III.4. Von den Trieben der Tiere

Beispiele werden auch hier das Beste sagen; und der treue Fleiß eines Swammerdam, Réaumur, Lyonnet, Rösels u. a. haben uns die Beispiele aufs schönste vors Auge gemalt. Das Einspinnen der Raupe, was ist es anders, als was soviel andere Geschöpfe unkünstlicher tun, indem sie sich häuten? Die Schlange wirft ihre Haut ab, der Vogel seine Federn, viele Landtiere ändern ihre Haare; sie verjüngen sich damit und erstatten ihre Kräfte. Die Raupe verjüngt sich auch, nur auf eine härtere, feinere, künstlichere Weise; sie streift ihre Dornhülle ab, daß einige ihrer Füße daran hangenbleiben, und tritt durch langsame und schnellere Übergänge in einen ganz neuen Zustand. Kräfte hiezu verlieh ihr ihr erstes Lebensalter, da sie als Raupe nur der Nahrung diente; jetzt soll sie auch der Erhaltung ihres Geschlechts dienen, und zur Gestalt hiezu arbeiten ihre Ringe und gebären sich ihre Glieder. Die Natur hat also bei der Organisation dieses Geschöpfs Lebensalter und Triebe nur weiter auseinander gelegt und läßt sich dieselbe in eignen Übergängen organisch bereiten - dem Geschöpf so unwillkürlich als der Schlange, wenn sie sich häutet.
Das Gewebe der Spinne, was ist's anders als der Spinne verlängertes Selbst, ihren Raub zu erhalten? Wie der Polyp die Arme ausstreckt, ihn zu fassen, wie sie die Krallen bekam, ihn festzuhalten, so erhielt sie auch die Warzen, zwischen welchen sie das Gespinst hervorzieht, den Raub zu erjagen. Sie bekam diesen Saft ungefähr zu so vielen Gespinsten, als auf ihr Leben hinreichen, und ist sie darin unglücklich, so muß sie entweder zu gewaltsamen Mitteln Zuflucht nehmen oder sterben. Der ihren ganzen Körper und alle demselben einwohnende Kräfte organisierte, bildete sie also zu diesem Gewebe organisch.
Die Republik der Biene sagt nichts anders. Die verschiedenen Gattungen derselben sind jede zu ihrem Zwecke gebildet, und sie sind in Gemeinschaft, weil keine Gattung ohne die andere leben könnte. Die Arbeitsbienen sind zum Honigsammlen und zum Bau der Zellen organisiert. Sie sammlen jenen, wie jedes Tier seine Speise sucht, ja wenn es seine Lebensart fodert, sie sich zum Vorrat zusammenträgt und ordnet. Sie bauen die Zellen, wie soviel andere Tiere sich ihre Wohnungen bauen, jedes auf seine Weise. Sie nähren, da sie geschlechtlos sind, die Jungen des Bienenstockes, wie andere ihre eignen Jungen nähren, und töten die Drohnen, wie jedes Tier ein anderes tötet, das ihm seinen Vorrat raubt und seinem Hause zur Last fällt. Wie dies alles nicht ohne Sinn und Gefühl geschehen kann, so ist es indessen doch nur Bienensinn, Bienengefühl: weder der bloße Mechanismus, den Buffon, noch die entwickelte rnathematisch-politische Vernunft, die andere ihnen angedichtet haben. Ihre Seele ist in diese Organisation eingeschlossen und mit ihr innig verwebt. Sie wirkt also derselben gemäß: künstlich und fein, aber enge und in einem sehr kleinen Kreise. Der Bienenstock ist ihre Welt, und das Geschäft desselben hat der Schöpfer noch durch eine dreifache Organisation dreifach verteilt.
Auch das Wort Fertigkeit müssen wir uns also nicht irremachen lassen, wenn wir diese organische Kunst bei manchen Geschöpfen sogleich nach ihrer Geburt bemerken. Unsere Fertigkeit entsteht aus Übungen, die ihrige nicht. Ist ihre Organisation ausgebildet, so sind auch die Kräfte derselben in vollem Spiel. Wer hat die größeste Fertigkeit auf der Welt? Der fallende Stein, die blühende Blume: er fällt, sie blüht ihrer Natur nach. Der Kristall schießt fertiger und regelmäßiger zusammen, als die Biene baut und als die Spinne webt. In jenem ist es nur noch organischer blinder Trieb, der nie fehlen kann; in diesen ist er schon zum Gebrauch mehrerer Werkzeuge und Glieder hinauforganisiert, und diese können fehlen. Das gesunde, mächtige Zusammenstimmen derselben zu einem Zweck macht Fertigkeit, sobald das ausgebildete Geschöpf da ist.
Wir sehen also auch, warum, je höher die Geschöpfe steigen, der unaufhaltbare Trieb sowie die irrtumfreie Fertigkeit abnehme. Je mehr nämlich das eine organische Principium der Natur, das wir jetzt bildend, jetzt treibend, jetzt emfindend jetzt künstlich bauend nennen und im Grunde nur eine und dieselbe organische Kraft ist, in mehr Werkzeuge und verschiedenartige Glieder verteilt ist, je mehr es in jedem derselben eine eigne Welt hat, also auch eignen Hindernissen und Irrungen ausgesetzt ist, desto schwächer wird der Trieb desto mehr kömmt er unter den Befehl der Willkür, mithin auch des Irrtums. Die verschiednen Empfindungen wollen gegeneinander gewogen und dann erst miteinander vereinigt sein; lebe wohl also, hinreißender Instinkt, unfehlbarer Führer. Der dunkle Reiz, der in einem gewissen Kreise, abgeschlossen von allem andern, eine Art Allwissenheit und Allmacht in sich schloß, ist jetzt in Äste und Zweige gesondert. Das des Lernens fähige Geschöpf muß lernen, weil es weniger von Natur weiß; es muß sich üben, weil es weniger von Natur kann; es hat aber auch durch seine Fortrückung, durch die Verfeinerung und Verteilung seiner Kräfte neue Mittel der Wirksamkeit, mehrere und feinere Werkzeuge erhalten, die Empfindungen gegeneinander zu bestimmen und die bessere zu wählen. Was ihm an Intensität des Triebes abgeht, hat es durch Ausbreitung und feinere Zusammenstimmung ersetzt bekommen, es ist eines feinern Selbstgenusses, eines freiern und vielfachern Gebrauchs seiner Kräfte und Glieder fähig worden, und alle dies, weil, wenn ich so sagen darf, seine organische Seele in ihren Werkzeugen vielfacher und feiner auseinandergelegt ist. Lasst uns einige wunderbar schöne und weise Gesetze dieser allmählichen Fortbildung der Geschöpfe betrachten, wie der Schöpfer sie Schritt vor Schritt immer mehr an eine Verbindung mehrerer Begriffe oder Gefühle sowie an einen eignen freiern Gebrauch mehrerer Sinne und Glieder gewöhnte.