
Der dritte Tag war ein Regentag. Als er gegen Mittag Küstrin erkannte, das er immer nur bei Gelegenheit des in Sonnenburg (eine Meile östlich von Küstrin) stattfindenden Johanniter-Ritterschlages gesehen haben mochte, erinnerte er sich des Markgrafen Albrecht, damaligen Herrenmeisters, und bat von Schack, dem Markgrafen seinen untertänigsten Respekt vermelden, demselben auch danken zu wollen, daß er ihn in den Johanniterorden aufgenommen habe. Dieses sei die höchste Ehre gewesen, die ihm diese Welt erwiesen, und er wolle in schuldiger Dankbarkeit dafür bei Gott bitten, den hohen Herrn in seinen himmlischen Orden aufzunehmen.
Während dieses Gespräches waren sie bis an die große Oderbrücke gekommen; der Regen ließ nach und die Sonne trat hervor. »Das ist mir ein gutes Zeichen«, sagte er, »hier wird meine Gnadensonne anfangen zu scheinen.«
Gleich danach hielten sie vor dem Tor und wurden von dem Platzkommandanten von Reichmann empfangen, der den Delinquenten in eine dicht über dem Tor gelegene Stube führte.
Von hier aus trat er den anderen Morgen seinen letzten Gang an.