VII. VORLESUNG
Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken
Meine Damen und Herren! Sie sehen, wir haben die Fehlleistungen nicht ohne Nutzen studiert. Dank diesen Bemühungen haben wir — unter den Ihnen bekannten Voraussetzungen — zweierlei erworben, eine Auffassung des Traumelements und eine Technik der Traumdeutung. Die Auffassung des Traumelements geht dahin, es sei ein Uneigentliches, ein Ersatz für etwas anderes, dem Träumer Unbekanntes, ähnlich wie die Tendenz der Fehlleistung, ein Ersatz für etwas, wovon das Wissen im Träumer vorhanden, aber ihm unzugänglich ist. Wir hoffen, dieselbe Auffassung auf den ganzen Traum, der aus solchen Elementen besteht, übertragen zu können. Unsere Technik besteht darin, durch freie Assoziation zu diesen Elementen andere Ersatzbildungen auftauchen zu lassen, aus denen wir das Verborgene erraten können.
Ich schlage Ihnen jetzt vor, eine Abänderung unserer Nomenklatur eintreten zu lassen, die unsere Beweglichkeit erleichtern soll. Anstatt verborgen, unzugänglich, uneigentlich sagen wir, indem wir die richtige Beschreibung geben, dem Bewußtsein des Träumers unzugänglich oder unbewußt. Wir meinen damit nichts anderes, als was Ihnen die Beziehung auf das entfallene Wort oder auf die störende Tendenz der Fehlleistung vorhalten kann, nämlich derzeit unbewußt. Natürlich dürfen wir im Gegensatz hierzu die Traumelemente selbst und die durch Assoziation neu gewonnenen Ersatzvorstellungen bewußte heißen. Irgendeine theoretische Konstruktion ist mit dieser Namengebung noch nicht verbunden. Der Gebrauch des Wortes „unbewußt“ als einer zutreffenden und leicht verständlichen Beschreibung ist tadellos.
Übertragen wir unsere Auffassung vom einzelnen Element auf den ganzen Traum, so ergibt sich also, daß der Traum als Ganzes der entstellte Ersatz für etwas anderes, Unbewußtes, ist, und als die Aufgabe der Traumdeutung, dieses Unbewußte zu finden. Daraus leiten sich aber sofort drei wichtige Regeln ab, die wir während der Arbeit an der Traumdeutung befolgen sollen:
1) Man kümmere sich nicht um das, was der Traum zu besagen scheint, sei er verständig oder absurd, klar oder verworren, da es doch auf keinen Fall das von uns gesuchte Unbewußte ist (eine naheliegende Einschränkung dieser Regel wird sich uns aufdrängen); 2) man beschränke die Arbeit darauf, zu jedem Element die Ersatzvorstellungen zu erwecken, denke nicht über sie nach, prüfe sie nicht, ob sie etwas Passendes enthalten, kümmere sich nicht darum, wie weit sie vom Traumelement abführen; 3) man warte ab, bis sich das verborgene, gesuchte Unbewußte von selbst einstellt, genau so wie das entfallene Wort Monaco bei dem beschriebenen Versuch.
Wir verstehen jetzt auch, inwiefern es gleichgültig ist, wie viel, wie wenig, vor allem aber wie getreu oder wie unsicher man den Traum erinnert. Der erinnerte Traum ist ja doch nicht das Eigentliche, sondern ein entstellter Ersatz dafür, der uns dazu verhelfen soll, durch Erweckung von anderen Ersatzbildungen dem Eigentlichen näherzukommen, das Unbewußte des Traumes bewußtzumachen. War also unsere Erinnerung ungetreu, so hat sie einfach an diesem Ersatz eine weitere Entstellung vorgenommen, die übrigens auch nicht unmotiviert sein kann.
