IV.1. Der Mensch ist zur Vernunftfähigkeit organisiert
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Der Orang-Utang ist im Innern und Äußern dem Menschen ähnlich. Sein Gehirn hat die Gestalt des unsern; er hat eine breite Brust, platte Schultern, ein ähnliches Gesicht, einen ähnlich gestalteten Schädel; Herz, Lunge, Leber, Milz, Magen, Eingeweide sind wie bei dem Menschen. Tyson22) hat 48 Stücke angegeben, in denen er mehr unserm Geschlecht als den Affenarten gleicht, und die Verrichtungen, die man von ihm erzählt, selbst seine Torheiten, Laster, vielleicht auch gar die periodische Krankheit, machen ihn dem Menschen ähnlich.
Allerdings muß also auch in seinem Innern, in den Wirkungen seiner Seele, etwas Menschenähnliches sein, und die Philosophen, die ihn unter die kleinen Kunsttiere erniedrigen wollen, verfehlen, wie mich dünkt, das Mittel der Vergleichung. Der Biber baut, aber instinktmäßig seine ganze Maschine ist dazu eingerichtet, sonst aber kann er nichts; er ist des Umganges der Menschen, der Teilnehmung an unsern Gedanken und Leidenschaften nicht fähig. Der Affe dagegen hat keinen determinierten Instinkt mehr; seine Denkungskraft steht dicht am Rande der Vernunft, am armen Rande der Nachahmung. Er ahmt alles nach und muß also zu tausend Kombinationen sinnlicher Ideen in seinem Gehirn geschickt sein, deren kein Tier fähig ist; denn weder der weise Elefant noch der gelehrige Hund tut, was er zu tun vermag; er will sich vervollkommen. Aber er kann nicht: die Tür ist zugeschlossen; die Verknüpfung fremder Ideen zu den seinen und gleichsam die Besitznehmung des Nachgeahmten ist seinem Gehirn unmöglich. Das Affenweib, das Bontius beschrieben, besaß Schamhaftigkeit und bedeckte sich mit der Hand, wenn ein Fremder hinzutrat; sie seufzte, weinte und schien menschliche Handlungen zu verrichten. Die Affen, die Battel beschrieben, gehen in Gesellschaft aus, bewaffnen sich mit Prügeln und verjagen den Elefanten aus ihren Bezirken; sie greifen Neger an und setzen sich um ihr Feuer, haben aber nicht den Verstand, es zu unterhalten. Der Affe des de la Brosse setzte sich zu Tisch, bediente sich des Messers und der Gabel, zürnte, trauerte, hatte alle menschliche Affekten. Die Liebe der Mütter zu den Kindern, ihre Auferziehung und Gewöhnung zu den Kunstgriffen und Schelmereien der Affenlebensart, die Ordnung in ihrer Republik und auf ihren Märschen, die Strafen, die sie ihren Staatsverbrechern antun, selbst ihre possierliche List und Bosheit nebst einer Reihe anderer unleugbarer Züge sind Beweise gnug, daß sie auch in ihrem Innern so menschenähnliche Geschöpfe sind, wie ihr Äußeres zeigt. Buffon verschwendet den Strom seiner Beredsamkeit umsonst, wenn er die Gleichförmigkeit des Organismus der Natur von innen und außen bei Gelegenheit dieser Tiere bestreitet; die Fakta, die er von ihnen selbst gesammelt hat, widerlegen ihn gnugsam, und der gleichförmige Organismus der Natur von innen und außen, wenn man ihn recht bestimmt, bleibt in allen Bildungen der Lebendigen unverkennbar.
Was fehlte also dem menschenähnlichen Geschöpf, daß es kein Mensch wurde? Etwa nur die Sprache? Aber man hat sich bei mehrern Mühe gegeben, sie zu erziehen, und wenn sie derselben fähig wären, hätten sie, die alles nachahmen, diese gewiß zuerst nachgeahmt und auf keine Instruktion gewartet. Oder liegt's allein an ihren Organen? Auch nicht; denn ob sie gleich den Inhalt der menschlichen Sprache fassen, so hat noch kein Affe, da er doch immer gestikuliert, sich ein Vermögen erworben, mit seinem Herrn pantomimisch zu sprechen und durch Gebärdungen menschlich zu diskurieren. Also muß es schlechthin an etwas anderm liegen, das dem Traurigen zur Menschenvernunft die Tür schloß und ihm vielleicht das dunkle Gefühl ließ, so nahe zu sein und nicht hineinzugehören.
Was war dies Etwas? Es ist sonderbar, daß der Zergliederung nach beinahe aller Unterschied an Teilen des Ganges zu liegen scheint. Der Affe ist gebildet, daß er etwa aufrecht gehen kann, und ist dadurch dem Menschen ähnlicher als seine Brüder; er ist aber nicht ganz dazu gebildet, und dieser Unterschied scheint ihm alles zu rauben. Lasst uns diesen Anblick verfolgen, und die Natur selbst wird uns auf die Wege führen, auf denen wir die erste Anlage zur menschlichen Würde zu suchen haben.
Der Orang-Utang23) hat lange Arme, große Hände, kurze Schenkel, große Füße mit langen Zehen; der Daum seiner Hand aber, der große Zeh seines Fußes ist klein: Buffon, und schon Tyson vor ihm, nennt das Affengeschlecht also vierhändig; und ihm fehlt mit diesen kleinen Gliedern offenbar die Basis zum festen Stande des Menschen. Sein Hinterleib ist hager, sein Knie breiter als beim Menschen und nicht so tief; die kniebewegende Muskeln sitzen tiefer im Schenkelbein, daher er nie ganz aufrecht stehen kann, sondern immer mit eingebogenen Knien gleichsam nur stehen lernt. Der Kopf des Schenkelknochen hängt in seiner Pfanne ohne Band; die Knochen des Beckens stehen wie bei vierfüßigen Tieren; die fünf letzten Halswirbel haben lange spitzige Fortsätze, die die Zurückbeugung des Kopfs hindern; er ist also durchaus nicht zur aufrechten Stellung geschaffen, und fürchterlich sind die Folgen, die daraus sprießen. Sein Hals wird kurz und lang die Schlüsselbeine, so daß der Kopf zwischen den Schultern zu stecken scheint.24 Sonach bekommt dieser ein größeres Vorderteil, hervorragende Kinnladen, eine platte Nase; die Augen stehn dicht aneinander; der Augapfel wird klein, daß man kein Weißes um den Stern sieht. Der Mund dagegen wird groß, der Bauch dick, die Brüste lang, der Rücken wie gebrechlich. Die Ohren treten tierartig empor. Die Augenhöhlen kommen dicht aneinander; die Gelenkflächen des Kopfs stehen nicht mehr in der Mitte seiner Grundfläche, wie beim Menschen, sondern hinterwärts, wie beim Tier. Der Oberkiefer dagegen rückt vorwärts, und das eingeschobne eigne Zwischenbein des Affen (Os intermaxillare) ist der letzte Abschnitt vom Menschenantlitz.25 Denn nun, nach dieser Formung des Kopfs unten hervor, hinten hinweg, nach dieser Stellung desselben auf dem Halse, nach dem ganzen Zuge des Rückenwirbels jenen gemäß, blieb der Affe - immer nur ein Tier, so menschenähnlich er übrigens sein mochte.
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