Schöning im Türkenkriege
Zwischen Kaiser und Kurfürst war ein Vertrag zu gegenseitiger Hilfeleistung geschlossen worden, und in Gemäßheit dieses Vertrages sah sich der Kurfürst gezwungen, zu einem bevorstehenden »Zuge gegen die Ungläubigen«, dessen Hauptzweck die Einnahme Ofens war, ein Hilfskorps von 8000 Mann zu stellen. Der Kurfürst sah sich »gezwungen«, diese Auxiliarmacht zu stellen; aber wir würden irren, wenn wir aus dieser Bezeichnung ableiten wollten, daß der Kurfürst nur einem Zwange nachgegeben und für die Besiegung des Christenfeindes kein Herz gehabt habe. Die Sache war einfach die, daß er seinem erschöpften, durch immer neue Kriege gegangenen Lande vor allem den Frieden gönnte. Der protestantische Norden stand ohnehin anders zur Türkenfrage wie der katholische Süden, ja, ein bedrohtes Österreich erschien manchem lutherischen Herzen als gleichbedeutend mit Sicherung und Kräftigung des Protestantismus; aber weit über dieses Abwägen einzelner hinaus ging doch, als Grundstimmung, durch die ganze Christenheit ein Doppelgefühl von Furcht und Haß gegen die Ungläubigen. Das siegreiche Vordringen der Türken bis an die Tore Wiens (1683) war noch frisch im Gedächtnis und eine dunkle, im Volke fortlebende Erinnerung an die Tatarenhorden, die einst bis an die Oder hin alles verwüstet hatten, mochte auch in den kurfürstlichen Landen die Vorstellung einer Gefahr und den guten Willen, ihr vorzubeugen, wachgerufen haben.54)
Wenn dieses Gefühl schon im protestantischen Norden lebendig war, so stieg es in den katholischen Ländern Südeuropas bis zu einem Enthusiasmus, ähnlich dem, wie ihn die Kreuzzüge gesehen hatten. Von allen Seiten strömten Freiwillige auf den Kampfplatz, besonders aus Spanien. In Wien fanden sich diese Volontärs zusammen, darunter allein sechzig Katalonier, und wurden dem Starhembergischen Regimente als eine eigene Truppe beigegeben. Astorga, ein Spanier, führte dieses Freiwilligenkorps, das später vor Ofen mit höchster Auszeichnung focht und beinahe vollständig aufgerieben wurde. Gleich zu Anfang, bei einem der ersten Ausfälle der Türken, fielen der Herzog de Vecha, ein Grande von Spanien, und Karl Freiherr von Derfflinger, jüngster Sohn des Feldmarschalls, der, von einer Reise in Italien eben zurückkehrend, in die Astorgasche Volontärkompanie eingetreten war.55)
Wir sind aber, in der Absicht den Geist zu schildern, der damals das christliche Europa durchwehte, Schöning weit vorausgeeilt, den wir zunächst noch in Krossen, an der märkisch-schlesischen Grenze finden, wohin von Ost und West, von Königsberg und Kleve her, die Truppen beordert waren, die nach dem Willen des Kurfürsten das brandenburgische Hilfskorps bilden sollten. Der Kurfürst selbst nahm am 17. April die Musterung ab. Ein Augenzeuge beschreibt die Truppen wie folgt: »Die Service war überaus kostbar und trachtete darinnen einer den andern zu übertreffen, indem etliche sie gar von Augsburg und anderen Orten hatten herbeischaffen lassen. Die Infanterie war blau, die Artillerie braun, die Kavallerie, sowohl Reiter als Dragoner, in lederne Kollette gekleidet. Zwei Soldaten bekamen ein Zelt und einen Strohsack (welch ein Train!), damit sie, wenn sie an einem Ort anlangten, nicht nach Holz oder Stroh laufen dürften. Die Unteroffiziere und Pikeniere hatten Pistolen im Gürtel und die Derfflingerschen Bataillone Kessel an der Seite; die Reiter und Dragoner führten dabei noch Dolche.« So waren die achttausend Brandenburger, die durch Schlesien und den Jablunkapaß vor die Türkenfestung Ofen zogen, Hans Adam von Schöning als Oberstkommandierender, General von Barfus und General von der Marwitz als nächste im Kommando.
