§ 13. Ordnungen eines Verbandes
§ 13. Die gesatzten Ordnungen einer Vergesellschaftung können entstehen a) durch freie Vereinbarung oder b) durch Oktroyierung und Fügsamkeit. Eine Regierungsgewalt in einem Verbande kann die legitime Macht zur Oktroyierung neuer Ordnungen in Anspruch nehmen. Verfassung eines Verbandes soll die tatsächliche Chance der Fügsamkeit gegenüber der Oktroyierungsmacht der bestehenden Regierungsgewalten nach Maß, Art und Voraussetzungen heißen. Zu diesen Voraussetzungen können nach geltender Ordnung insbesondere die Anhörung oder Zustimmung bestimmter Gruppen oder Bruchteile der Verbandsbeteiligten, außerdem natürlich die verschiedensten sonstigen Bedingungen, gehören.
Ordnungen eines Verbandes können außer den Genossen auch Ungenossen oktroyiert werden, bei denen bestimmte Tatbestände vorliegen. Insbesondere kann ein solcher Tatbestand in einer Gebietsbeziehung (Anwesenheit, Gebürtigkeit, Vornahme gewisser Handlungen innerhalb eines Gebiets) bestehen: »Gebietsgeltung«. Ein Verband, dessen Ordnungen grundsätzlich Gebietsgeltung oktroyieren, soll Gebietsverband heißen, einerlei inwieweit seine Ordnung auch nach innen: den Verbandsgenossen gegenüber, nur Gebietsgeltung in Anspruch nimmt (was möglich ist und wenigstens in begrenztem Umfang vorkommt).
1. Oktroyiert im Sinn dieser Terminologie ist jede nicht durch persönliche freie Vereinbarung aller Beteiligten zustandegekommene Ordnung. Also auch der »Mehrheitsbeschluß«, dem sich die Minderheit fügt. Die Legitimität des Mehrheitsentscheids ist daher (s. später bei der Soziologie der Herrschaft und des Rechts) in langen Epochen (noch im Mittelalter bei den Ständen, und bis in die Gegenwart in der russischen Obschtschina) oft nicht anerkannt oder problematisch gewesen.
2. Auch die formal »freien« Vereinbarungen sind, wie allgemein bekannt, sehr häufig tatsächlich oktroyiert (so in der Obschtschina). Dann ist für die Soziologie nur der tatsächliche Sachverhalt maßgebend.
3. Der hier gebrauchte »Verfassungs«-Begriff ist der auch von Lassalle verwendete. Mit der »geschriebenen« Verfassung, überhaupt mit der Verfassung im juristischen Sinn, ist er nicht identisch. Die soziologische Frage ist lediglich die: wann, für welche Gegenstände und innerhalb welcher Grenzen und – eventuell – unter welchen besonderen Voraussetzungen (z.B. Billigung von Göttern oder Priestern oder Zustimmung von Wahlkörperschaften usw.) fügen sich dem Leiter die Verbandsbeteiligten und steht ihm der Verwaltungsstab und das Verbandshandeln zu Gebote, wenn er »Anordnungen trifft«, insbesondere Ordnungen oktroyiert.
4. Den Haupttypus der oktroyierten » Gebietsgeltung« stellen dar: Strafrechtsnormen und manche andere »Rechtssätze«, bei denen Anwesenheit, Gebürtigkeit, Tatort, Erfüllungsort usw. innerhalb des Gebietes des Verbandes Voraussetzungen der Anwendung der Ordnung sind, in politischen Verbänden. (Vgl. den Gierke-Preußschen Begriff der » Gebietskörperschaft«.)