IV.1. Der Mensch ist zur Vernunftfähigkeit organisiert

 

6. Und so kommen wir auf den Vorzug des Menschen in seiner Gehirnbildung. Wovon hängt er ab? Offenbar von seiner vollkommnern Organisation im ganzen und zuletzt von seiner aufrechten Stellung. Jedes Tiergehirn ist nach der Bildung seines Kopfs, oder vielmehr diese nach ihm, geformt, weil die Natur von innen aus wirkt. Zu welchem Gange, zu welchem Verhältnis der Teile gegeneinander, zu welchem Habitus endlich sie das Geschöpf bestimmte, darnach mischte und ordnete sie auch seine organischen Kräfte. Und so wurde das Gehirn groß oder klein, breit oder schmal, schwer oder leicht, viel- oder einartig, nachdem seine Kräfte waren und in welchem Verhältnis sie gegeneinander wirkten. Darnach wurden auch die Sinne des Geschöpfs stark oder schwach, herrschend oder dienend. Höhlen und Muskeln des Vorder- und Hinterhaupts bildeten sich, nachdem die Lymphe gravitierte, kurz, nach dem Winkel der organischen Hauptrichtung. Von zahlreichen Proben, die hierüber aus Gattungen und Geschlechtern angeführt werden könnten, führe ich nur zwei oder drei an. Was bildet den organischen Unterschied unsers Haupts vom Kopf des Affen? Der Winkel seiner Hauptrichtung. Der Affe hat alle Teile des Gehirns, die der Mensch hat; er hat sie aber nach der Gestalt seines Schädels in einer zurückgedrückten Lage, und diese hat er, weil sein Kopf unter einem andern Winkel geformt und er nicht zum aufrechten Gange gemacht ist. Sofort wirkten alle organischen Kräfte anders: Der Kopf wurde nicht so hoch, nicht so breit, nicht so lang wie der unsere; die niedern Sinne traten mit dem Unterteil des Gesichts hervor, und es wurde ein Tiergesicht, so wie sein zurückgeschobnes Gehirn immer nur ein Tiergehirn blieb; wenn er auch alle Teile des menschlichen Gehirns hätte, er hat sie in anderer Lage, in anderm Verhältnis. Die parisischen Zergliederer fanden in ihren Affen die Vorderteile menschenähnlich, die innern aber von dem kleinen Gehirn alle im Verhältnis tiefer; die Zirbeldrüse war konisch, ihre Spitze nach dem Hinterhaupt gekehrt u. f. - lauter Verhältnisse aus diesem Winkel der Hauptrichtung zu seinem Gange, zu seiner Gestalt und Lebensweise. Der Affe, den Blumenbach28 zergliederte, war noch tierischer, wahrscheinlich weil er von einer niedrigern Art war; daher sein größeres Cerebellum, daher die andern fehlende Unterschiede in den wichtigsten Regionen. Beim Orang-Utang fallen diese weg, weil sein Haupt minder zurückgebogen, sein Gehirn minder zurückgedrückt ist; indessen noch zurückgedrückt gnug, wenn man es mit dem hoch- und rund- und freigewölbten menschlichen Gehirn vergleicht, der einzigen schönen Kammer der vernünftigen Ideenbildung. Warum hat das Pferd kein Wundernetz (Rete mirabile) gleich andern Tieren? Weil sein Haupt emporsteht und sich die Hauptader schon einigermaßen dem Menschen ähnlich, ohne diese Versiegungen wie bei hangenden Tierhäuptern, erhebt. Es wurde also auch ein edleres, rasches, mutiges Tier, von vieler Wärme, von wenigem Schlaf; da hingegen bei Geschöpfen, denen ihr Haupt niedersank, die Natur im Bau des Gehirns soviel andere Anstalten vorzukehren hatte, sogar daß sie die Hauptteile desselben mit einer beinern Wand unterschied. Alles kam also auf die Richtung an, nach und zu der sie das Haupt der Organisation des ganzen Körpers gemäß formte. Ich schweige von mehrern Beispielen mit dem Wunsch, daß forschende Zergliederer, insonderheit bei menschenähnlichen Tieren, auf dies innere Verhältnis der Teile nach der Lage gegeneinander und nach der Richtung des Haupts in seiner Organisation zum Ganzen Rücksicht nehmen möchten; hier, glaube ich, wohnt der Unterschied einer Organisation zu diesem oder jenem Instinkt, zur Wirkung einer Tier- oder Menschenseele; denn jedes Geschöpf ist in allen seinen Teilen ein lebendig zusammenwirkendes Ganze.

7. Selbst der Winkel der menschlichen Wohlgestalt oder Mißbildung scheint sich aus diesem einfachen und allgemeinen Gesetz der Bildung des Haupts zum aufrechten Gange bestimmen zu lassen; denn da diese Form des Kopfs, diese Ausbreitung des Gehirns in seine weiten und schönen Hemisphäre, mithin die innere Bildung zur Vernunft und Freiheit nur auf einer aufrechten Gestalt möglich war, wie das Verhältnis und die Gravitation dieser Teile selbst, die Proportion ihrer Wärme und die Art ihres Blutumlaufs zeigt, so konnte auch aus diesem innern Verhältnis nichts anders als die menschliche Wohlgestalt werden. Warum neigt sich die griechische Form des Oberhaupts so angenehm vor? Weil sie den weitesten Raum eines freien Gehirns umschließt, ja auch schöne, gesunde Stirnhöhlen verrät, also einen Tempel jugendlich- schöner und reiner Menschengedanken. Das Hinterhaupt dagegen ist klein; denn das tierische Cerebellum soll nicht überwiegen. So ist's mit den andern Teilen des Gesichts; sie zeigen als sinnliche Organe die schönste Proportion der sinnlichen Kräfte des Gehirns an, und jede Abweichung davon ist tierisch. Ich bin gewiß, daß wir über die Zusammenstimmung dieser Teile einst noch eine so schöne Wissenschaft haben werden, als uns die bloß erratende Physiognomik schwerlich allein gewähren kann. Im Innern liegt der Grund des Äußern, weil durch organische Kräfte alles von innen heraus gebildet wurde und jedes Geschöpf eine so ganze Form der Natur ist, als ob sie nichts anders geschaffen hätte.

