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Reuters »Schelmuffsky« und Kortums »Jobsiade«

Der Niedergang der literarischen Kritik, der allmählich aus dem verstockten Tatbestande, der er seit mehr als 50 Jahren in Deutschland ist, zum Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit und Diskussion geworden ist, dieser Niedergang bekundet sich am deutlichsten vielleicht in der Alleinherrschaft der Rezension als Form der kritischen Untersuchung. Man vergleiche den heutigen Zustand mit dem kritischen Schrifttum vor ungefähr 100 Jahren, da eine Reihe groß angelegter Werke – man denke nur an die Charakteristiken der Brüder Schlegel, an Görres' Schrift über die Volksbücher, Flögels »Geschichte des Groteskkomischen«, Eichendorffs »Geschichte des Dramas« etc. – eine Durchdringung des philologischen und des kritischen Ingeniums darstellten. Wollte man dem heutigen Tiefstande zur Beschämung ein kritisches Idealwerk entgegenhalten, ein Werk, das seinen Verfasser auf der Höhe des literarischen Verstandes sowohl wie der philologischen Bildung und jener Art von kritischer Phantasie, ohne welche die großen Leistungen dieser Gattung niemals zustande kommen, darstellte, so würde ich eine Art Gegenstück zu den Ovidischen Metamorphosen wählen. Eine kritische Feerie, welche die Metamorphosen der großen Dichtungen zum Gegenstand hätte. Ein Buch, aus welchem wir erfahren würden, wie die improvisierten Bühnentexte des Schauspielers Shakespeare zu den größten Dramen der Weltliteratur geworden sind, wie der philosophische Roman eines Defoe zum Kinderbuche Robinson wurde, wie die Parodie der Ritterromane durch Cervantes der Anfang des modernen Romans ward. In diesen Metamorphosen der Dichtung würde an einer sehr versteckten Stelle vielleicht der Leser auch auf die beiden Bücher stoßen, an die ich ihn heute zu erinnern gedenke. Denn beide, Christian Reuters »Schelmuffsky« und Kortums »Jobsiade«, sind Werke, aus denen etwas weit anderes geworden ist als im Sinne ihrer Autoren geplant war.

Der bejahrte Student Christian Reuter, der es nicht einmal zum Magister gebracht hatte, als er im Jahre 1696 den »Schelmuffsky« veröffentlichte, hatte nichts weiter als eine ziemlich grobe Parodie der zeitgenössischen Reiseromane, verbunden mit einem vielleicht noch gröberen Pasquill auf seine Leipziger Budenwirtin, die Witwe Müller und ihren Anhang im Sinne. Und macht man den Versuch, einige Seiten seines »Schelmuffsky« mit den Augen des damaligen Publikums zu lesen, so wundert man sich keinen Augenblick, wie unbeachtet er blieb, und daß den Christian Reuter als Verfasser dieses Buches zu ermitteln, einer philologischen Entdeckung, die noch nicht 50 Jahre alt ist, vorbehalten blieb. »Schelmuffskys warhaftige kuriöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande, in hochdeutscher Frau Mutter Sprache sehr artig an Tag gegeben«, blieb bis zu seiner Ausgrabung durch die Romantiker ein völlig verschollenes Buch. Die erste moderne Ausgabe fügt zu dem X des Verfassers noch das Y des Herausgebers. Sie ist im Jahre 1821 von Meister Konrad Spaeth, genannt Frühauf, in Berlin, wahrscheinlich nicht unbeeinflußt von der romantischen Neuentdeckung, veranstaltet worden. Wollte man den »Schelmuffsky« literarhistorisch ausdeuten, so müßte man sich erinnern, wie das 17. Jahrhundert überhaupt das des kuriösen Reisenden, der unvermeidlichen Kavaliers- und Bildungsreisen gewesen ist, denen man hohen politisch-diplomatischen Wert zusprach. So schickt Reuters Zeitgenosse Christi an Weise seine Helden mit politischer, erziehlicher Absicht in die weite Welt, um »die drei größten Erznarren« oder »die drei klügsten Leute« zu suchen. Happels »Akademischer Roman«, fünf Jahre vor Reuters erschienen, verschmilzt das erotische Element mit dem Reiseroman, und so noch eine Fülle andere, unter welchen Schnabels »Im Irrgarten der Liebe herumtaumelnder Cavalier«, hauptsächlich dank seinem Titel, der berühmteste geworden ist. Das erotische Element verbindet nun auch der »Schelmuffsky« mit dem geographischen. Aber freilich auf seine Art, nämlich in Gestalt ebenso ungeheuerlicher wie formelhafter Rodomontaden, in denen der Held sich immer wieder hoch und teuer verschwört, wie jedes Mädchen, dem er auf seinen Reisen begegnet sei, Freiens bei ihm vorgegeben hätte und sich erboten habe, ihre »Lümpgen« zusammenzupacken, um ihm zu folgen, wohin es sei.