Man kann die Deutungsarbeit an eigenen Träumen wie an denen anderer vollziehen. An eigenen lernt man sogar mehr, der Vorgang fällt beweisender aus. Versucht man dies also, so bemerkt man, daß etwas sich der Arbeit widersetzt. Man bekommt zwar Einfälle, läßt sie aber nicht alle gewähren. Es machen sich prüfende und auswählende Einflüsse geltend. Bei dem einen Einfall sagt man sich: Nein, das paßt nicht dazu, gehört nicht hierher, bei einem anderen: das ist zu unsinnig, bei einem dritten: das ist ganz nebensächlich, und man kann ferner beobachten, wie man mit solchen Einwendungen die Einfälle, noch ehe sie ganz klar geworden sind, erstickt und endlich auch vertreibt. Also einerseits hängt man sich zu sehr an die Ausgangsvorstellung, ans Traumelement selbst, anderseits stört man durch eine Auswahl das Ergebnis der freien Assoziation. Ist man bei der Traumdeutung nicht allein, läßt man seinen Traum von einem anderen deuten, so wird man sehr deutlich noch ein anderes Motiv bemerken, welches man für diese unerlaubte Auswahl verwendet. Man sagt sich dann gelegentlich: Nein, dieser Einfall ist zu unangenehm, den will oder kann ich nicht mitteilen.
Diese Einwendungen drohen offenbar den Erfolg unserer Arbeit zu stören. Man muß sich gegen sie schützen, und man tut dies bei der eigenen Person durch den festen Vorsatz, ihnen nicht nachzugeben; wenn man den Traum eines anderen deutet, indem man ihm als unverbrüchliche Regel angibt, er dürfe keinen Einfall von der Mitteilung ausschließen, auch wenn sich eine der vier Einwendungen gegen ihn erhebe, er sei zu unwichtig, zu unsinnig, gehöre nicht hierher oder er sei zu peinlich für die Mitteilung. Er verspricht, diese Regel zu befolgen, und man darf sich dann darüber ärgern, wie schlecht er vorkommendenfalls dies Versprechen hält. Man wird sich dafür zuerst die Erklärung geben, daß ihm trotz der autoritativen Versicherung die Berechtigung der freien Assoziation nicht eingeleuchtet hat, und wird vielleicht daran denken, ihn zuerst theoretisch zu gewinnen, indem man ihm Schriften zu lesen gibt oder ihn in Vorlesungen schickt, durch welche er zum Anhänger unserer Anschauungen über die freie Assoziation umgewandelt werden kann. Aber von solchen Mißgriffen wird man durch die Beobachtung abgehalten, daß bei der eigenen Person, deren Überzeugung man doch sicher sein darf, die nämlichen kritischen Einwendungen gegen gewisse Einfälle auftauchen, die erst nachträglich, gewissermaßen in zweiter Instanz, beseitigt werden.
Anstatt sich über den Ungehorsam des Träumers zu ärgern, kann man diese Erfahrungen verwerten, um etwas Neues aus ihnen zu lernen, etwas, was umso wichtiger ist, je weniger man darauf vorbereitet war. Man versteht, die Arbeit der Traumdeutung vollzieht sich gegen einen Widerstand, der ihr entgegengesetzt wird und dessen Äußerungen jene kritischen Einwendungen sind. Dieser Widerstand ist unabhängig von der theoretischen Überzeugung des Träumers. Ja, man lernt noch mehr. Man macht die Erfahrung, daß eine solche kritische Einwendung niemals recht behält. Im Gegenteile, die Einfälle, die man so unterdrücken möchte, erweisen sich ausnahmslos als die wichtigsten, für das Auffinden des Unbewußten entscheidenden. Es ist geradezu eine Auszeichnung, wenn ein Einfall von einer solchen Einwendung begleitet wird.
Dieser Widerstand ist etwas völlig Neues, ein Phänomen, welches wir auf Grund unserer Voraussetzungen gefunden haben, ohne daß es in diesen enthalten gewesen wäre. Wir sind von diesem neuen Faktor in unserer Rechnung nicht gerade angenehm überrascht. Wir ahnen schon, er wird unsere Arbeit nicht erleichtern. Er könnte uns dazu verführen, die ganze Bemühung um den Traum stehenzulassen. Etwas so Unwichtiges wie der Traum und dazu solche Schwierigkeiten anstatt einer glatten Technik! Aber anderseits könnten uns gerade diese Schwierigkeiten reizen und vermuten lassen, daß die Arbeit der Mühe wert sein wird. Wir stoßen regelmäßig auf Widerstände, wenn wir vom Ersatz, den das Traumelement bedeutet, zu seinem versteckten Unbewußten vordringen wollen. Also dürfen wir denken, es muß hinter dem Ersatz etwas Bedeutsames versteckt sein. Wozu sonst die Schwierigkeiten, die das Verbergen aufrechterhalten wollen? Wenn ein Kind die geballte Hand nicht aufmachen will, um zu zeigen, was es in ihr hat, dann ist es gewiß etwas Unrechtes, was es nicht haben soll.
