III.4. Von den Trieben der Tiere

 

Wir haben über die Triebe der Tiere ein vortreffliches Buch des seligen Reimarus20), das, so wie sein anderes über die natürliche Religion, ein bleibendes Denkmal seines forschenden Geistes und seiner gründlichen Wahrheitsliebe sein wird. Nach gelehrten und ordnungsvollen Betrachtungen über die mancherlei Arten der tierischen Triebe sucht er dieselbe aus Vorzügen ihres Mechanismus, ihrer Sinne und ihrer inneren Empfindung zu erklären, glaubt aber noch, insonderheit bei den Kunsttrieben, besondere determinierte Naturkräfte und natürlich angeborne Fertigkeiten annehmen zu müssen, die weiter keine Erklärung leiden. Ich glaube das letzte nicht; denn die Zusammensetzung der ganzen Maschine mit solchen und keinen andern Kräften, Sinnen, Vorstellungen und Empfindungen, kurz, die Organisation des Geschöpfs selbst war die gewisseste Richtung, die vollkommenste Determination, die die Natur ihrem Werk eindrücken konnte.

Als der Schöpfer die Pflanze baute und dieselbe mit solchen Teilen, mit solchen Anziehungs- und Verwandlungskräften des Lichts, der Luft und anderer feinen Wesen, die sich aus Luft und Wasser zu ihr drängen, begabte, da er sie endlich in ihr Element pflanzte, wo jeder Teil die ihm wesentlichen Kräfte natürlich äußert, so hatte er, dünkt mich, keinen neuen und blinden Trieb zur Vegetation dem Geschöpf anzuschaffen nötig. Jeder Teil mit seiner lebendigen Kraft tut das Seine, und so wird bei der ganzen Erscheinung das Resultat von Kräften sichtbar, das sich in solcher und keiner andern Zusammensetzung offenbaren konnte. Wirkende Kräfte der Natur sind alle, jede in ihrer Art, lebendig: in ihrem Innern muß ein Etwas sein, das ihren Wirkungen von außen entspricht, wie es auch Leibniz annahm und uns die ganze Analogie zu lehren scheint. Daß wir für diesen innern Zustand der Pflanze oder der noch unter ihr wirkenden Kräfte keinen Namen haben, ist Mangel unserer Sprache; denn Empfindung wird allerdings nur von dem innern Zustande gebraucht, den uns das Nervensystem gewährt. Ein dunkles Analogon indessen mag dasein; und wenn es nicht da wäre, so würde uns ein neuer Trieb, eine dem Ganzen zugegebne Kraft der Vegetation nichts lehren.

Zwei Triebe der Natur werden also schon bei der Pflanze sichtbar, der Trieb der Nahrung und Fortpflanzung; und das Resultat derselben sind Kunstwerke, an welche schwerlich das Geschäft irgendeines lebendigen Kunstinsekts reicht: es ist der Keim und die Blume. Sobald die Natur die Pflanze oder den Stein ins Tierreich überführt, zeigt sie uns deutlicher, was es mit den Trieben organischer Kräfte sei. Der Polyp scheint wie die Pflanze zu blühen und ist Tier; er sucht und genießet seine Speise tierartig; er treibt Schößlinge, und es sind lebendige Tiere; er erstattet sich, wo er sich erstatten kann - das größeste Kunstwerk, das je ein Geschöpf vollführte. Geht etwas über die Künstlichkeit eines Schneckenhauses? Die Zelle der Biene muß ihm nachstehn; das Gespinst der Raupe und des Seidenwurms muß der künstlichen Blume weichen. Und wodurch arbeitete die Natur jenes aus?

Durch innere organische Kräfte, die, noch wenig in Glieder geteilt, in einem Klumpen lagen und deren Windungen sich meistens dem Gange der Sonne gemäß dies regelmäßige Gebilde formten. Teile von innen heraus gaben die Grundlage her, wie die Spinne den Faden aus ihrem Unterteile zieht, und die Luft mußte nur härtere oder gröbere Teile hinzubilden. Mich dünkt, diese Übergänge lehren uns gnugsam, worauf alle, auch die Kunsttriebe des künstlichsten Tiers, beruhen; nämlich auf organischen Kräften, die in dieser und keiner andern Masse, nach solchen und keinen andern Gliedern wirken. Ob mit mehr oder weniger Empfindung, kommt auf die Nerven des Geschöpfs an; es gibt aber außer diesen noch regsame Muskelkräfte und Fibern voll wachsenden und sich wiederherstellenden Pflanzenlebens, welche zwei von den Nerven unabhängige Gattungen der Kräfte dem Geschöpf gnugsam ersetzen, was ihm an Gehirn und Nerven abgeht.

Und so führt uns die Natur selbst auf die Kunsttriebe, die man vorzüglich einigen Insekten zu geben gewohnt ist; aus keiner andern Ursache, als weil uns ihr Kunstwerk enger ins Auge fällt und wir dasselbe schon mit unsern Werken vergleichen. Je mehr die Werkzeuge in einem Geschöpf zerlegt sind, je lebendiger und feiner seine Reize werden, desto weniger kann es uns fremde dünken, Wirkungen wahrzunehmen, zu denen Tiere von gröberm Bau und von einer stumpferen Reizbarkeit einzelner Teile nicht mehr tüchtig sind, soviel andere Vorzüge sie übrigens haben mögen. Eben die Kleinheit des Geschöpfs und seine Feinheit wirkte zur Kunst, da diese nichts anders sein kann als das Resultat aller seiner Empfindungen, Tätigkeiten und Reize.

 


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Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2004 
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