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E. T. A. Hoffmann und Oskar Panizza

Im würde mich freuen, wenn der Zyklus »Parallelen«, dessen Ankündigung Sie gelesen haben und den ich hiermit eröffne, bei einigen von Ihnen Argwohn geweckt haben sollte. Gerade von diesem Argwohn, mömte im annehmen, habe im im folgenden Aussicht, verstanden zu werden. Verstanden zu werden in dem Bemühen, dies Unternehmen von Mißdeutungen freizuhalten. Sie alle kennen die verdächtige Beflissenheit, mit der eine ältere Literaturbetrachtung vielfach ihre Ratlosigkeit vor gewissen Werken, ihre Unfähigkeit in deren Bau und deren Bedeutung zu dringen, hinter der Erforschung von sogenannten Einflüssen, stofflichen Parallelen oder formalen, verbarg. Um dergleichen handelt es sim hier nicht. Noch schlimmer aber wäre eine müßige Analogienjagd. Irgendwelche Verwandtschaften im Schaffen verschiedener Dichter, verschiedener Epochen aufzuweisen, mag allenfalls ein pedantisches Bildungsbedürfnis befriedigen, führt aber zu gar nichts und wäre selbst dann nicht hinreichend beglaubigt, wenn in solchen Zusammenhängen hin und wieder die Rehabilitierung eines jüngeren, verkannten Dichters im Namen eines großen Vorläufers und Geistesverwandten sich sollte vollziehen lassen. Nun wollen wir freilich nicht abstreiten: eine solche Rehabilitierung des ebenso unbekannten wie verrufenen Oskar Panizza ist ein Nebenzweck dieser Betrachtungen. Hier aber am Eingang nicht nur dieser Betrachtungen, sondern vielmehr eines Zyklus, handelt es sich vor allem darum, die Haupttendenz namhaft zu machen, und zu diesem Zweck müssen wir uns schon einen kleinen Exkurs gestatten. Man spricht gern von der Ewigkeit der Werke, man ist bestrebt, den größten unter ihnen Dauer und Autorität auf Jahrhunderte zuzusprechen, ohne zu bemerken, wie man auf diese Weise Gefahr läuft, sie zu musealen Kopien ihrer selbst erstarren zu lassen. Denn, um es mit einem Worte zu sagen, die sogenannte Ewigkeit der Werke ist ganz und gar nicht identisch mit ihrer lebendigen Dauer. Und welche Bewandtnis es mit dieser Dauer in Wahrheit hat, tritt nirgends schärfer hervor als in ihrer Konfrontation mit verwandten Schöpfungen unserer eigenen Epoche. Da zeigt sim, daß ewig eigentlich nur gewisse ungeformte Tendenzen, dumpfe Dispositionen genannt werden können, das geformte, lebendiger Dauer teilhafte Werk aber das Erzeugnis eben derjenigen zähen, verschlagenen Gewalt ist, mit der nicht nur die ewigen Momente in den aktuellen, sondern genauso die aktuellen in den ewigen sich durchsetzen. Ja, von einer solchen Bewegung ist das Werk viel weniger das Erzeugnis als der Schauplatz. Und wenn seine sogenannte Ewigkeit bestenfalls ein starres Fortbestehen im Draußen wäre, ist seine Dauer ein lebendiger Prozeß in seinem Innern. Darum haben wir es in diesen Parallelen weder mit Analogien oder Abhängigkeiten einzelner Werke voneinander zu tun, noch auch mit Studien über die Dichter, vielmehr mit den Urtendenzen der Dichtung selber, wie sie sich von Epoche zu Epoche in innerlichst verwandeltem Sinne durchsetzen.