Am 24. Juni trafen die Brandenburger vor Ofen ein, das bereits seit mehreren Wochen von einer Reichsarmee von über 90000 Mann unter Führung des Herzogs von Lothringen belagert und durch 14000 Janitscharen und Spahis unter Oberbefehl von Abd ur Rahmân Pascha verteidigt wurde. Zwölfhundert Brandenburger unter General von der Marwitz rückten sofort in die Linie ein, avancierten unter dem lauten Beifall der ganzen alliierten Armee bis auf fünfzig Schritt an die Stadtmauer und stellten rechts und links ihre Verbindung mit den Kaiserlichen her. Die Festung war nun völlig zerniert. Aber noch über zwei Monate vergingen bis zum letzten siegreichen Sturm, und während dieser Monate wurden, wie die Belagernden überhaupt, so auch namentlich die Brandenburger von immer wachsenden Verlusten betroffen. Der Minenkrieg kostete Opfer über Opfer und die zahlreichen Ausfälle konnten nur mit großem Verlust an Menschenleben zurückgeschlagen werden. Von drei Grafen Dohna, die mit vor Ofen waren, fielen zwei, während der dritte, Graf Christoph, dessen Memoiren für die Geschichte jener Zeit und jener Belagerung so wichtig sind, verwundet wurde. In Wahrheit traf das Sprichwort zu, das damals in Kurs kam: »Je näher dem Ofen, je größer die Hitze.« Taten größter persönlicher Tapferkeit geschahen von beiden Seiten. Leutnant von Wobeser, nachdem sein älterer Bruder, ein Kapitän im Bataillon Prinz Philipp, von einem Spahi niedergesäbelt war, ging vor, um seinen Bruder zu rächen oder sein Schicksal zu teilen, und auf einen türkischen Anführer förmlich Jagd machend, zerschmetterte er ihm, im endlichen Zweikampf, mit einem Morgensterne den Kopf.
Der 17. August war der Tag, der über das Schicksal der Festung entschied. An diesem Tag erschien vor Ofen das große türkische Heer, 70000 Mann stark, unter Führung des Großveziers, das die Aufgabe hatte, die hart bedrängte Festung zu entsetzen. Es kam zur Schlacht angesichts der Belagerten, und das türkische Heer wurde geschlagen. Von diesem Augenblick an war die Einnahme der Festung nur noch eine Frage der Zeit. Am 2. September schritten die Christen zum Sturm. Achttausend Mann, zur Hälfte Kaiserliche, zur Hälfte Brandenburger, jene vom Herzog von Croy, diese vom General von Barfus geführt, bildeten die Sturmkolonne und drangen unwiderstehlich vor. Nachdem die Palisaden erklettert waren, drang man in die Straßen der Stadt ein. Nur Türken und Juden hausten darin, und alles wurde niedergemacht, leider auch Weiber und Kinder. Die Türken steckten weiße Fahnen aus, zum Zeichen, daß sie bereit seien, sich zu ergeben, aber die Stürmenden rissen die Fahnen nieder und ließen alles über die Klinge springen. Vergebens mühte sich der Herzog von Lothringen, dem Gemetzel ein Ende zu machen; neuntausend wurden erschlagen; ein Rest von Janitscharen, der sich in das feste Schloß gerettet hatte, kapitulierte am andern Tage. Unter diesen, da sein Tod nicht gemeldet wird, befand sich mutmaßlich auch Abd ur Rahmân selbst, ein geborner Schweizer mit Namen Coigny. Schon während der Belagerung war er von einem in die Stadt geschickten Parlamentäroffizier namens Wattenwyl als Landsmann erkannt worden.
Auch die brandenburgischen Oberoffiziere waren bemüht gewesen, dem Blutvergießen Einhalt zu tun, und hatten durch ihr Dazwischentreten gerettet, wo noch zu retten war. Aber nur in einzelnen Fällen war es ihnen geglückt. General von Barfus rief zwei Türken Pardon zu, welche wie Verzweifelte sich wehrten, und brachte sie dem Kurfürsten als die Tapfersten nach Berlin. Schöning dagegen hatte das Glück, zwei schöne Türkinnen, noch Kinder, den Händen der alles niedermachenden Soldaten zu entreißen. Was aus dem älteren Mädchen geworden, entzieht sich unserer Kenntnis; die jüngere aber wurde, unter Beibehaltung ihres türkischen Namens, Fatime getauft und von Schöning, der sie mit nach Tamsel nahm, sorgfältig erzogen.
