§ 34. Die Peripatetiker. Einfluß auf die Folgezeit.
Die Geschichte der aristotelischen Schule, die in den Peripatoi des Lyzeums (§ 27) blieb und deshalb den Namen der »peripatetischen« behielt, ist hier gleich anzuschließen, da sie sich, ausgenommen Strato, von der Lehre des Meisters nur wenig entfernt, auch in die Entwicklung der übrigen nacharistotelischen Philosophie, ebenso wie die ältere Akademie, kaum eingegriffen hat. Aristoteles' Nachfolger in der Leitung der Schule war sein treuer Freund
1. Theophrast von Lesbos (um 372-287) 35 Jahre lang. Aristoteles soll ihn selbst als solchen mit den Worten »der lesbische Wein sei süßer als der rhodische« (Eudemus von Rhodus, s. u. 2) empfohlen haben. Theophrast war nicht nur ein glänzender Redner, sondern schrieb auch über fast alle Gebiete des menschlichen Wissens. Von diesen Schriften sind jedoch außer einigen naturwissenschaftlichen, besonders botanischen, nur die Ethischen Charaktere, ein Teil seiner Metaphysik und eine Anzahl Fragmente erhalten (vgl. Useners Erstlingsarbeit Analecta Theophrastea, Leipzig 1858). Seine Pflanzenkunde, in der bereits 500 Arten aufzählt, der erste Versuch einer wissenschaftlichen Botanik, machte ihn zum Lehrer des gesamten Mittelalters. Naturwahr ist seine Schilderung menschlicher Schwächen in den Charakteren, die früher gern gelesen und von Wieland ins Deutsche, von La Bruyère - schon 1688 - ins Französische übersetzt wurden. Philosophisch folgt er im ganzen seinem Freund und Meister, als dessen Ausleger er wichtig ist. Anscheinend bildete er dessen realistisch- naturalistische Seite weiter aus, indem er z.B. das Denken mit der (physikalischen) Bewegung in Beziehung brachte, den Wert der sinnlichen Wahrnehmung stärker betonte und die Menschenseele für eine nur vollkommenere Tierseele erklärte; auch den doppelten nous (§ 31) scheint er kritisiert zu haben. Seine Physikôn doxai - die erhaltenen Bruchstücke sind herausgegeben von Diels - gaben eine kritische Geschichte der bisherigen Naturwissenschaft bezw. -philosophie. In der Ethik war er laxer, oder vielmehr es kam bei ihm die Lockerheit der peripatetischen Grundlehren offener zum Ausbruch. Die Stoiker und das spätere Altertum, besonders Cicero, warfen ihm Überschätzung der äußeren Güter vor. Einen modernen Zug trägt es, dass er alle Menschen als einander von Natur verwandt bezeichnet.
2. Von geringerer Bedeutung ist der oben genannte Eudemos von Rhodus, der die Schriften des Meisters, besonders die ethischen, überarbeitete und hier und da durch eigene Zutaten, u. a. stärkere Betonung des theologischen Gesichtspunktes, ergänzte. Er wird als der treueste, aber auch unselbständigste von Aristoteles' Schülern bezeichnet. Aristoxenos von Tarent, von der pythagoreischen Schule herkommend, hat sich als Theoretiker und Historiker der Musik einen Namen gemacht und die Seele einer Harmonie von Tönen verglichen. Dikaearch von Messana verherrlichte in seiner Kulturgeschichte (bios) Griechenlands den Naturzustand und sah die Entwicklung des Privateigentums als Abfall vom Naturgesetze an. Rousseau erwähnt ihn.
3. Bedeutender war Theophrasts Nachfolger als Schulhaupt zu Athen (287-269), Strato der »Physiker« aus Lampsakus, ein entschiedener Materialist und Pantheist, der durch seine physikalischen Experimente die Ärzte wie die Mechaniker seiner Zeit in gleicher Weise anregte. Er trat dem Dualismus und Spiritualismus in Aristoteles' Philosophie entgegen und setzte an die Stelle der Gottheit die unbewußt wirkende Natur. Statt der aristotelischen Teleologie forderte er eine rein physikalische Erklärung der Dinge, wobei er allerdings - vielleicht als Peripatetiker - Demokrits Atomlehre bekämpfen zu müssen glaubte. Nur die erste Entstehung der Dinge sei eine zufällige, alles weitere folge naturgesetzlich auseinander. Das Anschauen sei stets mit Denken, das Denken stets mit Anschauen verbunden, der Geist kein selbständiges Wesen neben der animalischen Seele, er habe vielmehr seinen Sitz zwischen den Augenbrauen. Natürlich bestreitet er infolgedessen auch die Unsterblichkeit der Seele. An die Stelle der Atome setzte er ursprüngliche Grundkräfte, wie z.B. das Warme und Kalte. So lenkte die peripatetische Philosophie mit diesem antiken Monisten wieder in altionische Vorstellungskreise zurück.
4. Die folgenden Peripatetiker scheinen sich mit einer verflachenden Wiederherstellung der altaristotelischen Lehre begnügt zu haben. Von ihnen sind fast nur Namen und Schriftentitel überliefert. Mit der Neuherausgabe der Werke durch Andronikos (S. 122) begann seitens der Peripatetiker eine rastlose philologische Tätigkeit in Auslegung und Berichtigung der aristotelischen Schriften, verbunden mit ihrer Verteidigung gegen stoische und akademische Widersacher. Der bedeutendste dieser Kommentatoren ist der zu Anfang des 3. Jahrhunderts nach Chr. zu Athen lebende Alexander von Aphrodisias (in Karien), mit dem Beinamen der »Exeget« (Erklärer), von dem, außer verschiedenen Kommentaren zu Aristoteles' logischen Schriften und Metaphysik, auch einige eigene Schriften erhalten sind. Allmählich verschmelzen die letzten Peripatetiker mit dem Neuplatonismus (§ 49 f.).
Des Aristoteles Einfluß auf die Weiterentwicklung der Philosophie beschränkt sich jedoch bei weitem nicht auf seine engere Schule, sondern wird uns noch an verschiedenen Stellen wieder begegnen. Hier seien nur die Hauptetappen desselben kurz erwähnt. Die ältere christliche Philosophie übernimmt sein Organon. Seit dem 8. Jahrhundert beschäftigt sich die arabische Philosophie mit ihm, desgleichen die jüdische. Durch beide lernt 1200 das christliche Abendland die aristotelischen Schriften vollständiger und gründlicher kennen. Aristoteles wird der Philosoph, maßgebend in allen Fragen weltlicher Wissenschaft, von Dante als der »Meister aller Wissenden« gepriesen. Die vollendetste Synthese von Aristotelismus und Kirchenlehre stellt sich in der Blüte der Scholastik (Thomas von Aquino) dar. Auch die Renaissance führt zunächst zu einer Erneuerung der echten, aus den Quellen geschöpften Lehre; Melanchthon führt ihn in etwas modernisierter Gestalt auf den protestantischen Universitäten ein. Von der neueren Philosophie und Naturwissenschaft (Galilei, Descartes) grundsätzlich überwunden, hat er im 18. Jahrhundert doch noch Einfluß auf Wolff geübt. Erst durch Kant ist er völlig historisch geworden, obwohl er auch im 19. Jahrhundert noch immer vereinzelte Anhänger (z.B. Trendelenburg) gefunden hat, abgesehen von der offiziellen katholischen »Philosophie«, die ja nur eine Fortsetzung der mittelalterlichen Scholastik ist.