§ 12. Begriff und Arten der Verbände
§ 12. Verband soll eine nach außen regulierend beschränkte oder geschlossene soziale Beziehung dann heißen, wenn die Innehaltung ihrer Ordnung garantiert wird durch das eigens auf deren Durchführung eingestellte Verhalten bestimmter Menschen: eines Leiters und, eventuell, eines Verwaltungsstabes, der gegebenenfalls normalerweise zugleich Vertretungsgewalt hat. Die Innehabung der Leitung oder einer Teilnahme am Handeln des Verwaltungsstabes – die »Regierungsgewalten « – können a) appropriiert oder b) durch geltende Verbandsordnungen bestimmten oder nach bestimmten Merkmalen oder in bestimmten Formen auszulesenden Personen dauernd oder zeitweise oder für bestimmte Fälle zugewiesen sein. »Verbandshandeln« soll a) das auf die Durchführung der Ordnung bezogene kraft Regierungsgewalt oder Vertretungsmacht legitime Handeln des Verwaltungsstabs selbst, b) das von ihm durch Anordnungen geleitete [verbandsbezogene (s. Nr. 3)] Handeln der Verbandsbeteiligten heißen.
1. Ob es sich um Vergemeinschaftung oder Vergesellschaftung handelt, soll für den Begriff zunächst keinen Unterschied machen. Das Vorhandensein eines »Leiters«: Familienhaupt, Vereinsvorstand, Geschäftsführer, Fürst, Staatspräsident, Kirchenhaupt, dessen Handeln auf Durchführung der Verbandsordnung eingestellt ist, soll genügen, weil diese spezifische Art von Handeln: ein nicht bloß an der Ordnung orientiertes, sondern auf deren Erzwingung abgestelltes Handeln, soziologisch dem Tatbestand der geschlossenen »sozialen Beziehung« ein praktisch wichtiges neues Merkmal hinzufügt. Denn nicht jede geschlossene Vergemeinschaftung oder Vergesellschaftung ist ein »Verband«: z.B. nicht eine erotische Beziehung oder eine Sippengemeinschaft ohne Leiter.
2. Die »Existenz« des Verbandes haftet ganz und gar an dem »Vorhandensein« eines Leiters und eventuell eines Verwaltungsstabes. D. h. genauer ausgedrückt: an dem Bestehen der Chance, daß ein Handeln angebbarer Personen stattfindet, welches seinem Sinn nach die Ordnungen des Verbandes durchzuführen trachtet: daß also Personen vorhanden sind, die darauf »eingestellt « sind, gegebenenfalls in jenem Sinn zu handeln. Worauf diese Einstellung beruht: ob auf traditionaler oder affektueller oder wertrationaler Hingabe (Lehens-, Amts-, Dienst-Pflicht) oder auf zweckrationalen Interessen (Gehaltsinteresse usw.), ist begrifflich vorerst gleichgültig. In etwas anderem als der Chance des Ablaufes jenes, in jener Weise orientierten, Handelns »besteht«, soziologisch angesehen, der Verband also für unsere Terminologie nicht. Fehlt die Chance dieses Handelns eines angebbaren Personen stabes (oder: einer angebbaren Einzelperson), so besteht für unsere Terminologie eben nur eine »soziale Beziehung«, aber kein »Verband«. So lange aber die Chance jenes Handelns besteht, so lange »besteht«, soziologisch angesehen, der Verband trotz des Wechsels der Personen, die ihr Handeln an der betreffenden Ordnung orientieren. (Die Art der Definition hat den Zweck: eben diesen Tatbestand sofort einzubeziehen).
3. a) Außer dem Handeln des Verwaltungsstabes selbst oder unter dessen Leitung kann auch ein spezifisches an der Verbandsordnung orientiertes Handeln der sonst Beteiligten typisch ablaufen, dessen Sinn die Garantie der Durchführung der Ordnung ist (z.B. Abgaben oder leiturgische persönliche Leistungen aller Art: Geschworenendienst, Militärdienst usw.). – b) Die geltende Ordnung kann auch Normen enthalten, an denen sich in andern Dingen das Handeln der Verbandsbeteiligten orientieren soll (z.B. im Staatsverband das »privatwirtschaftliche«, nicht der Erzwingung der Geltung der Verbandsordnung, sondern Einzelinteressen dienende Handeln: am »bürgerlichen« Recht). Die Fälle a kann man »verbandsbezogenes Handeln«, die Fälle b verbands geregeltes Handeln nennen. Nur das Handeln des Verwaltungsstabes selbst und außerdem alles planvoll von ihm geleitete verbandsbezogene Handeln soll »Verbandshandeln« heißen. »Verbandshandeln« wäre z.B. für alle Beteiligten ein Krieg, den ein Staat »führt«,oder eine »Eingabe«, die ein Vereinsvorstand beschließen läßt, ein »Vertrag«, den der Leiter schließt und dessen »Geltung« den Verbandsgenossen oktroyiert und zugerechnet wird (§ 11), ferner der Ablauf aller »Rechtsprechung« und »Verwaltung«. (S. auch § 14.)
Ein Verband kann sein: a) autonom oder heteronom, b) autokephal oder heterokephal. Autonomie bedeutet, daß nicht, wie bei Heteronomie, die Ordnung des Verbands durch Außenstehende gesatzt wird, sondern durch Verbandsgenossen kraft dieser ihrer Qualität (gleichviel wie sie im übrigen erfolgt). Autokephalie bedeutet: daß der Leiter und der Verbandsstab nach den eignen Ordnungen des Verbandes, nicht, wie bei Heterokephalie, durch Außenstehende bestellt wird (gleichviel wie sonst die Bestellung erfolgt).
Heterokephalie besteht z.B. für die Ernennung der governors der kanadischen Provinzen (durch die Zentralregierung von Kanada). Auch ein heterokephaler Verband kann autonom und ein autokephaler heteronom sein. Ein Verband kann auch, in beiden Hinsichten, teilweise das eine und teilweise das andere sein. Die autokephalen deutschen Bundesstaaten waren trotz der Autokephalie innerhalb der Reichskompetenz heteronom, innerhalb ihrer eigenen (in Kirchen- und Schulsachen z.B.) autonom. Elsaß- Lothringen war in Deutschland [vor 1918] in beschränktem Umfang autonom, aber heterokephal (den Statthalter setzte der Kaiser). Alle diese Sachverhalte können auch teilweise vorliegen. Ein sowohl völlig heteronomer wie heterokephaler Verband wird (wie etwa ein »Regiment« innerhalb eines Heeresverbandes) in aller Regel als »Teil« eines umfassenderen Verbandes zu bezeichnen sein. Ob dies der Fall ist, kommt aber auf das tatsächliche Maß von Selbständigkeit der Orientierung des Handelns im Einzelfall an und ist terminologisch reine Zweckmäßigkeitsfrage.