Blick also auf gen Himmel, o Mensch, und erfreue dich schaudernd deines unermeßlichen Vorzugs, den der Schöpfer der Welt an ein so einfaches Principium, deine aufrechte Gestalt, knüpfte! Gingest du wie ein Tier gebückt, wäre dein Haupt in eben der gefräßigen Richtung für Mund und Nase geformt und darnach der Gliederbau geordnet: wo bliebe deine höhere Geisteskraft, das Bild der Gottheit, unsichtbar in dich gesenkt? Selbst die Elenden, die unter die Tiere gerieten, verloren es: wie sich ihr Haupt mißbildete, verwilderten auch die inneren Kräfte; gröbere Sinnen zogen das Geschöpf zur Erde nieder. Nun aber durch die Bildung deiner Glieder zum aufrechten Gange bekam das Haupt seine schöne Stellung und Richtung; mithin gewann das Hirn, dies zarte, ätherische Himmelsgewächs, völligen Raum, sich umherzubreiten und seine Zweige abwärts zu versenden. Gedankenreich wölbte sich die Stirn, die tierischen Organe traten zurück, es wurde eine menschliche Bildung Je mehr sich der Schädel hob, desto tiefer trat das Gehör hinab; es fügte sich mit dem Gesicht freundschaftlicher zusammen, und beide Sinne bekamen einen innern Zutritt zur heiligen Kammer der Ideenbildung. Das kleinere Gehirn, die sprossende Blüte des Rückens und der sinnlichen Lebenskräfte, trat, da es bei den Tieren herrschender war, mit dem andern Gehirn in ein untergeordnetes milderes Verhältnis. Die Strahlen der wunderbar schönen gestreiften Körper wurden bei dem Menschen gezeichneter und feiner; ein Fingerzeig auf das unendlich feinere Licht, das in dieser mittlern Region zusammen- und auseinanderstrahlt. So wurde, wenn ich in einem Bilde reden darf, die Blume gebildet, die auf dem verlängerten Rückenmark nur emporsproßte, sich aber vornweg zu einem Gewächs voll ätherischer Kräfte wölbt, das nur auf diesem emporstrebenden Baum erzeugt werden konnte.

Denn ferner: Die ganze Proportion der organischen Kräfte eines Tiers ist der Vernunft noch nicht günstig. In seiner Bildung herrschen Muskelkräfte und sinnliche Lebensereize, die nach dem Zweck des Geschöpfs in jede Organisation eigen verteilt sind und den herrschenden Instinkt jedweder Gattung bilden. Mit der aufrechten Gestalt des Menschen stand ein Baum da, dessen Kräfte so proportioniert sind, daß sie dem Gehirn, als ihrer Blume und Krone, die feinsten und reichsten Säfte geben sollten. Mit jedem Aderschlag erhebt sich mehr als der sechste Teil des Bluts im menschlichen Körper allein zum Haupt; der Hauptstrom desselben erhebt sich gerade und krümmt sich sanft und teilt sich allmählich, also daß auch die entferntesten Teile des Haupts von seinem und seiner Brüder Strömen Nahrung und Wärme erhalten. Die Natur bot alle ihre Kunst auf, die Gefäße desselben zu verstärken, seine Macht zu schwächen und zu verfeinern, es lange im Gehirne zu halten und, wenn es sein Werk getan hat, es sanft vom Haupt zurückzuleiten. Es entsprang aus Stämmen, die, dem Herzen nahe, noch mit aller Kraft der ersten Bewegung wirken, und vom ersten Lebensanfange an arbeitet die ganze Gewalt des jungen Herzens auf diese, die empfindlichsten und edelsten Teile. Die äußern Glieder bleiben noch ungeformt, damit zuerst nur das Haupt und die innern Teile aufs zartste bereitet werden. Mit Verwundern sieht man nicht nur das gewaltige Übermaß derselben, sondern auch ihre feine Struktur in den einzelnen Sinnen des Ungebornen, als ob die große Künstlerin denselben allein zum Gehirn und zu den Kräften innerer Bewegung erschaffen wollte, bis sie allmählich auch die andern Glieder als Werkzeuge und Darstellung des Innern nachholet. Schon also im Mutterleibe wird der Mensch zur aufrechten Stellung und zu allem, was von ihr abhängt, gebildet. In keinem hangenden Tierleibe wird er getragen; ihm ist eine künstlichere Formungsstätte bereitet, die auf ihrer Basis ruht. Da sitzt der kleine Schlafende, und das Blut dringt zu seinem Haupt, bis dieses durch seine eigne Schwere sinkt. Kurz, der Mensch ist, was er sein soll (und dazu wirken alle Teile), ein aufstrebender Baum, gekrönt mit der schönsten Krone einer feinern Gedankenbildung.

 


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