Im Augenblick, da wir die dynamische Vorstellung eines Widerstandes in unseren Sachverhalt einführen, müssen wir auch daran denken, daß dieses Moment etwas quantitativ Variables ist. Es kann größere und kleinere Widerstände geben, und wir sind darauf vorbereitet, daß sich diese Unterschiede auch während unserer Arbeit zeigen werden. Vielleicht bringen wir damit eine andere Erfahrung zusammen, die wir auch bei der Arbeit der Traumdeutung machen. Es bedarf nämlich manchmal nur eines einzigen oder einiger weniger Einfälle, um uns vom Traumelement zu seinem Unbewußten zu bringen, während andere Male lange Ketten von Assoziationen und die Überwindung vieler kritischer Einwendungen dazu erfordert wird.
Wir werden uns sagen, diese Verschiedenheiten hängen mit den wechselnden Größen des Widerstandes zusammen, und werden wahrscheinlich recht behalten. Wenn der Widerstand gering ist, so ist auch der Ersatz vom Unbewußten nicht weit entfernt; ein großer Widerstand bringt aber große Entstellungen des Unbewußten und damit einen langen Rückzug vom Ersatz zum Unbewußten mit sich.
Jetzt wäre es vielleicht an der Zeit, einen Traum herzunehmen und unsere Technik an ihm zu versuchen, ob sich unsere an sie geknüpften Erwartungen bestätigen. Ja, aber welchen Traum sollen wir dazu wählen? Sie glauben nicht, wie schwer mir diese Entscheidung fällt, und ich kann Ihnen auch noch nicht begreiflich machen, worin die Schwierigkeiten liegen. Es muß offenbar Träume geben, die im ganzen wenig Entstellung erfahren haben, und es wäre das beste, mit solchen anzufangen. Aber welche Träume sind die am wenigsten entstellten? Die verständigen und nicht verworrenen, von denen ich Ihnen bereits zwei Beispiele vorgelegt habe? Da würden wir sehr irregehen. Die Untersuchung zeigt, daß diese Träume einen außerordentlich hohen Grad von Entstellung erfahren haben. Wenn ich aber unter Verzicht auf eine besondere Bedingung einen beliebigen Traum herausgreife, so werden Sie wahrscheinlich sehr enttäuscht werden. Es kann sein, daß wir eine solche Fülle von Einfällen zu den einzelnen Traumelementen zu merken oder zu verzeichnen haben, daß die Arbeit vollkommen unübersichtlich wird. Schreiben wir uns den Traum nieder und halten die Niederschrift aller dazu sich ergebenden Einfälle dagegen, so können diese leicht ein Vielfaches des Traumtextes ausmachen. Am zweckmäßigsten schiene es also, mehrere kurze Träume zur Analyse auszusuchen, von denen jeder uns wenigstens etwas sagen oder bestätigen kann. Dazu werden wir uns auch entschließen, wenn die Erfahrung uns nicht etwa anzeigen sollte, wo wir die wenig entstellten Träume wirklich finden können.
Ich weiß aber noch eine andere Erleichterung, die überdies auf unserem Wege liegt. Anstatt die Deutung ganzer Träume in Angriff zu nehmen, wollen wir uns auf einzelne Traumelemente beschränken und an einer Reihe von Beispielen verfolgen, wie diese durch die Anwendung unserer Technik Aufklärung finden.
a) Eine Dame erzählt, sie habe als Kind sehr oft geträumt, der liebe Gott habe einen spitzen Papierhut auf dem Kopf. Wie wollen Sie das ohne die Hilfe der Träumerin verstehen? Es klingt ja ganz unsinnig. Es ist nicht mehr unsinnig, wenn uns die Dame berichtet, daß man ihr als Kind bei Tische einen solchen Hut aufzusetzen pflegte, weil sie es nicht unterlassen konnte, auf die Teller der Geschwister zu schielen, ob eines von ihnen mehr bekommen habe als sie. Der Hut sollte also wie ein Scheuleder wirken. Übrigens eine historische Auskunft und ohne jede Schwierigkeit gegeben. Die Deutung dieses Elements und damit des ganzen kurzen Traumes ergibt sich leicht mit Hilfe eines weiteren Einfalls der Träumerin. „Da ich gehört hatte, der liebe Gott sei allwissend und sehe alles“, sagt sie, „so kann der Traum nur bedeuten, daß ich alles weiß und alles sehe wie der liebe Gott, auch wenn man mich daran hindern will.“ Dieses Beispiel ist vielleicht zu einfach.