Es ist aber gar kein Zweifel, daß der »Schelmuffsky« seinen Wert nicht den parodistischen Motiven verdankt, die seinen Verfasser bestimmt haben. Einmal würden diese Motive nicht die Wirkung zu erklären vermögen, die vom »Schelmuffsky« heute ausgeht, zweitens ist diese Seite an seiner Dichtung die gröbste und schwächste zugleich. Und damit kommen wir zum Kern dieser parodistischen Nuß, die wir an dieser Stelle nur eben aufknacken, schwerlich aber verspeisen können. Immerhin: was macht die Süße dieses Kerns? Für uns sind alle polemischen, literarischen Anspielungen des »Schelmuffsky« längst außer Kurs. Dagegen kommt hier, nur ganz selten im Schrifttum, der alte, stolze, eigenwillige Unsinn zu seinem Recht. Vielleicht ist »Schelmuffsky« überhaupt die einzige eigentliche Unsinnsdichtung ,der ältern Zeit, die in die höhere Literatur einging. In der Tat, von allen berühmten Werken der Weltliteratur ist der »Schelmuffsky« ohne Zweifel das fadeste, zumindest beim ersten Lesen, zumindest ehe einer erkannt hat, es müsse mit so viel scheinbarer Ideenarmut bei einem Autor, der so glänzend zu erzählen versteht, eine besondere Bewandtnis haben. Um aber anzudeuten, wie in der Tat »Schelmuffskys« Unsinn mit der tiefsten Bedeutung sich zu dem merkwürdigsten Gebilde verbindet, lese ich im folgenden das erste Kapitel, mit dem wir sogleich uns ins Innerste des sonderbaren Werkes versetzt sehen:

»1. Kapitel. Meine Geburt und die Geschichte von der Ratte.

Deutschland ist mein Vaterland, in Schelmerode bin ich geboren, zu St. Malo lag ich ein ganzes Halbjahr gefangen, und in Holland und England bin ich auch gewesen. Damit ich aber die Beschreibung meiner höchst seltsamen und gefährlichen Reise fein ordentlich einrichte, muß ich wohl von meiner wunderbarlichen Geburt den Anfang machen. Als die große Ratte, welche meiner Frau Mutter ein ganz neues seidenes Kleid zerfressen hatte, nicht konnte mit dem Kehrbesen totgeschlagen werden, weil sie meiner Schwester zwischen den Füßen durchlief, und auf eine unbegreifliche Weise abhanden kam, fiel die gute Frau vor Entsetzen darüber in eine Ohnmacht, so daß sie einundzwanzig Tage dalag und sich, hol mich der Teufel, weder regen noch wenden konnte. – Ich hatte damals die Welt noch niemals geschaut und hätte nach der Rechnung meiner Mutter auch noch vier Monate ganz still liegen sollen, ehe es mir bestimmt war, ans Licht zu treten, aber ich wurde so erbost über die sappermentische Ratte, daß ich vor Ungeduld nicht länger in meiner stillen Behausung bleiben mochte und mich allen Ernstes umsah, wo der Zimmermann den Ausgang gelassen hatte; so kroch ich tluf allen Vieren in die Welt hinein, ohne mich länger aufzuhalten. – Als ich nun da war, lag ich acht ganzer Tage zu den Füßen meiner Frau Mutter unten im Bettstroh, ehe ich mich nur recht besinnen konnte, wo ich war, aber am neunten schaute ich unter der Bettdecke hervor mit großer Verwunderung in die Welt, wo es mir sehr wüste vorkam, denn ich war sehr malade und hatte gar nichts auf dem Leibe. Hol mich der Teufel, ich wäre gern in mein voriges Quartier zurückgekehrt, wenn ich nur den Weg hin hätte finden können, und dachte endlich, du mußt doch sehen, wie du deine Frau Mutter ermunterst, was ich auf verschiedene Weise versuchte. Bald faßte ich sie bei der Nase, bald krabbelte ich ihr an den Fußsohlen, bald raufte ich ihr ein Haar aus, zuletzt aber nahm ich einen Strohhalm und kitzelte sie damit im linken Nasenloch, wovon sie schnell erwachte und schrie: eine Ratte, eine Ratte. – Nun war ich gleich bei der Hand, kroch sehr artig an meiner Frau Mutter herauf, guckte oben zur Bettdecke heraus und sagte: Frau Mutter, fürchte sie sich nicht, ich bin keine Ratte, sondern ihr lieber Sohn, aber daß ich so frühzeitig auf die Welt gekommen bin, daran ist eine Ratte schuld. Ich kann es gar nicht erzählen, wie froh meine Mutter war, daß ich so unerwartet auf die Welt gekommen, und als sie mich eine ganze Weile geliebkost hatte, rief sie die Mietsleute im ganzen Haus zusammen, welche mich insgesamt gar verwundert betrachteten und sie wußten gar nicht, was sie aus mir machen sollten, weil ich gleich so artig schwatzen konnte.«


