IV.1. Der Mensch ist zur Vernunftfähigkeit organisiert
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Also muß etwas anders hinzukommen, das die feinere Denkungskraft des Geschöpfs physiologisch fördert; und was könnte dies, nach dem Stufengange von Organisationen, den uns die Natur vors Auge gelegt hat, anders sein als der Bau des Gehirns selbst, die vollkommenere Ausarbeitung seiner Teile und Säfte, endlich die schönere Lage und Proportion desselben zur Empfängnis geistiger Empfindungen und Ideen in der glücklichsten Lebenswärme. Lasst uns ihr Buch aufschlagen, die feinsten Blätter, die sie je geschrieben, die Gehirntafeln selbst; denn da der Zweck ihrer Organisationen auf Empfindung, auf Wohlsein, auf Glückseligkeit eines Geschöpfs geht, so muß das Haupt endlich das sicherste Archiv werden, in dem wir ihre Gedanken finden:
1. In Geschöpfen, bei denen das Gehirn kaum anfängt, erscheint es noch sehr einfach: es ist wie eine Knospe oder ein paar Knospen des fortsprießenden Rückenmarkes, die nur den nötigsten Sinnen Nerven erteilen. Bei Fischen und Vögeln, die, nach Willis Bemerkung, im ganzen Bau des Gehirns Ähnlichkeit haben, nimmt die Zahl der Erhöhungen bis zu fünf und mehreren zu; sie sondern sich auch deutlicher auseinander. In den Tieren von wärmerem Blut endlich unterscheidet sich das kleine und große Gehirn kenntlich: die Flügel des letzten breiten sich der Organisation des Geschöpfs zufolge auseinander, und die einzelnen Teile treten zu eben dem Zweck in Verhältnis. Die Natur hat also, so wie bei der ganzen Bildung ihrer Geschlechter, so auch bei dem Inbegriff und Ziel derselben, dem Gehirn, nur einen Haupttypus, auf den sie es vom niedrigsten Wurm und Insekt anlegt, den sie bei allen Gattungen nach der verschiednen äußern Organisation des Geschöpfs im kleinen zwar verändert, aber verändernd fortführt, vergrößert, ausbildet und beim Menschen zuletzt aufs künstlichste vollendet. Sie kommt mit dem kleinen Hirn eher zustande als mit dem großen, da jenes seinem Ursprunge nach dem Rückenmark näher und verwandter. also auch bei mehreren Gattungen gleichförmiger ist, bei denen die Gestalt des großen Gehirns noch sehr variiert. Es ist dieses auch nicht zu verwundern, da vom kleinern Gehirn so wichtige Nerven für die tierische Organisation entspringen, so daß die Natur in Ausbildung der edelsten Gedankenkräfte ihren Weg von dem Rücken nach den vordern Teilen nehmen mußte.
2. Bei dem größern Gehirn zeigt sich die mehrere Ausarbeitung seiner Flügel in den edlern Teilen auf mehr als eine Weise. Nicht nur sind seine Furchen künstlicher und tiefer, und der Mensch hat derselben mehrere und mannigfaltere als irgendein anderes Geschöpf; nicht nur ist die Rinde des Hirns beim Menschen der zarteste und feinste Teil seiner Glieder, der sich ausdunstend bis auf 1/25 verliert, sondern auch der Schatz, den diese Rinde bedeckt und durchflicht, das Mark des Gehirns, ist bei den edlern Tieren und am meisten beim Menschen in seinen Teilen unterschiedner, bestimmter und vergleichungsweise größer als bei allen andern Geschöpfen. Beim Menschen überwiegt das große Gehirn das kleine um ein vieles, und das größere Gewicht desselben zeigt seine innere Fülle und mehrere Ausarbeitung.
3. Nun zeigen alle bisherigen Erfahrungen, die der gelehrteste Physiolog aller Nationen, Haller, gesammelt, wie wenig sich das unteilbare Werk der Ideenbildung in einzelnen materiellen Teilen des Gehirns materiell und zerstreut aufsuchen lasse; ja mich dünkt, wenn alle diese Erfahrungen auch nicht vorhanden wären, hätte man aus der Beschaffenheit der Ideenbildung selbst darauf kommen müssen. Was ist's, daß wir die Kraft unseres Denkens nach ihren verschiednen Verhältnissen bald Einbildungskraft und Gedächtnis, bald Witz und Verstand nennen? daß wir die Triebe, zu begehren, vom reinen Willen absondern und endlich gar Empfindungs- und Bewegungskräfte teilen? Die mindeste genauere Überlegung zeigt, daß diese Fähigkeiten nicht örtlich sein können, als ob in dieser Gegend des Gehirns der Verstand, in jener das Gedächtnis und die Einbildungskraft, in einer andern die Leidenschaften und sinnlichen Kräfte wohnen; denn der Gedanke unserer Seele ist ungeteilt, und jede dieser Wirkungen ist eine Frucht der Gedanken. Es wird daher beinah ungereimt, abstrahierte Verhältnisse als einen Körper zergliedern zu wollen und, wie Medea die Glieder ihres Bruders hinwarf, die Seele auseinander zu werfen. Entgeht uns bei dem gröbsten Sinne das Material der Empfindung, das vom Nervensaft (wenn dieser auch da wäre) ein so verschiednes Ding ist: wieviel weniger wird uns die geistige Verbindung aller Sinne und Empfindungen empfindbar werden, daß wir dieselbe nicht nur sehen und hören, sondern auch in den verschiedenen Teilen des Gehirns so willkürlich erwecken könnten, als ob wir ein Klavichord spielten. Der Gedanke, dieses auch nur zu erwarten, ist mir fremde.