b) Eine skeptische Patientin hat einen längeren Traum, in dem es vorkommt, daß ihr gewisse Personen von meinem Buch über den „Witz“ erzählen und es sehr loben. Dann wird etwas erwähnt von einem „Kanal“, vielleicht ein anderes Buch, in dem Kanal vorkommt, oder sonst etwas mit Kanal… sie weiß es nicht… es ist ganz unklar.
Nun werden Sie gewiß zu glauben geneigt sein, daß das Element „Kanal“ sich der Deutung entziehen wird, weil es selbst so unbestimmt ist. Sie haben mit der vermuteten Schwierigkeit recht, aber es ist nicht darum schwer, weil es undeutlich ist, sondern es ist undeutlich aus einem anderen Grund, demselben, der auch die Deutung schwer macht. Der Träumerin fällt zu Kanal nichts ein; ich weiß natürlich auch nichts zu sagen. Eine Weile später, in Wahrheit am nächsten Tage, erzählt sie, es sei ihr eingefallen, was vielleicht dazugehört. Auch ein Witz nämlich, den sie erzählen gehört hat. Auf einem Schiff zwischen Dover und Calais unterhält sich ein bekannter Schriftsteller mit einem Engländer, welcher in einem gewissen Zusammenhange den Satz zitiert: Du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas. Der Schriftsteller antwortet: Oui, le pas de Calais, — womit er sagen will, daß er Frankreich großartig und England lächerlich findet. Der Pas de Calais ist aber doch ein Kanal, der Ärmelkanal nämlich, Canal la manche. Ob ich meine, daß dieser Einfall etwas mit dem Traum zu tun hat? Gewiß, meine ich, er gibt wirklich die Lösung des rätselhaften Traumelements. Oder wollen Sie bezweifeln, daß dieser Witz bereits vor dem Traum als das Unbewußte des Elements „Kanal“ vorhanden war, können Sie annehmen, daß er nachträglich hinzugefunden wurde? Der Einfall bezeugt nämlich die Skepsis, die sich bei ihr hinter aufdringlicher Bewunderung verbirgt, und der Widerstand ist wohl der gemeinsame Grund für beides, sowohl, daß ihr der Einfall so zögernd gekommen, als auch dafür, daß das entsprechende Traumelement so unbestimmt ausgefallen ist. Blicken Sie hier auf das Verhältnis des Traumelements zu seinem Unbewußten. Es ist wie ein Stückchen dieses Unbewußten, wie eine Anspielung darauf; durch seine Isolierung ist es ganz unverständlich geworden.
c) Ein Patient träumt in längerem Zusammenhange: Um einen Tisch von besonderer Form sitzen mehrere Mitglieder seiner Familie usw. Zu diesem Tisch fällt ihm ein, daß er ein solches Möbelstück bei einem Besuch bei einer bestimmten Familie gesehen hat. Dann setzen sich seine Gedanken fort: In dieser Familie hat es ein besonderes Verhältnis zwischen Vater und Sohn gegeben, und bald setzt er hinzu, daß es eigentlich zwischen ihm und seinem Vater ebenso steht. Der Tisch ist also in den Traum aufgenommen, um diese Parallele zu bezeichnen.
Dieser Träumer war mit den Anforderungen der Traumdeutung längst vertraut. Ein anderer hätte vielleicht Anstoß daran genommen, daß ein so geringfügiges Detail wie die Form eines Tisches zum Objekt der Nachforschung genommen wird. Wir erklären wirklich nichts im Traum für zufällig oder gleichgültig und erwarten uns Aufschluß gerade von der Aufklärung so geringfügiger unmotivierter Details. Sie werden sich vielleicht noch darüber verwundern, daß die Traumarbeit den Gedanken „bei uns geht es ebenso zu wie bei denen“ gerade durch die Auswahl des Tisches zum Ausdruck bringt. Aber auch das erklärt sich, wenn Sie hören, daß die betreffende Familie den Namen: Tischler trägt. Indem der Träumer seine Angehörigen an diesem Tisch Platz nehmen läßt, sagt er, sie seien auch Tischler. Bemerken Sie übrigens, wie man notgedrungen bei der Mitteilung solcher Traumdeutungen indiskret werden muß. Sie haben damit eine der Ihnen angedeuteten Schwierigkeiten in der Auswahl von Beispielen erraten. Ich hätte dieses Beispiel leicht durch ein anderes ersetzen können, aber wahrscheinlich hätte ich diese Indiskretion nur um den Preis vermieden, daß ich an ihrer Statt eine andere begehe.
