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Die Lehre vom Ähnlichen

Die Einsicht in die Bereiche des »Ähnlichen« ist von grundlegender Bedeutung für die Erhellung großer Bezirke des okkulten Wissens. Zu gewinnen ist aber solche Einsicht weniger im Aufweis angetroffener Ähnlichkeiten als durch die Wiedergabe von Prozessen, die solche Ähnlichkeit erzeugen. Die Natur erzeugt Ähnlichkeiten; man braucht nur an die Mimikry zu denken. Die allerhöchste Fähigkeit im Produzieren von Ähnlichkeiten aber hat der Mensch. Ja, vielleicht gibt es keine seiner höheren Funktionen, die nicht entscheidend durch mimetisches Vermögen mitbestimmt ist. Dieses Vermögen aber hat eine Geschichte, und zwar im phylogenetischen so gut wie im ontogenetischen Sinne. Was letzteres angeht, so ist das Spiel in vielem seine Schule. Zunächst einmal sind Kinderspiele überall durchzogen von mimetischen Verhaltungsweisen, und ihr Bereich ist keineswegs auf das beschränkt, was wohl ein Mensch vom andern nachmacht. Das Kind spielt nicht nur Kaufmann oder Lehrer sondern auch Windmühle und Eisenbahn. Die Frage aber, auf die es ankommt, ist nun die: was diese Schulung des mimetischen Verhaltens ihm eigentlich für einen Nutzen bringt?

Die Antwort setzt die deutliche Besinnung auf die phylogenetische Bedeutung des mimetischen Verhaltens voraus. Um diese zu ermessen, ist es nicht genug, an das zu denken, was etwa heutzutage wir in dem Begriff von Ähnlichkeit erfassen. Bekanntlich war der Lebenskreis, der ehemals von dem Gesetz der Ähnlichkeit durchwaltet schien, viel größer. Es war der Mikro- und der Makrokosmos - um nur eine Fassung von vielen, die die Ähnlichkeitserfahrung derart im Laufe der Geschichte fand, zu nennen. Noch für die Heutigen läßt sich behaupten: die Fälle, in denen sie im Alltag Ähnlichkeiten bewußt wahrnehmen, sind ein winziger Ausschnitt aus jenen zahllosen, da Ähnlichkeit sie unbewußt bestimmt. Die mit Bewußtsein wahrgenommenen Ähnlichkeiten - z. B. in Gesichtern - sind verglichen mit den unzählig vielen unbewußt oder auch garnicht wahrgenommenen Ähnlichkeiten wie der gewaltige unterseeische Block des Eisbergs im Vergleich zur kleinen Spitze, welche man aus dem Wasser ragen sieht.

Diese natürlichen Korrespondenzen aber erhalten die entscheidende Bedeutung erst im Licht der Überlegung, daß sie alle, grundsätzlich, Stimulantien und Erwecker jenes mimetischen Vermögens sind, welches im Menschen ihnen Antwort gibt. Dabei ist zu bedenken, daß weder die mimetischen Kräfte noch die mimetischen Objekte, ihre Gegenstände, im Zeitlauf unveränderlich die gleichen blieben; daß im Laufe der Jahrhunderte die mimetische Kraft, und damit später die mimetische Auffassungsgabe gleichfalls, aus gewissen Feldern, vielleicht um sich in andere zu ergießen, geschwunden ist. Vielleicht ist die Vermutung nicht zu kühn, daß sich im ganzen eine einheitliche Richtung in der historischen Entwicklung dieses mimetischen Vermögens erkennen läßt.

Die Richtung könnte, auf den ersten Blick, nur in der wachsenden Hinfälligkeit dieses mimetischen Vermögens liegen. Denn offenbar scheint doch die Merkwelt des modernen Menschen sehr viel weniger von jenen magischen Korrespondenzen zu enthalten als die der alten Völker oder auch der Primitiven. Die Frage ist nur die: ob es sich um ein Absterben des mimetischen Vermögens oder aber vielleicht um eine mit ihm stattgehabte Verwandlung handelt. In welcher Richtung eine solche jedoch liegen könnte, darüber läßt sich, wenn auch indirekt, einiges der Astrologie entnehmen. Wir müssen nämlich als Erforscher der alten Überlieferungen damit rechnen, daß sinnfällige Gestaltung, mimetischer Objektcharakter bestanden habe, wo wir ihn heute nicht einmal zu ahnen fähig sind. Zum Beispiel in den Konstellationen der Sterne.

Das zu erfassen, wird man vor allem einmal das Horoskop als eine originäre Ganzheit, die in der astrologischen Deutung nur analysiert wird, begreifen müssen. (Der Gestirnstand stellt eine charakteristische Einheit dar und erst an ihrem Wirken im Gestirnstand werden die Charaktere der einzelnen Planeten erkannt.) Man muß, grundsätzlich, damit rechnen, daß Vorgänge am Himmel von früher Lebenden, und zwar sowohl durch Kollektiva als durch Einzelne, nachahmbar waren: ja, daß diese Nachahmbarkeit die Anweisung enthielt, eine vorhandene Ähnlichkeit zu handhaben. In dieser Nachahmbarkeit durch den Menschen, bezw. dem mimetischen Vermögen, das dieser hat, muß man wohl bis auf weiteres die einzige Instanz erblicken, welche der Astrologie ihren Erfahrungscharakter gegeben hat. Wenn aber wirklich das mimetische Genie eine lebensbestimmende Kraft der Alten gewesen ist, dann ist es kaum anders möglich, als den Vollbesitz dieser Gabe, insbesondere die vollendete Anbildung an die kosmische Seinsgestalt, dem Neugeborenen beizulegen.