Fatime kam später nach Warschau, wo sie ebenso sehr durch ihre blendende Schönheit wie durch das romantische Interesse ihres Geschicks aller Augen auf sich zog und ein Glanzpunkt der Gesellschaft wurde. Unter ihren Bewerbern war auch König August, dem sie lange widerstand, bis sie endlich dem Grafen Rutowski das Leben gab. Fatime vermählte sich später in die Spiegelsche Familie; ihr Sohn Rutowski aber stieg bis zum sächsischen Feldmarschall und ist, wenn wir nicht irren, derselbe, der bei Ausbruch des Siebenjährigen Krieges gezwungen war, bei Pirna zu kapitulieren.56)
Doch wir kehren zu Schöning und dem Türkenkriege zurück. – Die Beute, welche in Ofen gemacht wurde, war überaus groß. Namhafte Summen von Dukaten und Zechinen, sowie Edelsteine und orientalische Perlen fielen den Siegern in die Hände. Unter den fünfhundert großen Geschützen, die man eroberte, befand sich auch eine vierundzwanzigpfündige Schlange mit dem brandenburgischen Wappen, die nun dem Führer des brandenburgischen Hilfskorps als Trophäe zurückgegeben wurde. Außerdem überbrachte Schöning dem Kurfürsten einen türkischen Roßschweif und ein paar tatarische Pauken, Siegeszeichen, die sich bis auf diese Stunde im Berliner Zeughause vorfinden.
Der Rückmarsch ging abermals durch die Jablunka und am 7. Dezember trafen die Brandenburger wieder in ihrer Heimat ein. Sie hatten unzweifelhaft mit großer Tapferkeit gefochten (fast die Hälfte war vor Ofen geblieben; 30 Offiziere tot und 61 verwundet) und die Türken gaben ihnen deshalb den Beinamen »Feuermänner«. Zugleich brachten sie das Sprichwort in Umlauf: »Der steht wie ein Brandenburger«. Schöning aber, von seinem Landesherrn reichlich geehrt, empfing ebenso vom Kaiser Leopold mannigfache Beweise seiner Huld, darunter einen mit Diamanten besetzten Degen von großem Wert.
Wir nähern uns nun jener Epoche im Leben unseres Helden, die durch einen kleinen, scheinbar geringfügigen Vorfall den Namen desselben ungleich bekannter gemacht hat, als aller Glanz seiner Siege zusammengenommen. Ich meine seinen Streit mit General Barfus. Das Persönliche ist immer das Siegreiche. Die Schlachten und Belagerungen sind vergessen, oder doch halb vergessen, aber bis diesen Tag lebt in Barnim und Lebus das Sprichwort fort: »Die hassen sich wie Schöning und Barfus.« Wir wollen erzählen, wie es zu diesem Hasse kam.
Schöning war ein Glückskind und hatte, freilich nicht ohne großes persönliches Verdienst, seine Karriere über die Köpfe anderer Leute hin gemacht. Er war sechs Jahre jünger als Barfus und ihm doch immer um sechs Jahre voraus. Das ergab eine Differenz, oder wenn man so will, eine Ungerechtigkeit von zwölf Jahren. Der einundfünfzigjährige Barfus hatte vor Ofen unter dem fünfundvierzigjährigen Schöning gestanden, und zu der natürlichen Bitterkeit, die sich einfach schon aus diesen Zahlen ergeben konnte, mochte sich bei Barfus die Betrachtung gesellen, daß ihm die grobe Arbeit des Belagerns und sich Herumschlagens, dem Oberstkommandierenden aber das Vergnügen des Repräsentierens, des Dinierens im herzoglichen Zelt und schließlich die Entgegennahme eines mit Diamanten besetzten Degens zugefallen sei. Jetzt drittehalb Jahre später, im Sommer 1689, standen beide Generale ebenso am Rhein, wie sie damals an der Donau gestanden hatten, d.h. Schöning war abermals dem Barfus um einen Pas voraus, und wiewohl ein vorliegender Bericht aus jener Zeit eigens mit den Worten beginnt: »Es hat der Generalleutnant von Barfus dem General-Feldmarschall-Leutnant von Schöning bisher jedesmal den gebührenden Respekt gegeben«, so wagen wir doch, ohne das Gemeldete geradezu bestreiten zu wollen, die Vermutung, daß dem Barfus dieser »gebührende« Respekt in seinem Herzen sehr schwer und die Bezeugung desselben um eben deshalb etwas eckig geworden sein wird.