Es scheint mir an der Zeit, zwei Termini einzuführen, die wir längst hätten verwenden können. Wir wollen das, was der Traum erzählt, den manifesten Trauminhalt nennen, das Verborgene, zu dem wir durch die Verfolgung der Einfälle kommen sollen, die latenten Traumgedanken. Wir achten dann auf die Beziehungen zwischen manifestem Trauminhalt und latenten Traumgedanken, wie sie sich in diesen Beispielen zeigen. Es können sehr verschiedene solche Beziehungen bestehen. In den Beispielen a) und b) ist das manifeste Element auch ein Bestandteil der latenten Gedanken, aber nur ein kleines Stück davon. Von einem großen zusammengesetzten psychischen Gebilde in den unbewußten Traumgedanken ist ein Stückchen auch in den manifesten Traum gelangt, wie ein Fragment davon oder in anderen Fällen wie eine Anspielung darauf, wie ein Stichwort, eine Verkürzung im Telegraphenstil. Die Deutungsarbeit hat diesen Brocken oder diese Andeutung zum Ganzen zu vervollständigen, wie es besonders schön im Beispiel b) gelungen ist. Die eine Art der Entstellung, in welcher die Traumarbeit besteht, ist also der Ersatz durch ein Bruchstück oder eine Anspielung. In c) ist überdies ein anderes Verhältnis zu erkennen, welches wir in den nachfolgenden Beispielen reiner und deutlicher ausgedrückt sehen.
d) Der Träumer „zieht eine“ (bestimmte, ihm bekannte) „Dame hinter dem Bett hervor“. Er findet selbst durch den ersten Einfall den Sinn dieses Traumelements. Es heißt: er gibt dieser Dame den Vorzug.
e) Ein anderer träumt, sein Bruder stecke in einem Kasten. Der erste Einfall ersetzt Kasten durch Schrank, und der zweite gibt darauf die Deutung: der Bruder schränkt sich ein.
f) Der Träumer steigt auf einen Berg, von dem er eine außerordentliche, weite Aussicht hat. Das klingt ja ganz rationell, es ist vielleicht nichts zu deuten daran, sondern nur zu erkunden, an welche Reminiszenz der Traum rührt und aus welchem Motiv sie hier geweckt wurde. Allein Sie irren; es zeigt sich, daß dieser Traum gerade so deutungsbedürftig war wie irgendein anderer, verworrener. Dem Träumer fällt dazu nämlich nichts von eigenen Bergbesteigungen ein, sondern er gedenkt des Umstandes, daß ein Bekannter von ihm eine „Rundschau“ herausgibt, die sich mit unseren Beziehungen zu den fernsten Erdteilen beschäftigt. Der latente Traumgedanke ist also hier eine Identifizierung des Träumers mit dem „Rundschauer“.
Sie finden hier einen neuen Typus der Beziehung zwischen manifestem und latentem Traumelement. Das erstere ist nicht so sehr eine Entstellung des letzteren als eine Darstellung desselben, eine plastische, konkrete Verbildlichung, die ihren Ausgang vom Wortlaute nimmt. Allerdings gerade dadurch wieder eine Entstellung, denn wir haben beim Wort längst vergessen, aus welchem konkreten Bild es hervorgegangen ist, und erkennen es darum in seiner Ersetzung durch das Bild nicht wieder. Wenn Sie daran denken, daß der manifeste Traum vorwiegend aus visuellen Bildern, seltener aus Gedanken und Worten besteht, können Sie erraten, daß dieser Art der Beziehung eine besondere Bedeutung für die Traumbildung zukommt. Sie sehen auch, daß es auf diesem Wege möglich wird, für eine große Reihe abstrakter Gedanken Ersatzbilder im manifesten Traum zu scharfen, die doch der Absicht des Verbergens dienen. Es ist dies die Technik unseres Bilderrätsels. Woher der Anschein des Witzigen kommt, den solche Darstellungen an sich tragen, das ist eine besondere Frage, die wir hier nicht zu berühren brauchen.