Die phantastische Erzählung, von welcher wir heute sprechen wollen, ist eine von diesen Urtendenzen. Sie ist so alt wie die Epik selber. Man würde irren mit der Annahme, was die ältesten Geschichten der Menschheit an Zaubermären, Fabelgut, Verwandlungen und Geisterwirken enthielten, sei nichts als der Niederschlag ältester, religiöser Vorstellungen. Gewiß sind Odyssee und Ilias, sind die Märchen der 1001 Nacht gleichsam Stoffe gewesen, die nur erzählt wurden; genauso wahr aber ist der Satz, die Stoffe dieser Ilias, dieser Odyssee, dieser Märchen aus 1001 Nacht haben erst.im Erzählen sich zusammengewoben. Die Erzählung hat dem ältesten Sagen gute der Menschheit nicht mehr entnommen als sie ihm selber gegeben hat. Erzählen mit anderen Worten ist mit seinem Fabulieren und Spielen, seiner von Verantwortung entbundnen Phantastik, im Grunde dennoch nie bloßes Erfinden sondern ein weitergebendes, abwandelndes Bewahren im Medium der Phantasie gewesen. Dieses Medium der Phantasie ist gewiß von sehr verschiedener Dichte in der ersten Blüte der homerischen oder der orientalischen Epik einerseits, in der letzten der europäischen Romantik andererseits gewesen. Immer aber behielt das wahre Erzählen einen im besten Sinne konservativen Charakter, und wir können keinen der großen Erzähler losgelöst denken vom ältesten Gedankengute der Menschheit.

Welche Bewandtnis es mit der scheinbar so willkürlichen Durchdringung ewiger und aktuellster Momente in der Erzählung hat, das tritt vielleicht je phantastischer sie ist, um so schärfer hervor, und ist bei Hoffmann ebensowohl wie bei Panizza mit Händen zu greifen. Mit Händen zu greifen freilich auch die Spannung zwischen den beiden Dichtern, welche den Bogen zwischen dem Beginn und dem Ende der romantischen Geistesbewegung im Deutschland des vorigen Jahrhunderts durchmißt. Die unsäglich verworrenen Schicksale, in welche E. T. A. Hoffmann seine Menschen verstrickt zeigt, den Kreisler des »Kater Murr«, den Anselmus aus seinem »Goldnen Topf«, die in Deutschland so viel geschmähte, in Frankreich so viel geliebte »Prinzessin Brambilla«, endlich den »Meister Floh« – diese Schicksale sind nicht nur gelenkt oder beeinflußt von überirdischen Mächten, sie sind vor allem geschaffen, um die Figuren, Arabesken, Ornamente festzuhalten, in denen alte Geister und Naturdämonen ihr Wirken in der Taghelle des neuen Jahrhunderts so unauffällig einzuzeichnen suchen, wie möglich. Hoffmann glaubte an wirkende Zusammenhänge mit der fernsten Urzeit, und wie die Schicksalsfiguren seiner Lieblinge im Grunde musikalische sind, so war ihm jener Zusammenhang ganz besonders verbürgt durch Hörbares, durch den feinen Gesang der Schlänglein, die dem Anselmus erscheinen, die herzzerreißenden Lieder Antoniens, der Tochter von Krespel, durch sagenhafte Klänge, die er auf der Kurischen Nehrung vernommen haben wollte, durch die Teufelsstimme auf Ceylon und ähnliches. Musik, die galt ihm als der Kanon, nach welchem die Geisterwelt im Alltag sich manifestierte. Wenigstens soweit es um Manifestationen der guten Geister sich handelt. Der höchste Zauber der von Hoffmann gezeichneten Menschen aber beruht ja darin, daß gerade in den edelsten und erhabensten, mit Ausnahme etwa einiger Mädchengestalten, etwas Satanisches umgeht. Dieser Erzähler besteht mit einem gewissen Eigensinn darauf, daß all die ehrbaren Archivare, Medizinalräte, Studenten, Apfelweiber, Musikanten und höheren Töchter ebensowenig das sind, was sie den Anschein haben zu sein, wie er selbst, Hoffmann, etwa nur der pedantische, exakte Kammergerichtsrat war, als der er seinem Broterwerb nachging. Eine ungemeine Beobachtungsgabe verbunden mit dem satanischen Einschlage seines Wesens hat in Hoffmann etwas wie einen