III.5. Fortbildung der Geschöpfe zu einer Verbindung mehrerer Begriffe und zu einem eignen freiern Gebrauch der Sinne und Glieder
1. In der toten Natur liegt alles noch in einem dunkeln, aber mächtigen Triebe. Die Teile dringen mit innigen Kräften zusammen; jedes Geschöpf sucht Gestalt zu gewinnen und formt sich. In diesem Trieb ist noch alles verschlossen; er durchdringt aber auch das ganze Wesen unzerstörbar. Die kleinsten Teile der Kristalle und Salze sind Kristalle und Salze; ihre bildende Kraft Wirkt in der kleinsten Partikel wie im Ganzen, unzerteilbar von außen, von innen unzerstörbar.
2. Die Pflanze wurde in Röhren und andern Teilen auseinandergeleitet; ihr Trieb fängt an, diesen Teilen nach sich zu modifizieren, ob er wohl im Ganzen noch einartig wirkt. Wurzel, Stamm, Äste saugen, aber auf verschiedne Art, durch verschiedne Gänge, verschiedne Wesen. Der Trieb des Ganzen modifiziert sich also mit ihnen, bleibt aber noch im Ganzen eins und dasselbe; denn die Fortpflanzung ist nur Effloreszenz des Wachstums; beide Triebe sind der Natur des Geschöpfs nach unabtrennbar.
3. Im Pflanzentier fängt die Natur an, einzelne Werkzeuge, mithin auch ihre inwohnenden Kräfte, unvermerkt zu sondern: die Werkzeuge der Nahrung werden sichtbar; die Frucht löst sich schon im Mutterleibe los, ob sogleich noch als Pflanze in ihm genährt wird. Viele Polypen sprossen aus einem Stamm; die Natur hat sie an Ort und Stelle gesetzt und mit einer eignen Bewegbarkeit noch verschonet; auch die Schnecke hat noch einen breiten Fuß, mit dem sie an ihrem Hause haftet. Noch mehr liegen die Sinne dieser Geschöpfe ungeschieden und dunkel ineinander; ihr Trieb wirkt langsam und innig; die Begattung der Schnecke dauert viele Tage. So hat die Natur diese Anfänge der lebendigen Organisation, soviel sie konnte, mit dem Vielfachen verschont, das Vielfache aber dafür in eine dunkle einfache Regung tiefer gehüllt und fester verbunden. Das zähe Leben der Schnecke ist beinah unzerstörbar.
4. Als sie höher hinaufschritt, beobachtete sie eben die weise Vorsicht, das Geschöpf an ein Vielfaches abgetrenneter Sinne und Triebe nur allmählich zu gewöhnen. Das Insekt konnte auf einmal nicht alles üben, was es üben sollte; es muß also seine Gestalt und sein Wesen verändern, um jetzt als Raupe dem Triebe der Nahrung, jetzt als Zwiefalter der Fortpflanzung gnugzutun; beider Triebe war es in einer Gestalt nicht fähig. Eine Art Bienen konnte nicht alles ausrichten, was der Genuß und die Fortpflanzung dieses Geschlechts foderte; also teilte die Natur und machte diese zu Arbeitern, jene zu Fortpflanzern, diese zur Gebärerin: alles durch eine kleine Abänderung der Organisation, wodurch die Kräfte des ganzen Geschöpfs eine andere Richtung bekamen. Was sie in einem Modell nicht ausfahren konnte, legte sie in drei Modellen, die alle zusammengehören, gebrochen auseinander. So lehrte sie also ihr Bienenwerk die Biene in drei Geschlechtern, wie sie den Schmetterling und andere Insekten ihren Beruf in zwo verschiednen Gestalten lehrte.