Diese Geburtsgeschichte auf zwei Seiten kann sich wohl mit der dreibändigen Geburtsgeschichte des »Tristram Shandy« von Sterne messen. Wir wollen es den Psychoanalytikern überlassen herauszukriegen, welche geheimen Beziehungen es zwischen Humor und Geburt gibt. Ich, meinesteils, bin geneigt, sie für sehr viel stichhaltiger anzusehen als die zwischen Tod und Tragik. Daß aber dieses Eingangskapitel mit seinem Elendsstilleben aus Ratte, Nacktheit und Stroh dem Verfasser etwas hat bedeuten wollen, erkennt man ganz einfach daran, wie er diese Geschichte von der Ratte seinem Helden als einen Talisman gewissermaßen um den Hals hängt, dergestalt daß jedesmal, wenn Schelmuffsky an der Tafel bei sogenannten hohen Standespersonen oder galanten Damen seine Sache befördern und zeigen will, was für ein sappermentischer Kerl er sei, und daß ihm was Recht's aus den Augen schaut, er diese Geschichte zum besten gibt. Sie hat übrigens ihr Gegenstück in der Heimkehrgeschichte, vor allem aber in Schelmuffskys zweitem Aufbruch von Hause, mit dem der andere Teil der »sehr gefährlichen Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande« beginnt, den Reuter dem ersten ein Jahr später nachgeschickt hat. Mit diesem Werke war dann seine Leistung, wenn auch nicht seine Laufbahn als Schriftsteller abgeschlossen. Spärliche Gelegenheitsdichtungen, »Das frohlockende Charlottenburg«, »Die frohlockende Spree« und ähnliches, haben seinem Dasein keinerlei öffentliches Interesse mehr geben können; gegen 1712 verlieren sich seine Spuren, sein Todesjahr kennt man nicht; er mag mit seinem Helden Schelmuffsky die brave Großsprecherei und die tiefe Hilflosigkeit gemein gehabt haben, die in seinem Buche einen Strahl von der Märchensonne zu einem Spektrum zerlegt, das vom Lügenmärchen bis zu der todtraurigen Geschichte »Vom Frieder und vom Katerlieschen« hinüberreicht.