Eine vierte Art der Beziehung zwischen manifestem und latentem Element muß ich Ihnen noch verschweigen, bis ihr Stichwort in der Technik gefallen ist. Ich werde Ihnen auch dann keine vollständige Aufzählung gegeben haben, aber es reicht so für unsere Zwecke aus.
Haben Sie nun den Mut, die Deutung eines ganzen Traumes zu wagen? Machen wir den Versuch, ob wir für diese Aufgabe gut genug ausgerüstet sind. Ich werde natürlich keinen der dunkelsten wählen, aber doch einen, der die Eigenschaften eines Traumes in guter Ausprägung zeigt.
Also eine junge, aber schon seit vielen Jahren verheiratete Dame träumt: Sie sitzt mit ihrem Manne im Theater, eine Seite des Parketts ist ganz unbesetzt. Ihr Mann erzählt ihr, Elise L. und ihr Bräutigam hätten auch gehen wollen, hätten aber nur schlechte Sitze bekommen, 3 für 1 fl. 50 kr., und die konnten sie ja nicht nehmen. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen.
Das erste, was uns die Träumerin berichtet, ist, daß der Anlaß zum Traum im manifesten Inhalt desselben berührt wird. Ihr Mann hatte ihr wirklich erzählt, daß Elise L., eine ungefähr gleichaltrige Bekannte, sich jetzt verlobt hat. Der Traum ist die Reaktion auf diese Mitteilung. Wir wissen bereits, daß es für viele Träume leicht wird, einen solchen Anlaß vom Vortag für sie nachzuweisen, und daß diese Herleitungen vom Träumer oft ohne Schwierigkeiten angegeben werden. Auskünfte derselben Art stellt uns die Träumerin auch für andere Elemente des manifesten Traumes zur Verfügung. Woher das Detail, daß eine Seite des Parketts unbesetzt ist? Es ist eine Anspielung auf eine reale Begebenheit der vorigen Woche. Sie hatte sich vorgenommen, in eine gewisse Theatervorstellung zu gehen, und darum frühzeitig Karten genommen, so früh, daß sie Vorverkaufsgebühr zahlen mußte. Als sie ins Theater kamen, zeigte es sich, wie überflüssig ihre Sorge gewesen war, denn eine Seite des Parketts war fast leer. Es wäre Zeit gewesen, wenn sie die Karten am Tage der Vorstellung selbst gekauft hätte. Ihr Mann unterließ es auch nicht, sie wegen dieser Voreiligkeit zu necken. — Woher die 1 fl. 50 kr.? Aus einem ganz anderen Zusammenhange, der mit dem vorigen nichts zu tun hat, aber gleichfalls auf eine Nachricht vom letzten Tage anspielt. Ihre Schwägerin hatte von ihrem Mann die Summe von 150 fl. zum Geschenk bekommen und hatte nichts Eiligeres zu tun, die dumme Gans, als zum Juwelier zu laufen und das Geld gegen ein Schmuckstück einzutauschen. — Woher die 3? Dazu weiß sie nichts, wenn man nicht etwa den Einfall gelten lassen will, daß die Braut, Elise L., nur um 3 Monate jünger ist als sie, die seit fast zehn Jahren verheiratete Frau. Und der Unsinn, daß man drei Karten nimmt, wenn man nur zu zweien ist? Dazu sagt sie nichts, verweigert überhaupt alle weiteren Einfälle und Auskünfte.