Kurzschluß zwischen moralischem Urteil und physiognomischer Anschauung hervorgerufen. Der Alltagsmensch, dem sein ganzer Haß von jeher gegolten hat, erschien ihm mehr und mehr in seinen Tugenden wie in seinen Schönheiten als das Produkt eines verruchten künstlichen Mechanismus, dessen Innerstes vom Satan regiert wird. Das Satanische aber setzt er mit dem Automatischen gleich und dieses ingeniöse Schema, das seinen Erzählungen zum Grund liegt, erlaubt ihm, das Leben ganz für die reine, lautere Geisterseite in Anspruch zu nehmen, um es in Gestalten wie Julia, Serpentina, Antonie zu glorifizieren. Mit dieser moralischen Auseinandersetzung zwischen Leben und Schein hat Hoffmann, wenn nicht alles trügt, das Urmotiv der phantastischen Erzählung überhaupt ausgesprochen. Sie ruht, ob wir nun Hoffmann, Poe, Kubin, Panizza nennen, um nur bei den größten zu bleiben, immer auf dem entschiedensten religiösen Dualismus, sie ist, so könnte man es sagen, manichäisch. Und diese Zweiheit hat denn auch für Hoffmann vor seinem Heiligsten nicht haltgemacht, vor der Musik. Konnte man die Urlaute, von denen wir sprachen, diese letzte und gewisseste Botschaft der Geisterwelt nicht auch auf mechanischem Wege hervorbringen? Waren die Wetterharfe und das Klavichord nicht schon gelungene erste Schritte auf diesem Wege? Dann war es überhaupt möglich, uns mit mechanischen Kunststücken in unserer tiefsten heiligsten Sehnsucht zu äffen, dann wurde jede Liebe, die uns mit heimatlichen Lauten ansprach, zum Phantom. Diese Fragen bewegen die Hoffmannsche Dichtung dauernd. Und wir finden sie unverändert freilich in durch und durch verwandelter, durch und durch befremdender Atmosphäre wieder, wenn wir uns nun zu Panizza wenden.

Zur Zeit befindet sich Panizzas Name und Werk in ebendem Zustand, der für Hoffmann mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts begann und bis an die Jahrhundertwende dauerte. Er ist ebenso unbekannt wie verrufen. Während aber Hoffmanns Gedächtnis, wenn es schon in Deutschland erloschen war, in Frankreich niemals aufgehört hat, gefeiert zu werden, ist für Panizza eine solche Genugtuung nicht zu erwarten. Macht es doch schon die unerdenklichsten Schwierigkeiten, in Deutschland heute seine Schriften auch nur annähernd vollständig zusammenzustellen. Es gibt zwar seit dem vorigen Jahre eine Panizza-Gesellschaft, aber Mittel und Wege, die wichtigsten Schriften neu zu drucken, hat sie bisher noch nicht gefunden. Und das aus vielen Gründen, von denen vielleicht der wichtigste der ist, daß eine dieser Schriften heute genausogut wie vor 35 Jahren dem Staatsanwalt verfallen würde. In der Tat ist Panizzas kurze Berühmtheit zunächst an einige Skandalprozesse geknüpft gewesen. Im Jahre 1893 erschien zum 50. Bischofsjubiläum Leos XIII. seine »Unbefleckte Empfängnis der Päpste«, apokryph mit der Bemerkung »Aus dem Spanischen von Oskar Panizza«. Zwei Jahre später folgte »Das Liebeskonzil«, »eine Himmels-Tragödie in fünf Aufzügen«, für deren Veröffentlichung er ein Jahr im Gefängnis zu Amberg absitzen mußte. Nach Verbüßung seiner Strafe verließ er Deutschland, und als er, durru die Konfiskation seines Vermögens gezwungen, im Jahre 1901 zurückkehrte, wurde er nach sechs wöchentlicher Untersuchungshaft in der psychiatrischen Klinik für unzurechnungsfähig erklärt und entlassen. Diese letzte Haft hatten ihm die »Parisjana«, »deutsrue Verse aus Paris«, eingebracht, die von heftigen Ausfällen gegen Wilhelm 11. durchzogen waren. Einige Gründe für die Verfemtheit seines Namens, die Verschollenheit seiner Schriften sind hiermit beigebracht und jeder Zug der näheren Charakteristik wird sie um weitere vermehren. Für diese Charakteristik kann die Geisteskrankheit, an die man vielleirut