5. Je höher sie schritt, je mehr sie den Gebrauch mehrerer Sinne, mithin die Willkür zunehmen lassen wollte, desto mehr tat sie unnötige Glieder weg und simplifizierte den Bau von innen und außen. Mit der Haut der Raupe gingen Füße weg, die der Schmetterling nicht mehr bedurfte; die vielen Füße der Insekten, ihre mehreren und vielfachern Augen, ihre Fühlhörner und mancherlei andere kleine Rüstwerkzeuge verlieren sich bei den höhern Geschöpfen. Bei jenen war im Kopf wenig Gehirn; dies lag im Rückenmark längs hinunter, und jedes Nervenknötchen war ein neuer Mittelpunkt der Empfindung. Die Seele des kleinen Kunstgeschöpfs war also in sein ganzes Wesen gebreitet. Je mehr das Geschöpf an Willkür und Verstandesähnlichkeit wachsen soll, desto größer und hirnreicher wird der Kopf; die drei Hauptteile des Leibes treten in mehrere Proportion gegeneinander, da sie bei Insekten, Würmern u. f. noch gar verhältnislos waren. Mit welchen großen mächtigen Schwänzen schleppen sich noch die Amphibien ans Land; ihre Füße stehn unförmlich auseinander. In Landtieren hebt die Natur das Geschöpf; die Füße werden höher und rücken mehr zusammen. Der Schwanz mit seinen fortgesetzten Rückenwirbeln schmälert und kürzt sich; er verliert die groben Muskelkräfte des Krokodils und wird biegsamer, feiner, bis er sich bei edlern Tieren gar nur in einen haarigen Schweif ändert und die Natur ihn zuletzt, indem sie sich der aufrechten Gestalt nähert, gar wegwirft. Sie hat das Mark desselben höher hinaufgeleitet und an edlere Teile verwendet.
6. Indem die bildende Künstlerin also die Proportion des Landtiers fand, die beste, darin diese Geschöpfe gewisse Sinnen und Kräfte gemeinschaftlich üben und einer Form der Gedanken und Empfindungen vereinigen lernten, so änderte sie zwar nach der Bestimmung und Lebensart jedweder Gattung auch die Bildung derselben und schuf aus eben den Teilen und Gliedern jedem Geschlecht seine eigne Harmonie des Ganzen, mithin auch seine eigne, von allen andern Geschlechtern organisch verschiedne Seele; sie behielt indes doch unter allen eine gewisse Ähnlichkeit bei und schien einen Hauptzweck zu verfolgen. Dieser Hauptzweck ist offenbar, sich der organischen Form zu nähern, in der die meiste Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigste und freieste Gebrauch verschiedner Sinne und Glieder stattfände, und eben dies macht die mehr oder mindere Menschenähnlichkeit der Tiere. Sie ist kein Spiel der Willkür, sondern ein Resultat der mancherlei Formen, die zu dem Zweck, wozu sie die Natur verbinden wollte, nämlich zu einer Übung der Gedanken, Sinne, Kräfte und Begierden, in diesem Verhältnis, zu solchen und keinen andern Zwecken nicht anders als also verbunden werden konnten. Die Teile jedes Tiers stehen auf seiner Stufe in der engsten Proportion untereinander; und ich glaube, alle Formen sind erschöpft, in denen nur ein lebendiges Geschöpf auf unserer Erde fortkommen konnte. Dem Tier wurde ein vierfüßiger Gang; denn als Menschenhände konnt es noch nicht seine Vorfüße gebrauchen; durch den vierfüßigen Gang aber wurde ihm sein Stand, sein Lauf, sein Sprung und der Gebrauch aller seiner Tiersinne am leichtesten. Noch hängt sein Kopf zur Erde; denn von der Erde sucht's Nahrung. Der Geruch ist bei den meisten herrschend; denn er muß den Instinkt wecken oder ihn leiten. Bei diesem ist das Gehör, bei jenem das Auge scharf; und so hat die Natur nicht nur bei der vierfüßigen Tierbildung überhaupt, sondern bei der Bildung jedes Geschlechts besonders die Proportion der Kräfte und Sinne gewählt, die sich in dieser Organisation am besten zusammen üben konnten. Darnach verlängte oder kürzte sie die Glieder, darnach stärkte oder schwächte sie die Kräfte: Jedes Geschöpf ist ein Zähler zu dem großen Nenner, der die Natur selbst ist; denn auch der Mensch ist ja nur ein Bruch des Ganzen, eine Proportion von Kräften, die sich in dieser und keiner andern Organisation durch die gemeinschaftliche Beihülfe vieler Glieder zu einem Ganzen bilden sollte.