Das Hauptkriegsereignis im Sommer des genannten Jahres war die Belagerung des von den Franzosen besetzten Bonn. Ehe die Brandenburger unter des Kurfürsten und Schönings Führung energischer vorgehen konnten, war ein Zurückdrängen der Franzosen aus den kleineren Plätzen, die in der Nähe von Bonn lagen, nötig. Es kam dabei zum Gefechte bei Ürdingen, das, von Schöning trefflich entworfen und von Barfus, der den rechten Flügel befehligte, mit vieler Bravour ausgeführt, dem Kurfürsten Raum schaffte, die Festung enger und mit mehr Aussicht auf Erfolg zu umschließen.
Die Zernierung hatte schon über zwei Monate gewährt, als von dem durch Herzog Karl von Lothringen belagerten Mainz her die Nachricht anlangte, daß ein französisches Entsatzheer heranrücke und eine Verstärkung des dortigen deutschen Belagerungsheeres dringend wünschenswert mache. Barfus mit 6000 Brandenburgern ward auf diese Nachricht hin von Bonn nach Mainz detachiert. Als er am 30. August vor dem Kurfürsten Friedrich III., späteren König Friedrich I., erschien, um sich zu verabschieden, kam es im Vorzimmer zu folgender Szene.57)
Barfus fand den Schöning auf einem Stuhl sitzend vor und trat mit der Meldung an ihn heran: »daß er mit dem detachierten Korps nach Mainz marschiere, was er hiermit dem Herrn Feldmarschall-Leutnant zu wissen tue.« Hierauf gab Schöning eine »choquante Antwort« etwa dahin gehend: »wie es ihn Wunder nähme, daß ihm der Barfus endlich einmal die Zivilität täte und ihm die gebührende Meldung mache.« Barfus, dieser choquanten Sprache begreiflicherweise choquant begegnend, antwortete schnell, »daß er die Meldung nur auf Befehl des Kurfürsten gemacht und sie sicher unterlassen haben würde, wenn er gewußt hätte, daß er einer solchen Antwort zu begegnen habe.« Darauf Schöning: »auch ohne Befehl des Kurfürsten wäre die Meldung seine Schuldigkeit gewesen.« Worauf man sich trennte.
Aber diese Szene im Vorzimmer war nur Vorspiel. Barfus, als er eben das Haus verlassen hatte, hörte sich von dem hinter ihm her eilenden Schöning angerufen, der ihn jetzt aufforderte, mit ihm auf die Seite zu treten. Barfus war dazu bereit; Schöning aber, statt bei Seite zu treten, stellte sich etwa hundert Schritte vor der Hauptwache auf und rief Barfus zu, er solle den Degen ziehen. Barfus durchschaute das Spiel, das offenbar darauf aus war, ihn angesichts von Zeugen zu einer Insubordination hinzureißen, und ließ bedächtig den Degen in der Scheide. Schöning aber wiederholte sein: »Zieht, Herr Generalleutnant!« und rief ihm endlich zu: »Der Teufel soll mich holen, wenn dieser Barfus das Herz hat, den Degen zu ziehen!« Dabei schlug er zu gleicher Zeit dem Barfus den Stock aus der Hand, auf den sich dieser in vorgebogener Stellung während des ganzen Zwiegesprächs gestützt hatte. Barfus bückte sich, um den Stock wieder aufzuheben, und stieß dann mit dem spanischen Rohre nach Schöning, was dieser durch einen Stoß gegen des Gegners Hals erwiderte. Das war zu viel. Barfus fluchte: »Ei Sakrement!« und zog seinen Degen. Schöning sah ihm lächelnd zu, und seine beiden Arme ineinander geschlagen, rief er jetzt: »Haha, Monsieur zieht seinen Degen zuerst!« und zog dann auch. Es sprangen aber andere Militär dazwischen und die Streitenden wurden getrennt. Arrest folgte.
