10. Gesetze
10. Die »Gesetze«, als welche man manche Lehrsätze der verstehenden Soziologie zu bezeichnen gewohnt ist, – etwa das Greshamsche »Gesetz« – sind durch Beobachtung erhärtete typische Chancen eines bei Vorliegen gewisser Tatbestände zu gewärtigenden Ablaufes von sozialem Handeln, welche aus typischen Motiven und typisch gemeintem Sinn der Handelnden verständlich sind. Verständlich und eindeutig sind sie im Höchstmaß soweit, als rein zweckrationale Motive dem typisch beobachteten Ablauf zugrunde liegen (bzw. dem methodisch konstruierten Typus aus Zweckmäßigkeitsgründen zugrunde gelegt werden), und als dabei die Beziehung zwischen Mittel und Zweck nach Erfahrungssätzen eindeutig ist (beim »unvermeidlichen« Mittel). In diesem Fall ist die Aussage zulässig: daß, wenn streng zweckrational gehandelt würde, so und nicht anders gehandelt werden müßte (weil den Beteiligten im Dienste ihrer – eindeutig angebbaren – Zwecke aus »technischen« Gründen nur diese und keine anderen Mittel zur Verfügung stehen). Gerade dieser Fall zeigt zugleich: wie irrig es ist, als die letzte »Grundlage« der verstehenden Soziologie irgendeine »Psychologie« anzusehen. Unter »Psychologie« versteht heute jeder etwas anderes. Ganz bestimmte methodische Zwecke rechtfertigen für eine naturwissenschaftliche Behandlung gewisser Vorgänge die Trennung von »Physischem« und »Psychischem«, welche in diesem Sinn den Disziplinen vom Handeln fremd ist. Die Ergebnisse einer wirklich nur das im Sinn naturwissenschaftlicher Methodik »Psychische« mit Mitteln der Naturwissenschaft erforschenden und also ihrerseits nicht – was etwas ganz andres ist – menschliches Verhalten auf seinen gemeinten Sinn hin deutenden psychologischen Wissenschaft, gleichviel wie sie methodisch geartet sein möge, können natürlich, genau ebenso wie diejenigen irgendeiner anderen Wissenschaft, im Einzelfall Bedeutung für eine soziologische Feststellung gewinnen und haben sie oft in hohem Maße. Aber irgendwelche generell näheren Beziehungen als zu allen anderen Disziplinen hat die Soziologie zu ihr nicht. Der Irrtum liegt im Begriff des »Psychischen«: Was nicht »physisch« sei, sei »psychisch«. Aber der Sinn eines Rechenexempels, den jemand meint, ist doch nicht »psychisch«. Die rationale Überlegung eines Menschen: ob ein bestimmtes Handeln bestimmt gegebenen Interessen nach den zu erwartenden Folgen förderlich sei oder nicht, und der entsprechend dem Resultat gefaßte Entschluß werden uns nicht um ein Haar verständlicher durch »psychologische« Erwägungen. Gerade auf solchen rationalen Voraussetzungen aber baut die Soziologie (einschließlich der Nationalökonomie) die meisten ihrer »Gesetze« auf. Bei der soziologischen Erklärung von Irrationalitäten des Handelns dagegen kann die verstehende Psychologie in der Tat unzweifelhaft entscheidend wichtige Dienste leisten. Aber das ändert an dem methodologischen Grundsachverhalt nichts.