Einfacher liegen die Dinge bei dem Jobsiadendichter Karl Arnold Kortum. Zunächst aber freilich in mehr als einem Punkt ähnlich. Der praktische Arzt Kortum aus Mühlheim ist ebensowenig eine eigentliche Literatenerscheinung gewesen wie der verbummelte Student Christi an Reuter. Auch er hat viel geschrieben und mit einem seiner Werke einen Ruhm erreicht, den ihm die verzehnfachte Summe aller übrigen nie verschafft hätte. Auch er hat eine Parodie schreiben wollen und damit erreicht, daß die Gattung, die er vernichten wollte, in seinem Werke bis auf den heutigen Tag dauert. Wir nämlich lesen die »Jobsiade« nicht mehr als Parodie. Im Zeitalter Voltaires und Wielands gehörte das komische Heldengedicht zur feineren wie zur derberen Literatur. Im Kampfe der Aufklärung gegen die mythischen und dynastischen Autoritäten war diese Gattung eine durchschlagende Waffe und ihre Parodie durch Kortum mag vielleicht ohne die Absicht ihres Verfassers eher konservativ gewirkt haben. Im übrigen aber war Kortum ein vielseitig gebildeter Mann, der an der Aufklärung des Volkes arbeitete und zu diesem Zwecke sich über die verschiedensten Angelegenheiten ausließ, über das Benehmen bei ansteckenden Krankheiten sogut wie über die Grundsätze der Bienenzucht oder über die Vorzüge des neuen lutherischen Gesangbuchs in der Grafschaft Mark. Aufklärende Tendenz im Sinn des Dichters hatte, wenn man so will, auch die »Jobsiade«. »Diese Piece, so heißt es in seiner Autobiographie, ist eigentlich eine Art von Satyre über die zur Mode gewordenen Schriften im Volkston. So wie man darin sich gleichsam bemüht, Versart und Sprache zu verderben, so habe ich dieses, so spöttisch als möglich war, nachgeahmt.« Und erst recht sind die plumpen und possierlichen Holzschnitte, von denen die »Jobsiade« durchzogen ist, Karikaturen der billigen Bilder, mit denen die Jahrmarktsschriften der Zeit ausgeschmückt waren. Diese Holzschnitte mögen dann Wilhelm Busch, dem niederdeutschen Landsmann Kortums, den ersten Anstoß zu seinen eigenen Bildern zur »Jobsiade« gegeben haben, die dann nachmals den Ruhm des Kortumschen Namens von neuem verbreiteten, nicht so freilich die Kenntnis von seinem Werk. Denn die Partien, die Busch nicht mit seinen Bildern von neuem hatte erscheinen lassen, blieben recht unbekannt. Aus diesen unbekannteren Teilen stammt, was wir nun vom Tode des Hieronymus Jobs verlesen.

»37. Kapitel. Wie Hieronimus einen Besuch bekam von Freund Hein, der ihn zu Ruhe brachte.
Ein Kapitel, so gut als eine Leichenrede.

Es ist gewesen schon sehr lange,
Wie uns Gelehrten bewußt ist, im Gange,
Ein gar kluges Sprichwort, es hat's
Der alte Kirchenvater Horaz:

Sowohl gegen die Palläste der Großen
Als gegen die Hütten der Armen pflegt zu stoßen
Der überall bekannte Freund Hein
Mit seinem dürren Knochenbein.

Das will eigentlich nach dem Grundtext sagen:
Alles, was da lebt, wird zu Grabe getragen,
Sowohl der Monarch, als der Unterthan,
Sowohl der reiche als der arme Mann.

Sintemal Freund Hein pflegt unter bei den
Nicht das mindeste zu unterscheiden,
Sondern er nimmt alles, weit und breit,
Mit der strengsten Unpartheilichkeit.

Und er pflegt immer schlau zu lauern
Sowohl auf den Kavalier, als auf den Bauern,
Auf den Bettler und Großsultan,
Auf den Schneider und Tartarchan.

Und er geht mit der scharfen Sensen
Zu Lakeien und zu Excellenzen,
Zu der gnädigen Frau und der Viehmagd
Ohne Distinktion auf die Jagd,

Es gilt bei ihm gar kein Verschonen,
Er achtet weder Knotenperrücken noch Kronen,
Weder Doktorhut noch Hirschgeweih,
Zierrathen der Köpfe mancherlei.

Er hat bei der Hand tausend und mehr Sachen,
Welche ein End mit uns können machen;
Bald giebt ein Eisen, bald die Pest,
Bald eine Weinbeere uns den Rest.

Bald eine Krankheit, bald plötzlicher Schrecken,
Bald Arzeneien aus den Apotheken,
Bald Gift, bald Freude, bald Ärgerniß,
Bald Liebe, bald ein toller Hundsbiß.