anzuknüpfen versucht wäre, außer acht bleiben. An ihrer Tatsächlichkeit ist kein Zweifel, es war eine Paranoia. Wenn aber die paranoischen Systeme ohnehin theologische Tendenzen aufweisen, so kann man sagen, daß die Krankheit hier, soweit sie auf das Schaffen andern Einfluß hatte als es zu unterbinden, in keinem Gegensatz zu der ursprünglichen Veranlagung des Mannes gestanden hat. Panizza war, darüber können seine radikalen Ausfälle gegen Kirche und Papsttum nicht täuschen, ein Theologe. Ein Theologe freilich, der zu der zünftigen Theologie in ebenso unversöhnlichem Gegensatz stand wie E. T. A. Hoffmann als Künstler zu den kunstliebenden Zirkeln der Berliner Gesellschaft, die er mit seinem ganzen Hohn und Ingrimm überschüttete. Panizza war ein Theologe und Otto Julius Bierbaum hat das von seinem Standpunkt aus ganz richtig gefühlt, wenn er nach Veröffentlichung des »Liebeskonzils«, das an zerstörendem Sarkasmus alle antikirchlichen Schriften weit hinter sich läßt, geschrieben hat, der Verfasser sehe nicht weit genug. »Was in ihm hier rebelliert, sagt Bierbaum, ist eigentlich der Lutheraner, nicht der ganz freie Mensch.« Und ebenso ist es ein Paradoxon gewiß, aber ein Paradoxon der Gerechtigkeit, wenn einer der treuesten Freunde Panizzas, der Mann, der ihm noch während der langen Krankheit nahe war und eine, freilich nicht unbedenkliche Sorge für seinen Nachlaß trug, ein Jesuit war, der jetzt sechsundachtzigjährige Dekan Lippert.

Also Panizza war Theologe. Aber er war es genau in dem Sinne, in dem E. T. A. Hoffmann Musiker war. Hoffmann hat von Musik nicht weniger als Panizza von Theologie verstanden; was aber bleibend von ihm ist, sind nicht die Kompositionen, sondern die Dichtungen, in denen er Musik als die Geisterheimat des Menschen umspielt. Und eben diese Geisterheimat des Menschen ist für Panizza das Dogma. Es spiegelt sich in diesem Verhältnis die Wandlung, die zwischen dem Anfang und dem Ende der deutschen Romantik liegt; Panizza war nicht mehr, wie Hoffmann, getragen von jener breiten Welle des Enthusiasmus für Urzeit, Poesie, Volkstum und Mittelalter, seine Geistesverwandten sind die europäischen Décadents. Und unter ihnen stand ihm am nächsten Huysmans, dessen Romane so beharrlich den mittelalterlichen Katholizismus und vor allem sein Komplement, die schwarzen Messen, das Hexen- und Teufelswesen umspielen. Darum aber hätte man doch sehr Unrecht, sich Panizza als einen Artisten, einen Mann des l'art pour l'art, wie Huysmans es war, vorzustellen. Um zunächst einmal das Negative zu sagen: es gibt keinen, der schlechter schreibt. Sein Deutsch ist beispiellos verlottert. Wenn er so manche seiner Erzählungen, die fast alle in der Ich-Form gehalten sind, beginnt mit der Schilderung seiner Verfassung, wie er als müder, abgerissener Wanderbursche auf irgendeiner vereisten Landstraße Unterfrankens fürbaß marschiert – alles was dann folgt, kann man der saloppen Sprache nach, in der es verfaßt ist, wirklich für Aufzeichnungen eines reisenden Handwerksburschen halten. Freilich, das ist hier kein Widerspruch: dennoch und unter allen Umständen auch für die eines großen Erzählers. Der Erzähler nämlich ist weniger ein Schreiber als ein Weber. Erzählen – und hiermit spielen wir auf eingangs Gesagtes an – ist, im Gegensatz etwa zum Romanschreiben, nicht Bildungs- sondern Volkssache. Und volksmäßig verwurzelt ist denn auch die Kunst Oskar Panizzas. Man lese nur seine geniale »Kirche von Zinsblech« oder »Das Wirtshaus zur Dreifaltigkeit«, um zu begreifen, was ein bodenständiger Décadent ist. Bei dieser letzten Novelle wollen wir einen Augenblick bleiben. Sei es auch nur, um an ihrem Personenverzeichnis einen Panizza kennenzulernen, der wie ein Schüler, um nicht zu sagen