Der Augenblick der Geburt, der hier entscheiden soll, ist aber ein Nu. Das lenkt den Blick auf eine andere Eigentümlichkeit im Bereiche der Ähnlichkeit. Ihre Wahrnehmung ist in jedem Fall an ein Aufblitzen gebunden. Sie huscht vorbei, ist vielleicht wiederzugewinnen, aber kann nicht eigentlich wie andere Wahrnehmungen festgehalten werden. Sie bietet sich dem Auge ebenso flüchtig, vorübergehend wie eine Gestirnkonstellation. Die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten also scheint an ein Zeitmoment gebunden. Es ist wie das Dazukommen des Dritten, des Astrologen zu der Konjunktion von zwei Gestirnen, die im Augenblick erfaßt sein will. Im andern Fall kommt der Astronom trotz aller Schärfe seiner Beobachtungswerkzeuge hier um seinen Lohn.

Der Hinweis auf Astrologie mag schon genügen, den Begriff von einer unsinnlichen Ähnlichkeit verständlich zu machen. Es ist, wie sich von selbst versteht, ein relativer: er besagt, daß wir in unserer Wahrnehmung dasjenige nicht mehr besitzen, was es einmal möglich machte, von einer Ähnlichkeit zu sprechen, die bestehe zwischen einer Sternkonstellation und einem Menschen. Jedoch auch wir besitzen einen Kanon, nach dem die Unklarheit, die dem Begriff von unsinnlicher Ähnlichkeit anhaftet, sich einer Klärung näher bringen läßt. Und dieser Kanon ist die Sprache. Schon von jeher hat man einem mimetischen Vermögen einigen Einfluß auf die Sprache zugebilligt. Jedoch geschah das ohne Grundsatz und ganz ohne daß dabei ernstlich an eine Bedeutung, geschweige denn Geschichte des mimetischen Vermögens wäre gedacht worden. Vor allem aber blieben solche überlegungen aufs engste an den geläufigen (sinnlichen) Bereich der Ähnlichkeit gebunden. Immerhin hat man nachahmendem Verhalten in der Sprachentstehung als onomatopoetischem Element seinen Platz zugestanden. Wenn nun aber die Sprache, wie es für Einsichtige auf der Hand liegt, nicht ein verabredetes System von Zeichen ist, so wird man ja in dem Versuch sich ihr zu nähern immer wieder auf Gedanken zurückgreifen müssen, wie sie in ihrer rohesten, primitivsten Form in der onomatopoetischen Erklärungsart vorliegen. Die Frage ist: kann diese ausgebildet und schärferer Einsicht angepaßt werden?

Mit andern Worten: läßt ein Sinn dem Satze sich unterlegen, welchen Leonhard in seiner aufschlußreichen Schrift »Das Wort« behauptet: »Jedes Wort ist - und die ganze Sprache ist - onomatopoetisch.« Der Schlüssel, welcher diese These eigentlich erst völlig transparent macht, liegt in dem Begriff einer unsinnlichen Ähnlichkeit versteckt. Ordnet man Wörter der verschiedenen Sprachen, die ein gleiches bedeuten, um jenes Bedeutete als ihren Mittelpunkt, so wäre zu erforschen, wie sie alle - die miteinander oft nicht die geringste Ähnlichkeit besitzen - ähnlich jenem Bedeuteten in ihrer Mitte sind. Eine solche Auffassung ist natürlich mystischen oder theologischen Sprachtheorien engstens verwandt, ohne darum jedoch empirischer Philologie fremd zu sein. Nun ist es aber bekannt, daß die mystischen Sprachlehren sich nicht damit begnügen, das gesprochene Wort in ihren Überlegungsraum hineinzuziehen. Sie haben es durchaus im gleichen Sinne auch mit der Schrift zu tun. Und da ist es beachtenswert, daß diese, vielleicht noch besser als gewisse Lautzusammenstellungen der Sprache, im Verhältnis des Schriftbildes von Wörtern oder Lettern zu dem Bedeuteten bezw. dem Namengebenden das Wesen der unsinnlichen Ähnlichkeit erklären. So hat der Buchstabe Beth den Namen von einem Haus. Es ist somit die unsinnliche Ähnlichkeit, die die Verspannung nicht zwischen dem Gesprochnen und Gemeinten sondern auch zwischen dem Geschriebnen und Gemeinten und gleichfalls zwischen dem Gesprochnen und Geschriebnen stiftet. Und jedesmal auf eine völlig neue, originäre, unableitbare Weise.