4. Noch fremder wird er mir, wenn ich den Bau des Gehirns und seiner Nerven betrachte. Wie anders ist hier die Haushaltung der Natur, als wie sich unsere abstrahierte Psychologie die Sinne und Kräfte der Seele denkt! Wer würde aus der Metaphysik erraten, daß die Nerven der Sinne also entstehn, sich also trennen und verbinden? Und doch sind dies die einzigen Gegenden des Gehirns, die wir in ihren organischen Zwecken kennen, weil uns ihre Wirkung vors Auge gelegt ist. Also bleibt uns nichts übrig, als diese heilige Werkstätte der Ideen, das innere Gehirn, wo sich die Sinne einander nähern, als die Gebärmutter anzusehen, in denen sich die Frucht der Gedanken unsichtbar und unzerteilt bildet. Ist jene gesund und frisch und gewährt der Frucht nicht nur die gehörige Geistes - und Lebenswärme, sondern auch den geräumigen Ort, die schickliche Stätte, auf welcher die Empfindungen der Sinne und des ganzen Körpers von der unsichtbaren organischen Kraft, die hier alles durchwebt, erfasset und, wenn ich metaphorisch reden darf, in den lichten Punkt vereinigt werden können, der höhere Besinnung heißt, so wird, wenn äußere Umstände des Unterrichts und der Ideenweckung dazukommen, das feinorganisierte Geschöpf der Vernunft fähig. Ist dieses nicht, fehlen dem Gehirn wesentliche Teile oder feinere Säfte, nehmen gröbere Sinne den Platz ein, oder findet es sich endlich in einer verschobenen, zusammengedruckten Lage was wird die Folge sein, als daß jene feine Zusammenstrahlung der Ideen nicht stattfinde, daß das Geschöpf ein Knecht der Sinne bleibe?
5. Die Bildung der verschiednen Tiergehirne scheint dies augenscheinlich darzulegen, und eben hieraus, verglichen mit der äußern Organisation und Lebensweise des Tieres, wird man sich Rechenschaft geben können, warum die Natur, die überall auf einen Typus ausging, ihn nicht allenthalben erreichen konnte und jetzt so, jetzt anders abwechseln mußte. Der Hauptsinn vieler Geschöpfe ist der Geruch: er ist ihnen der notwendigste zur Unterhaltung und ihres Instinkts Führer. Nun siehe, wie sich im Gesicht des Tiers die Nase hervordrängt, so drängen sich auch im Gehirn desselben die Geruchnerven hervor, als ob zu ihnen allein der Vorderteil des Hauptes gemacht wäre. Breit, hohl und markig gehen sie daher, daß sie fortgesetzte Gehirnkammern scheinen; bei manchen Gattungen gehen die Stirnhöhlen weit herauf, um vielleicht auch den Sinn des Geruchs zu verstärken, und so, wenn ich so sagen darf, ist ein großer Teil der Tierseele geruchartig. Die Sehnerven folgen, da nach dem Geruch dieser Sinn dem Geschöpf der nötigste war; sie gelangen schon mehr zur mittlern Region des Gehirns, wie sie auch einem feineren Sinn dienen. Die andern Nerven, die ich nicht hererzählen will, folgen in der Maße, wie die äußere und innere Organisation einen Zusammenhang der Teile fodert, so daß z.B. die Nerven und Muskeln der Teile des Hinterhaupts den Mund, die Kinnbacken u. f. stützen und beseelen. Sie schließen also gleichsam das Antlitz und machen das äußere Gebilde so zu einem Ganzen, wie es nach dem Verhältnis innerer Kräfte das Innere war; nur berechne man dieses nicht bloß auf das Gesicht, sondern auf den ganzen Körper. Es ist sehr angenehm, die verschiednen Verhältnisse verschiedner Gestalten vergleichend durchzugehn und die innern Gewichte zu betrachten, die die Natur für jedes Geschöpf aufhing. Wo sie versagte, erstattete sie; wo sie verwirren mußte, verwirrte sie weise, d. i. der äußern Organisation des Geschöpfs und seiner ganzen Lebensweise harmonisch. Sie hatte aber immer ihren Typus im Auge und wich ungern von ihm ab, weil ein gewisses analoges Empfinden und Erkennen der Hauptzweck war, zu dem sie alle Erdorganisationen bilden wollte. Bei Vögeln, Fischen und den verschiedensten Landtieren ist dies in einer fortgehenden Analogie zu zeigen.
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