wie ein Treuhänder, E. T. A. Hoffmanns im christlichen Dogma auftritt. Da kommt der müde Wanderer Panizza denn endlich in ein Wirtshaus, das, etwas abseits von der Straße, auf keiner Karte verzeichnet steht, hält Einkehr und muß bald von dem Versuche ablassen, sich Rechenschaft über die merkwürdigen Bewohner des Hauses zu geben. Genug an dieser Stelle anzudeuten, daß da ein alter, jähzorniger Jude gemeinschaftlich mit seinem weltfremden; hektischen, in theologische Studien versunkenen Sohne, und ein Judenweib, Maria, haust, die man als dessen Mutter bezeichnet. Der Erzähler nimmt in diesem befremdlichen Kreise eine trübe, schweigsame Abendmahlzeit ein, begibt sich auf sein Zimmer im ersten Stock und schleicht nachts sich herunter, um einen Blick in die verbotene Kammer zu werfen, die man am Abend ihm im Vorbeigehen gewiesen hat. Er öffnet die Tür, der Mond erfüilt sie, und zwischen den halboffenen Läden sieht er wie eine Taube mit ängstlichen Flügelschlägen das Weite sucht. Und nun der eigentlich Hoffmannsche Einfall in alledem: In einem ans Haus anstoßenden Verschlage wird ein Wesen verwahrt, ein Mensch mit Pferdehufen, der mit eiserner Kraft, daß alle Wände zittern, immerwährend an seine Schranken stößt und hin und wieder, als hätte er ein Stichwort empfangen, bei gewissen Wendungen, ein anstößiges Gelächter laut werden läßt. Das ist die dualistische Metaphysik, die Panizza so ganz mit Hoffmann teilt, und die nach einer inneren Notwendigkeit, von der wir gesprochen haben, die Gestalt des Gegensatzes von Leben und Automat annimmt. Sie hat ihm die Geschichte von der »Menschenfabrik« eingegeben, wo die Menschen mit angewachsnen Kleidern hergestellt werden. Sie hat eine noch unverkennbar theologische Wendung in der folgenden Darstellung aus der »Unbefleckten Empfängnis der Päpste« genommen: »Der Papst zog ... jedem Menschen, sobald er gestorben war, eine glasartige, blöd dreinschauende Puppe aus dem Maul, welche durchsichtig war und die gesamten Thaten, die guten und die bösen, des betreffenden Menschen gleichsam im Auszug enthielt. Dieser Puppe, welche ein kleines Menschlein war, wurden zwei Flügel aus Stärkestoff auf den Rücken gepappt, und sie dann laufen-, resp. fliegen gelassen. Ihre Direktion war eben jenes neue vom Papst außerhalb der Welt kreirte Reich. Dort wurde die Puppe sofort in Empfang genommen, und auf eine große, glänzende, reinliche, messingene Wage gelegt, die zwei gleiche Wagschalen hatte. Die guten Thaten der Puppe wogen schwer, die schlechten leicht. Auf der andern Wagschale saß eine gleichgroße Normalpuppe, in der die guten und bösen Thaten sich ganz genau das Gleichgewicht hielten. War die neuangekommene Puppe auch nur um einen Gran leichter als die Normalpuppe drüben, so überwogen bei ihr die schlechten Thaten«; sie kam in die Hölle. »Die Puppen« aber, »die schwer genug waren, ließ man gnädig von der Wage wiederherabsteigen, und in den Himmel, coelum, laufen, über den gleich näheres folgen wird.«

Gewiß, diese Kunst wäre ein Anachronismus, wenn es, wie viele annahmen, nur auf Invektiven gegen das Papsttum hinauskäme. So aber ist sie anachronistisch in keinem anderen Sinne als die bayerischen Maler es waren, die um Murnau und am Kochelsee herum bis vor wenigen Jahren noch ihre alten Heiligenbilder auf Spiegeln malten. Ein häretischer Heiligenbildmaler, das ist die kürzeste Formel für Oskar Panizza. Sein Bilderfanatismus starb selbst in den Höhen der theologischen Spekulation nicht ab. Und er verband sich mit einem satirischen Tiefblick, wie Hoffmann ihn an dem heiligen Kanon des Philisteriums geübt hat. Beider Ketzerei ist verwandt. Bei beiden aber ist die Satire nur ein Reflex der dichterischen Phantasie, die ihre uralten Rechte sich wahrt.