Dieser Vorfall machte größeres Aufsehen als die ganze Belagerung von Bonn, die beiläufig am 2. Oktober mit Übergabe der Festung endete, und führte neun Monate lang zu einem halb juristischen, halb diplomatischen Kampf, in dem sich die gegenüberstehenden Parteien, die Schöningsche und die Barfussche, in unzähligen Briefen, Eingaben, Gutachten usw. befehdeten. Aber die Partei Barfus war stärker. Die einflußreichsten Leute des Hofes: Danckelmann, Spanheim, Otto von Schwerin, alle nahmen, entweder weil die Sache selbst oder aber der hochfahrende Charakter Schönings zugunsten Barfus' sprach, die Partei des letzteren, und am 17. Juni 1690 erschien endlich folgendes kurfürstliches Reskript, das den Feldmarschall-Leutnant von Schöning, ohne einem Rechtsspruch vorgreifen zu wollen, in ziemlich ungnädigen Worten aus dem brandenburgischen Dienst entließ: »Se. kurfürstliche Durchlaucht haben Sich unterthänigst referiren und in Dero Geheimen Rath vortragen lassen: was Dero würklich Geheimer Kriegsrat und General-Feldmarschall-Lieutenant, der von Schöningen, sub dato Weißen-See bei Berlin den 11. Juni gehorsamst supplicirt und gebeten. Wohin denn S. K. Durchlaucht Sich dahin nochmalen in Gnaden erklären: daß Sie nicht unterlassen werden, in den zwischen gemeldetem Feldmarschall-Lieutenant und dem General-Lieutenant von Barfus entstandenen Mißhelligkeiten gebührende Justiz administriren und solche rechtlich untersuchen, erörtern und decidiren zu lassen. Daß aber S. K. Durchlaucht Dero General-Lieutenant des von Barfusen Person zu Dero Diensten bei Ihrer Armee indessen zu employiren resolviret, dessen haben Se. kurfürstliche Durchlaucht sowohl wegen deren hohen Interesse und Diensten, als auch in Consideration seiner, des von Barfusen, bisher observirten unterthänigsten Conduite und sonsten bewegende Ursachen gehabt und lassen es auch darbei nochmalen gnädigst bewenden, können Sich auch darunter von Niemanden Zeit noch Maaß setzen oder vorschreiben lassen. Sie wollen aber auch dem Feldmarschall von Schöning nicht wehren, sondern ihm vielmehr auch gnädigst erlauben, in einiger auswärtiger alliirter Potentaten Dienste, welche Deroselben und der guten Sache nicht zuwider sein, interimsweise zu treten, wenn er vorher dieselbe wird namhaft gemachet haben. – Indessen wiederholen Sr. kurfürstliche Durchlaucht Dero früher ergangene gnädigste Verordnung hiemit und befehlen dem General-Feldmarschall-Lieutenant von Schöning nochmalen gnädigst und ernstlichst: sich nicht allein dero hiesigen Residenzstädte zu enthalten, sondern auch aus bewegenden Ursachen, die so nahe daran gelegenen Örter zu meiden und sich daselbst nicht ferner aufhalten oder finden zu lassen.
Cölln a. d. Spree, den 17. Juni 1690.
Friedrich.
gegengez. Eberhardt von Danckelmann.«
Aus diesem Reskript (das wir dem nur als Manuskript existierenden Werke: »Geschichtliche Nachrichten über die Familie von Schöning« verdanken) geht unverkennbar hervor, daß, abgesehen von der schwebenden Frage: »wer hat Recht?« General Barfus in allem, was folgte, klug genug gewesen war, sich nachgiebig gegen die kurfürstliche Autorität zu zeigen, während der bedeutendere aber rechthaberische und überall anstoßende Schöning den Kurfürsten und seine Umgebung durch die Art seiner Rechtsforderung verletzt hatte. Während der Streit schwebte, hatte er – mutmaßlich bedeutet, die Residenz unter allen Umständen zu meiden, – abwechselnd in Tamsel und Weißensee gelebt. Jetzt, nachdem das oben mitgeteilte Reskript die Streitfrage praktisch zum Abschluß gebracht hatte, verließ er die Heimat, die seinem Wirken und seinem Ehrgeiz keinen Schauplatz mehr bot, und trat am 9. April 1691 als Feldmarschall in kursächsischen Dienst.
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54) Als Ofen endlich gefallen war, weckte die Nachricht davon in ganz Europa ein Gefühl freudigen Dankes. Aus Rom wurde berichtet: »der Papst habe mit lauter Stimme und unter den Dankestränen der Kardinäle das Gebet verrichtet.« Überall wurden Feste gefeiert, in Genua, Madrid, Brüssel usw. drei Tage lang, und der Kurfürst schrieb, »daß er die vergnügte, für die gesamte Christenheit so importante Nachricht während des Gottesdienstes in Potsdam empfangen und dem Allerhöchsten für die Besiegung eines so blutdürstigen Feindes öffentlich gedankt habe.« Man empfand die Abwendung einer Gefahr, die das Christentum überhaupt bedroht hatte.