Die wichtigste von diesen Verspannungen dürfte jedoch die letzte, die zwischen dem Geschriebnen und Gesprochnen sein. Denn eben die hier waltende Ähnlichkeit ist die vergleichsweise unsinnlichste. Sie ist auch die am spätesten erreichte. Und der Versuch, ihr eigentliches Wesen sich zu vergegenwärtigen, kann kaum ohne den Blick in die Geschichte ihres Zustandekommens unternommen werden, so undurchdringlich auch das Dunkel ist, das heut noch darüber gebreitet ist. Die neu este Graphologie hat gelehrt, in den Handschriften Bilder, oder eigentlich Vexierbilder zu erkennen, die das Unbewußte des Schreibers darinnen versteckt. Es ist anzunehmen, daß das mimetische Vermögen, welches dergestalt in der Aktivität des Schreibenden zum Ausdruck kommt, in sehr entrückten Zeiten, als die Schrift entstand, von größter Bedeutung für das Schreiben gewesen ist. Die Schrift ist so, neben der Sprache, ein Archiv unsinnlicher Ähnlichkeiten, unsinnlicher Korrespondenzen geworden.

Diese, wenn man so will, magische Seite der Sprache wie der Schrift läuft aber nicht beziehungslos neben der andern, der semiotischen, einher. Alles Mimetische der Sprache ist vielmehr eine fundierte Intention, die überhaupt nur an etwas Fremdem, eben dem Semiotischen, Mitteilenden der Sprache als ihrem Fundus in Erscheinung treten kann. So ist der buchstäbliche Text der Schrift der Fundus, in dem einzig und allein sich das Vexierbild formen kann. So ist der Sinn zusammenhang, der in den Lauten des Satzes steckt, der Fundus, aus dem erst blitzartig Ähnliches mit einem Nu aus einem Klang zum Vorschein kommen kann. Da aber diese unsinnliche Ähnlichkeit in alles Lesen hineinwirkt, so eröffnet sich in dieser tiefen Schicht der Zugang zu dem merkwürdigen Doppelsinn des Wortes Lesen als seiner profanen und auch magischen Bedeutung. Der Schüler liest das Abcbuch und der Astrolog die Zukunft in den Sternen. Im ersten Satze tritt das Lesen nicht in seine beiden Komponenten auseinander. Dagegen wohl im zweiten, der den Vorgang nach seinen beiden Schichten deutlich macht: der Astrolog liest den Gestirnstand von den Sternen am Himmel ab; er liest zugleich aus ihm die Zukunft oder das Geschick heraus.

Wenn nun dieses Herauslesen aus Sternen, Eingeweiden, Zufällen in der Urzeit der Menschheit das Lesen schlechthin war, wenn es weiterhin Vermittlungsglieder zu einem neuen Lesen, wie die Runen es gewesen sind, gegeben hat, so liegt die Annahme sehr nahe, jene mimetische Begabung, welche früher das Fundament der Hellsicht gewesen ist, sei in jahrtausendlangem Gange der Entwicklung ganz allmählich in Sprache und Schrift hineingewandert und habe sich in ihnen das vollkommenste Archiv unsinnlicher Ähnlichkeit geschaffen. Dergestalt wäre die Sprache die höchste Verwendung des mimetischen Vermögens: ein Medium, in das ohne Rest die frühern Merkfähigkeiten für das Ähnliche so eingegangen seien, daß nun sie das Medium darstellt, in dem sich die Dinge nicht mehr direkt wie früher in dem Geist des Sehers oder Priesters sondern in ihren Essenzen, flüchtigsten und feinsten Substanzen, ja Aromen begegnen und zu einander in Beziehung treten. Mit andern Worten: Schrift und Sprache sind es, an die die Hellsicht ihre alten Kräfte im Laufe der Geschichte abgetreten hat.

Das Tempo aber, jene Schnelligkeit im Lesen oder Schreiben, welche von diesem Vorgang sich kaum trennen läßt, wäre dann gleichsam das Bemühen, die Gabe, den Geist an jenem Zeitmaß teilnehmen zu lassen, in welchem Ähnlichkeiten, flüchtig und um sogleich wieder zu versinken, aus dem Fluß der Dinge hervorblitzen. So teilt noch das profane Lesen - will es nicht schlechterdings um das Verstehen kommen - mit jedem magischen dies: daß es einem notwendigen Tempo oder vielmehr einem kritischen Augenblicke untersteht, welchen der Lesende um keinen Preis vergessen darf, will er nicht leer ausgehen.


Zusatz

Die Gabe, Ähnlichkeit zu sehn, die wir besitzen, ist nichts als nur ein schwaches Rudiment des ehemals gewaltigen Zwanges, ähnlich zu werden und sich zu verhalten. Und das verschollene Vermögen, ähnlich zu werden, reichte weit hinaus über die schmale Merkwelt, in der wir noch Ähnlichkeit zu sehen imstande sind. Was der Gestirnstand vor Jahrtausenden im Augenblicke des Geborenwerdens in einem Menschendasein wirkte, wob sich auf Grund der Ähnlichkeit hinein.