Bald ein Prozeß, bald eine blaue Bohne,
Bald eine böse Frau, bald eine Kanone,
Bald ein Strick, bald sonstige Gefahr,
Wofür uns alle der Himmel bewahr.

Da helfen, um sich zu befreien,
Nicht d'Arçons schwimmende Battereien;
Denn Freund Hein, der hungrige Schelm,
Fürchtet weder Vestung, Schild, Degen noch Helm.

Der Kommandant in den sieben Thürnen,
Der Großvizier zwischen hundert Dirnen,
So wie Diogenes in seinem Faß
Waren alle für ihn ein Fraß.

So ist es von jeher gehört und gewesen,
Wie wir in den Geschichtbüchern können lesen:
Jakob Böhme und Aristoteles,
Klaus Narre und Demosthenes,

Der ungestalte Äsop und die schöne
Weltberühmte griechische Helene,
Der arme Job und König Salomon
Mußten endlich alle davon.

Kaiser Max und Jobs der Senater,
Virgil und Hans Sachs mein hltervater,
Der kleine David und große Goliath
Starben alle, theils früh, theils spat.

Niklas Klimm und Markus Aurelius,
Kato und Eulenspiegelius,
Ritter Simson und Don Quixot,
Sind leider nicht mehr, sondern todt.

Auch Kartouche und König Alexander,
Einer nicht ein Haar besser als der ander',
Held Bramarbas und Hannibal
Sie starben alle Knall und Fall.

Auch August der Held Polens,
Und Kar! der Zwölfte mußten volens nolens,
So wie der Perser Schach Kulikan,
Und der große Czaar Peter dran.

Item, Xerxes mit seinem ganzen Heere,
Potiphar mit seiner Hausehre,
Und der einäugige Polyphem,
Und der alte Methusalem.

Alle, alle mußten in die schwarze Bahre,
Kalvin und der Pater von Sankt Klare,
Auch der Patriarch Abraham,
Und Erasmus von Rotterdam.

Auch Müller Arnold und die Advokaten
In den weitläufigen preußischen Staaten,
Tribonian und Notar April,
Der zu Regensburg von der Treppe fiel,

Alles, alles sank von seiner Sichel,
Hippokrates Magnus und Schuppachs Michel,
Galenus und Doktor Menadie
Mit der Salernitanschen Akademie.

Keiner konnte seiner Faust entfliehen,
Nicht Nostradamus und Superindent Ziehen.
Mit Doktor Faust und Träumer Schwedenburg
Ging er ohne Umstände durch.

Orpheus den großen Musikanten,
Molieres den Komödianten,
Und den berühmten Mahler Apell
Nahm Freund Hein sämmtlich beim Fell.

Auch den Midas mit den langen Ohren,
Den Dichter Homerus blind geboren,
Den lahmen Tamerlan und Tänzer Vestris;
Kein einz'ger von allen entsprang ihm hie.

Ach ja, lieber Leser! dies Furchtgerippe
Fraß die Penolope und Xantippe,
Judith, Dido, Lukretia
Und die Konigin aus dem Reiche Arabia.

Den lachenden Demokrit und den Murrkopf Timon,
Gaukler Schröpfer und den Zauberer Simon,
Den Sokrates und den jungen Werther, fürwahr
Jenen als Weisen, diesen als Narr.

Selbst Bucephalus und Rossinanten,
Und Abulabas den Elephanten,
Roß Bayard und Bileams Eselin
Nahm Freund Hein zum Morgenbrod hin.

Summa Summarum, weder vorn noch hinten
Ist in den Chroniken ein Exempel zu finden,
Daß Freund Hein etwa irgendwo leer
Bei jemand vorübergegangen wär.

Und was er übrigens noch nicht gefressen,
Wird er doch in der Folge nicht vergessen,
Sogar, leider! lieber Leser, auch dich,
Und was das schlimmste ist, sogar mich.

So ward es nun auch gleichergestalten
Mit dem Nachtwächter Hieronimus gehalten,
Denn auch bei ihm stellte Freund Hein
Sich nach vierzig Jahr und drei Wochen ein.

