IV.3. Der Mensch ist zu feinern Sinnen, zur Kunst und zur Sprache organisiert

 

Bei den Tieren sehen wir Voranstalten zur Rede, und die Natur arbeitet auch hier von unten herauf, um diese Kunst endlich im Menschen zu vollenden Zum Werk des Atemholens wird die ganze Brust mit ihren Knochen, Bändern und Muskeln, das Zwerchfell und sogar Teile des Unterleibes, des Nackens, des Halses und der Oberarme erfodert: zu diesem großen Werk also baute die Natur die ganze Säule der Rückenwirbel mit ihren Bändern und Ribben, Muskeln und Adern; sie gab den Teilen der Brust die Festigkeit und Beweglichkeit, die zu ihm gehören, und ging von den niedrigern Geschöpfen immer höher, eine vollkommenere Lunge und Luftröhre zu bilden. Begierig zieht das neugeborne Tier den ersten Atemzug in sich, ja es drängt sich nach demselben, als ob es ihn nicht erwarten könnte. Wunderbar viel Teile sind zu diesem Werk geschaffen; denn fast alle Teile des Körpers haben zu ihrem wirksamen Gedeihen Luft nötig. Indessen sosehr sich alles nach diesem lebendigen Gottesatem drängt, so hat nicht jedes Geschöpf Stimme und Sprache, die am Ende durch kleine Werkzeuge, den Kopf der Luftröhre, einige Knorpel und Muskeln, endlich durch das einfache Glied der Zunge befördert werden. In der schlichtesten Gestalt erscheint diese Tausendkünstlerin aller göttlichen Gedanken und Worte, die mit ein wenig Luft durch eine enge Spalte nicht nur das ganze Reich der Ideen des Menschen in Bewegung gesetzt, sondern auch alles ausgerichtet hat, was Menschen auf der Erde getan haben.

Unendlich schön ist's, den Stufengang zu bemerken, auf dem die Natur vom stummen Fisch, Wurm und Insekt das Geschöpf allmählich zum Schall und zur Stimme hinauffördert Der Vogel freut sich seines Gesanges als des künstlichsten Geschäfts und zugleich des herrlichsten Vorzugs, den ihm der Schöpfer gegeben; das Tier, das Stimme hat, ruft sie zu Hülfe, sobald es Neigungen fühlt und der innere Zustand seines Wesens freudig oder leidend hinauswill. Es gestikuliert wenig; und nur die Tiere sprechen durch Zeichen, denen vergleichungsweise der lebendige Laut versagt ist. Die Zunge einiger ist schon gemacht, menschliche Worte nachsprechen zu können, deren Sinn sie doch nicht begreifen; die Organisation von außen, insonderheit unter der Zucht des Menschen, eilt dem innern Vermögen gleichsam zum voraus. Hier aber schloß sich die Tür, und dem menschenähnlichsten Affen ist die Rede durch eigne Seitensäcke, die die Natur an seine Luftröhre hing, gleichsam absichtlich und gewaltsam versagt31).

Warum tat dies der Vater der menschlichen Rede? Warum wollte er das Geschöpf, das alles nachahmt, gerade dies Kriterium der Menschheit nicht nachahmen lassen und versperrte ihm dazu durch eigne Hindernisse den Weg unerbittlich? Man gehe in Häuser der Wahnsinnigen und höre ihr Geschwätz; man höre die Rede mancher Mißgebornen und äußerst Einfältigen, und man wird sich selbst die Ursache sagen. Wie wehe tut uns ihre Sprache und das entweihte Geschenk der menschlichen Rede! und wie entweihter würde sie im Munde des lüsternen, groben, tierischen Affen werden, wenn er menschliche Worte, wie ich nicht zweifle, mit halber Menschenvernunft nachäffen könnte. Ein abscheuliches Gewebe menschenähnlicher Töne und Affengedanken - nein, die göttliche Rede sollte dazu nicht erniedrigt werden, und der Affe wurde stumm, stummer als andere Tiere, wo ein jedes bis zum Frosch und zur Eidechse hinunter seinen eignen Schall hat.

Aber den Menschen baute die Natur zur Sprache; auch zu ihr ist er aufgerichtet und an eine emporstrebende Säule seine Brust gewölbt. Menschen, die unter die Tiere gerieten, verloren nicht nur die Rede selbst, sondern zum Teil auch die Fähigkeit zu derselben: ein offenbares Kennzeichen, daß ihre Kehle mißgebildet worden und daß nur im aufrechten Gange wahre menschliche Sprache stattfindet. Denn obgleich mehrere Tiere menschenähnliche Sprachorgane haben, so ist doch, auch in der Nachahmung, keines derselben des fortgehenden Stroms der Rede aus unserer erhabnen, freien, menschlichen Brust, aus unserm engern und künstlich verschlossenen Munde fähig. Hingegen der Mensch kann nicht nur alle Schälle und Töne derselben nachahmen und ist, wie Monboddo sagt, der Mock-bird unter den Geschöpfen der Erde, sondern ein Gott hat ihn auch die Kunst gelehrt, Ideen in Töne zu prägen, Gestalten durch Laute zu bezeichnen und die Erde zu beherrschen durch das Wort seines Mundes. Von der Sprache also fängt seine Vernunft und Kultur an; denn nur durch sie beherrscht er auch sich selbst und wird des Nachsinnens und Wählens, dazu er durch seine Organisation nur fähig war, mächtig. Höhere Geschöpfe mögen und müssen es sein, deren Vernunft durch das Auge erwacht, weil ihnen ein gesehenes Merkmal schon genug ist, Ideen zu bilden und sie unterscheidend zu fixieren; der Mensch der Erde ist noch ein Zögling des Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmählich erst verstehen lernt. Der Unterschied der Dinge maß ihm durch Beihülfe eines andern erst in die Seele gerufen werden, da er denn, vielleicht zuerst atmend und keichend, dann schallend und sangbar seine Gedanken mitteilen lernte. Ausdrückend ist also der Name der Morgenländer, mit dem sie die Tiere die Stummen der Erde nennen; nur mit der Organisation zur Rede empfing der Mensch den Atem der Gottheit, den Samen zur Vernunft und ewigen Vervollkommnung, einen Nachhall jener schaffenden Stimme zu Beherrschung der Erde, kurz, die göttliche Ideenkunst, die Mutter aller Künste.

 


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