7. Notwendig mußte also in einer so durchdachten Erdorganisation keine Kraft die andere, kein Trieb den andern stören; und unendlich schön ist die Sorgfalt, die die Natur hier verwandte. Die meisten Tiere haben ihr bestimmtes Klima, und es ist gerade das, wo ihre Nahrung und Erziehung ihnen am leichtesten wird. Hätte die Natur sie in dieser Erträglichkeit vieler Erdstriche unbestimmter gebildet, in welche Not und Verwilderung wäre manche Gattung geraten, bis sie ihren Untergang gefunden hätte! Wir sehen dies noch an den bildsamen Geschlechtern, die dem Menschen in alle Länder gefolgt sind; sie haben sich mit jeder Gegend anders gebildet, und der wilde Hund ist das fürchterlichste Raubtier worden, eben weil er verwildert ist. Noch mehr hätte der Trieb der Fortpflanzung das Geschöpf verwirren müssen, wenn er unbestimmt gelassen wäre; nun aber legte die bildende Mutter auch diesen in Fesseln. Er wacht nur zu bestimmter Zeit auf, wenn die organische Wärme des Tiers am höchsten steigt; und da diese durch physische Revolutionen des Wachstums, der Jahrszeit, der reichsten Nahrung bewirkt wird und die gütige Vorsorgerin die Zeit des Tragens auch hiernach bestimmte, so wurde für alt und jung gesorget. Das Junge kommt auf die Welt, wenn es für sich fortkommen kann, oder es darf in einem Ei die böse Jahrszeit überdauern, bis eine freundlichere Sonne es aufweckt; das Alte fühlt nur dann den Trieb, wenn dieser es in nichts anderm stört. Auch das Verhältnis der beiden Geschlechter in der Stärke und Dauer dieses Triebes ist darnach eingerichtet.
Über allen Ausdruck ist die wohltätige Mutterliebe, mit der auf diese Weise die Natur jedes lebendige Geschöpf zu Tätigkeiten, Gedanken und Tugenden, der Fassung seiner Organisation gemäß, gleichsam erzieht und tätig gewöhnet. Sie dachte ihm vor, da sie diese Kräfte in solche und keine andere Organisation setzte, und nötigte das Geschöpf nun, in dieser Organisation zu sehen, zu begehren, zu handeln, wie sie ihm vorgedacht hatte und in den Schranken dieser Organisation Bedürfnis, Kräfte und Raum gab. Keine Tugend, kein Trieb ist im menschlichen Herzen, von dem sich nicht hie und da ein Analogon in der Tierwelt fände und zu dem also die bildende Mutter das Tier organisch gewöhnet. Es muß für sich sorgen, es muß die Seinigen lieben lernen; Not und die Jahrszeit zwingen es zur Gesellschaft, wenn auch nur zur geselligen Reise. Dieses Geschöpf zwingt der Trieb zur Liebe, bei jenem macht das Bedürfnis gar Ehe, eine Art Republik, eine gesellige Ordnung. Wie dunkel dies alles geschehe, wie kurz manches daure, so ist doch der Eindruck davon in der Natur des Tiers da; und wir sehen, er ist mächtig da, er kommt wieder, ja er ist in diesem Geschöpf unwidertreiblich, unauslöschlich. Je dunkler, desto inniger wirkt alles; je weniger Gedanken sie verbinden, je seltner sie Triebe üben, desto stärker sind die Triebe, desto vollendeter wirken sie. Überall also liegen Vorbilder der menschlichen Handlungsweisen, in denen das Tier geübt wird, und sie, da wir ihr Nervengebäude, ihren uns ähnlichen Bau, ihre uns ähnlichen Bedürfnisse und Lebensarten vor uns sehen, sie dennoch als Maschinen betrachten wollen, ist eine Sünde wider die Natur wie irgend eine.
Es ist daher auch nicht zu verwundern, daß, je menschenähnlicher ein Geschlecht wird, desto mehr seine mechanische Kunst abnehme; denn offenbar steht ein solches schon in einem vorübenden Kreise menschlicher Gedanken. Der Biber, der noch eine Wasserratte ist, baut künstlich. Der Fuchs, der Hamster und ähnliche Tiere haben ihre unterirdische Kunstwerkstätte; der Hund, das Pferd, das Kamel, der Elefant bedürfen dieser kleinen Künste nicht mehr; sie haben menschenähnliche Gedanken, sie üben sich, von der bildenden Natur gezwungen, in menschenähnlichen Trieben.