Er bekam nämlich ein hitziges Fieber,
Das wäre wohl nun bald gegangen über,
Wenn man's seiner guten Natur
Hätte wollen überlassen nur;

Jedoch ein berühmter Doktor im Kuriren
Brachte ihn durch seine Lebenselixiren,
Nach der besten Methode gar schön,
An den Ort, dahin wir alle einst gehn.

Als man ihn nun zu Grabe getragen,
Führten die Schildburger große Klage,
Denn seit undenklichen Zeiten her
War kein so berühmter Nachtwächter als er.«

In dieser Todesgeschichte, denke ich; haben wir kein verächtliches Gegenstück des Geburtsberichts, mit dem der »Schelmuffsky« einsetzt. Ingrimmig sieht der eine dem Kommen, der andere dem Gehen der Kreatur zu. Ihr Humor – humor aber heißt zu deutsch Flüssigkeit – hat einen bitteren Geschmack und ist voll von Eisen und Nährsalz. Um aber auf Kortum zurückzukommen, so hat er es freilich bei Jobsens Tode sowenig bewenden lassen wie Reuter bei Schelmuffskys Geburt. Er hat einen zweiten Teil vom Leben seines Helden veröffentlicht, der zwar als Nachtwächter zu Schildburg starb, doch endlich die Ohnwitzer Pfarre erwarb. Das hat man ihm sehr verdacht. Und darum wollen wir mit der schönen Verteidigung schließen, die Otto Julius Bierbaum am Schluß seiner Einführung zur »Jobsiade« vorbringt.

»Ich behaupte getrost: der Jobs ist klassisch,
Sei er bloß bochum'sch oder parnassisch.
Was sich unmariniert so lange frisch erhält,
Sei, ob es auch klein, neben Großes gestellt.

Doch eins noch, das: Es geht das Gerede,
Die zwei Fortsetzungen, alle beede,
Seien durchaus vom Überfluß;
Tot hätte solln bleiben Hieronimus.

Dann hätte das Kunstwerk seine Rundheit
Bewahrt und streng ästhetische Gesundheit,
Indessen jetzt Teil zwei und drei
Nichts weiter als schädliche Wucherung sei.

O Gott, ihr Herrn vom kritischen Knaster,
Laßt ihr nicht endlich mal ab von dem Laster,
Immer nur Warzen und Auswuchs zu sehn,
Wo die Triebe der Kraft etwas üppiger stehn?

Ich dächte, wir haben uns nicht zu beklagen,
Daß Hieronimus auferstand aus dem Schragen,
Denn so der zweite wie dritte Teil
Bereiten uns gar keine Langeweil.

Ich möchte sie beide durchaus nicht missen
Und bin sehr glücklich, aus ihnen zu wissen,
Daß Doktor Kortum noch allerhand
Außer dem scharfen Schinden verstand.

Zum Beispiel: Ein Mädchen zu malen wie Esther.
Ich wünschte, ich hätte so eine Schwester.
Wobei ich gar nicht böse wär,
Würde der Baron dann mein Schwäh'r.

Auch muß ich gestehen: Wie der Nachtwächter,
Gefällt mir der Pastor Jobs. Kein schlechter
Zug scheint mir auch das zu sein,
Daß er begraben sein will bei Amalein.

Obwohl die, wie wir es deutlich lesen,
Durchaus kein Tugendausbund gewesen.
Fehlte das, käm mir des Doktors Humor
Beträchtlich weniger süße vor.

Ja, ich bekenne: die Fortsetzungen
Haben mich immer erst ganz bezwungen,
Weil ich daraus mit Freuden erfuhr:
Karl Arnold hatte nicht Schärfe nur.

Er war ein Poet auch aus dem Herzen,
Er konnte auch ohne Höllenstein scherzen.
Der rasche Wein wird mählig mild,
Der schroffe Schnitt wird zum runden Bild.

Und keiner kann sagen: die Sache wird saucig,
Der Witz wird schal, der Humor wird klosig.
Es geht nur, wie es im Leben geht:
Der Gang wird ruhig, beschaulich, stät.

Was der Dichter mit splitternden Hieben begonnen,
Hat schließlich das Ansehn von Schnitzwerk gewonnen;
Die harte Kontur kriegt weicheren Schwung.
Beschere Gott jedem solche Fortsetzung!«