55) Der Herzog von Vecha wurde in vollem Ornat, angetan mit dem Orden des goldenen Vließes, vor dem Zelte des Obergenerals, des Herzogs Karl von Lothringen, zur Schau gestellt. Windlichter umstanden den Sarg und alles drängte sich herbei, den Gefallenen zu sehen. – Karl von Derfflinger war derselbe, bei dessen Todesnachricht der alte Feldmarschall die bekannten Worte: »Warum hat sich der Narr nicht besser in acht genommen!« gesprochen haben soll. Wilhelm von Oranien sagte nach der Schlacht an der Boyne, als ihm der Tod des Bischofs von Derry gemeldet wurde: »Ganz recht, warum war er auch, wo er nicht hin gehörte!« Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Wendung, etwas verändert und um vieles weniger passend, auf Derfflinger übertragen worden ist.
56) Wie Fatime in Polen und Sachsen, so spielte eine andere Türkin Emmetah Uellah, fünfzig Jahre später in Preußen eine Rolle. Im Jahre 1766 kam der bekannte Lord Marshall, der letzte »Freund« des Königs, nach Potsdam und lebte in dem nach ihm genannten Hause in Sanssouci. Ihn begleitete seine Pflegetochter Emmetah Uellah, die Tochter eines Janitscharenhauptmanns, welche sein Bruder, der Feldmarschall Keith, im Jahre 1737 bei der Erstürmung der Festung Oczakow vor sicherem Tode gerettet hatte. Emmetah Uellah (»die Barmherzigkeit Gottes«) war eine auffallende Schönheit und im hohen Grade liebenswürdig. Schon 1747, als sie mit dem damals noch kaiserlich-russischen Feldmarschall zum ersten Male nach Berlin kam, hatte sie allgemeines Aufsehen erregt und auf den Gesandtschaftsreisen ihres Pflegevaters sich so vorteilhaft ausgebildet, daß sie mit ungezwungenstem Anstand die Honneurs des Hauses machen konnte. D'Alembert erzählt von ihr, Lord Marshall, obgleich schon im Greisenalter, habe eine leidenschaftliche Neigung für sie gefaßt, sei aber nicht erhört worden. Emmetah erwiderte auf den Antrag des Lords: »Ich bin deine Sklavin, und du kannst mit mir schalten, wie du willst; aber du würdest mich sehr unglücklich machen, wenn du von deinem Rechte Gebrauch machen wolltest. Ich liebe dich wie eine zärtliche Tochter ihren Vater nur lieben kann, mehr aber verlange nicht von mir!« Lord Marshall dachte viel zu edel, um der Unterwürfigkeit seiner Sklavin zu verdanken, was die Liebe des Mädchens ihm versagte, und selbst die giftigste Zunge unter den Tischgenossen Friedrichs hat es nicht gewagt, das Verhältnis zwischen beiden zu verdächtigen. Der König, welcher nicht liebte, Frauenzimmern in Sanssouci zu begegnen, sah sie nur bei seinen Besuchen in Lord Marshalls Hause, wo sie in den ersten Jahren die liebenswürdigste Wirtin zu machen wußte. Emmetah war wohl vorzüglich die Veranlassung, daß Lord Marshall sich von jungen Offizieren der Potsdamer Garnison gesucht und umgeben sah, die er dann für die spanische und englische Literatur, namentlich für den damals in Deutschland noch wenig bekannten Shakespeare zu interessieren suchte.
57) Ähnliche Eifersüchteleien und ein entsprechender Grad von Verbitterung herrschten damals überhaupt in der brandenburgischen Armee, und Schöning, was neben manchem andern ihn entschuldigen mag, war all die Zeit über gereizt worden. Vielfach wurden ihm die Honneurs versagt, besonders seitdem Feldmarschall Schomberg bei der Armee war. Graf Dohna z.B., der – ein Anhänger Schombergs und ein Gegner Schönings – als Oberstleutnant bei den Grands Mousquetaires stand, rief den Offizieren zu, als Schöning ihre Reihen passierte: »Meine Herren, daß Sie nicht grüßen! Ich verbiete es Ihnen.«