Sie hat uns aber doch so viel Material in ihren wenigen Einfällen zugetragen, daß daraus das Erraten der latenten Traumgedanken möglich wird. Es muß auffallen, daß in ihren Mitteilungen zum Traum an mehreren Stellen Zeitbestimmungen hervortreten, die eine Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Partien des Materials begründen. Sie hat die Eintrittskarten ins Theater zu früh besorgt, voreilig genommen, so daß sie sie überzahlen mußte; die Schwägerin hat sich in ähnlicher Weise beeilt, ihr Geld zum Juwelier zu tragen, um sich einen Schmuck dafür zu kaufen, als ob sie es „versäumen“ würde. Nehmen wir zu dem so betonten „zu früh“, „voreilig“ die Veranlassung des Traumes hinzu, die Nachricht, daß die nur um 3 Monate jüngere Freundin jetzt doch einen tüchtigen Mann bekommen hat, und die in dem Schimpf auf die Schwägerin ausgedrückte Kritik: es sei unsinnig, sich so zu übereilen, so tritt uns wie spontan folgende Konstruktion der latenten Traumgedanken entgegen, für welche der manifeste Traum ein arg entstellter Ersatz ist:
„Es war doch ein Unsinn von mir, mich mit der Heirat so zu beeilen! An dem Beispiel der Elise sehe ich, daß ich auch noch später einen Mann bekommen hätte.“ (Die Übereilung dargestellt durch ihr Benehmen beim Kartenkauf und das der Schwägerin beim Schmuckeinkauf. Für das Heiraten tritt als Ersatz das Ins-Theater-Gehen ein.) Das wäre der Hauptgedanke; vielleicht können wir fortsetzen, obwohl mit geringerer Sicherheit, weil die Analyse an diesen Stellen auf Äußerungen der Träumerin nicht hätte verzichten sollen: „Und einen 100mal besseren hätte ich für das Geld bekommen!“ (150 fl. ist 100mal mehr als 1 fl. 50.) Wenn wir für das Geld die Mitgift einsetzen dürften, so hieße es, daß man sich den Mann durch die Mitgift erkauft; sowohl der Schmuck wie auch die schlechten Karten stünden an Stelle des Mannes. Noch erwünschter wäre es, wenn gerade das Element „3 Karten“ etwas mit einem Mann zu tun hätte. Aber soweit reicht unser Verständnis noch nicht. Wir haben nur erraten, der Traum drückt die Geringschätzung ihres eigenen Mannes und das Bedauern, so früh geheiratet zu haben, aus.
Mein Urteil ist, daß wir von dem Ergebnis dieser ersten Traumdeutung mehr überrascht und verwirrt als befriedigt sein werden. Zuviel auf einmal dringt da auf uns ein, mehr, als wir jetzt schon bewältigen können. Wir merken schon, daß wir die Lehren dieser Traumdeutung nicht erschöpfen werden. Beeilen wir uns herauszugreifen, was wir als gesicherte neue Einsicht erkennen.
Erstens: Es ist merkwürdig, in den latenten Gedanken fällt der Hauptakzent auf das Element der Voreiligkeit; im manifesten Traum ist gerade davon nichts zu finden. Ohne die Analyse hätten wir keine Ahnung haben können, daß dieses Moment irgendeine Rolle spielt. Es scheint also möglich, daß gerade die Hauptsache, das Zentrale der unbewußten Gedanken, im manifesten Traum ausbleibt. Dadurch muß der Eindruck des ganzen Traumes gründlich verwandelt werden. Zweitens: Im Traum findet sich eine unsinnige Zusammenstellung, 3 für 1 fl. 50; in den Traumgedanken erraten wir den Satz: Es war ein Unsinn (so früh zu heiraten). Kann man es abweisen, daß dieser Gedanke „es war ein Unsinn“ gerade durch die Aufnahme eines absurden Elements in den manifesten Traum dargestellt wird? Drittens: Ein vergleichender Blick lehrt, daß die Beziehung zwischen manifesten und latenten Elementen keine einfache ist, keinesfalls von der Art, daß immer ein manifestes Element ein latentes ersetzt. Es muß vielmehr eine Massenbeziehung zwischen beiden Lagern sein, innerhalb deren ein manifestes Element mehrere latente vertreten oder ein latentes durch mehrere manifeste ersetzt sein kann.
Was den Sinn des Traumes und das Verhalten der Träumerin zu ihm betrifft, wäre gleichfalls viel Überraschendes zu sagen. Sie anerkennt wohl die Deutung, aber sie wundert sich über sie. Sie hat nicht gewußt, daß sie ihren Mann so geringschätzt; sie weiß auch nicht, warum sie ihn so geringschätzen sollte. Daran ist also noch vieles unverständlich. Ich glaube wirklich, wir sind noch nicht für eine Traumdeutung ausgerüstet und müssen uns erst weitere Unterweisung und Vorbereitung holen.