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XII. VORLESUNG

Analysen von Traumbeispielen

Meine Damen und Herren! Seien Sie nun nicht enttäuscht, wenn ich Ihnen wiederum Bruchstücke von Traumdeutungen vorlege, anstatt Sie zur Teilnahme an der Deutung eines schönen großen Traumes einzuladen. Sie werden sagen, nach so vielen Vorbereitungen hätten Sie ein Recht darauf, und werden Ihrer Überzeugung Ausdruck geben, daß es nach gelungener Deutung von soviel tausend Träumen längst hätte möglich werden müssen, eine Sammlung von ausgezeichneten Traumbeispielen zusammenzutragen, an welcher sich alle unsere Behauptungen über Traumarbeit und Traumgedanken demonstrieren ließen. Ja, aber der Schwierigkeiten, welche der Erfüllung Ihres Wunsches im Wege stehen, sind zu viele.

Vor allem muß ich Ihnen gestehen, daß es niemand gibt, der die Traumdeutung als seine Hauptbeschäftigung betreibt. Wann kommt man denn dazu, Träume zu deuten? Gelegentlich kann man sich ohne besondere Absicht mit den Träumen einer befreundeten Person beschäftigen, oder man arbeitet eine Zeitlang seine eigenen Träume durch, um sich für psychoanalytische Arbeit zu schulen; zumeist hat man es aber mit den Träumen nervöser Personen zu tun, die in analytischer Behandlung stehen. Diese letzteren Träume sind ausgezeichnetes Material und stehen in keiner Weise hinter denen Gesunder zurück, aber man ist durch die Technik der Behandlung genötigt, die Traumdeutung den therapeutischen Absichten unterzuordnen und eine ganze Anzahl von Träumen stehenzulassen, nachdem man ihnen etwas für die Behandlung Brauchbares entnommen hat. Manche Träume, die in den Kuren vorfallen, entziehen sich überhaupt einer vollständigen Deutung. Da sie aus der Gesamtmenge des uns noch unbekannten psychischen Materials erwachsen sind, wird ihr Verständnis erst nach Abschluß der Kur möglich. Die Mitteilung solcher Träume würde auch die Aufdeckung aller Geheimnisse einer Neurose notwendig machen; das geht also nicht bei uns, die wir den Traum als Vorbereitung für das Studium der Neurosen in Angriff genommen haben.

Nun würden Sie gerne auf dieses Material verzichten und wollten lieber Träume von gesunden Menschen oder eigene Träume erläutert hören. Das geht aber wegen des Inhalts dieser Träume nicht an. Man kann weder sich selbst noch einen anderen, dessen Vertrauen man in Anspruch genommen hat, so rücksichtslos bloßstellen, wie es die eingehende Deutung seiner Träume mit sich brächte, die, wie Sie bereits wissen, das Intimste seiner Persönlichkeit betreffen. Außer dieser Schwierigkeit der Materialbeschaffung kommt für die Mitteilung eine andere in Betracht. Sie wissen, der Traum erscheint dem Träumer selbst fremdartig, geschweige denn einem anderen, dem die Person des Träumers unbekannt ist. Unsere Literatur ist nicht arm an guten und ausführlichen Traumanalysen; ich selbst habe einige im Rahmen von Krankengeschichten veröffentlicht; vielleicht das schönste Beispiel einer Traumdeutung ist das von O. Rank mitgeteilte, zwei aufeinander bezügliche Träume eines jungen Mädchens, die im Druck etwa zwei Seiten einnehmen; die Analyse dazu umfaßt aber 76 Seiten. Ich brauchte etwa ein ganzes Semester, um Sie durch eine solche Arbeit hindurch zu geleiten. Wenn man irgendeinen längeren und stärker entstellten Traum vornimmt, so muß man soviel Aufklärungen dazugeben, soviel Material von Einfällen und Erinnerungen heranziehen, auf so viele Seitenwege eingehen, daß ein Vortrag darüber ganz unübersichtlich und unbefriedigend ausfallen würde. Ich muß Sie also bitten, sich mit dem zu begnügen, was leichter zu haben ist, mit der Mitteilung von kleinen Stücken aus Träumen von neurotischen Personen, an denen man dies oder jenes isoliert erkennen kann. Am leichtesten lassen sich die Traumsymbole demonstrieren, dann noch gewisse Eigentümlichkeiten der regressiven Traumdarstellung. Ich werde Ihnen von jedem der nun folgenden Träume angeben, weshalb ich ihn für mitteilenswert erachtet habe.

1) Ein Traum besteht nur aus zwei kurzen Bildern: Sein Onkel raucht eine Zigarette, obwohl es Samstag ist. — Eine Frau streichelt und liebkost ihn wie ihr Kind.

Zum ersten Bild bemerkt der Träumer (Jude), sein Onkel sei ein frommer Mann, der etwas derart Sündhaftes nie getan hat und nie tun würde. Zur Frau im zweiten Bild fällt ihm nichts anderes ein als seine Mutter. Diese beiden Bilder oder Gedanken sind offenbar in Beziehung zueinander zu setzen. Aber wie? Da er die Realität für das Tun des Onkels ausdrücklich abgestritten hat, so liegt es nahe, ein „Wenn“ einzufügen. „Wenn mein Onkel, der heilige Mann, am Samstag eine Zigarette rauchen würde, dann dürfte ich mich auch von der Mutter liebkosen lassen.“ Das heißt offenbar, das Kosen mit der Mutter sei auch etwas Unerlaubtes wie das Rauchen am Samstag für den frommen Juden. Sie erinnern sich, daß ich Ihnen sagte, bei der Traumarbeit fielen alle Relationen zwischen den Traumgedanken weg; diese werden in ihr Rohmaterial aufgelöst, und es ist Aufgabe der Deutung, die weggelassenen Beziehungen wieder einzusetzen.

2) Durch meine Veröffentlichungen über den Traum bin ich in gewisser Hinsicht öffentlicher Konsulent für Traumangelegenheiten geworden und erhalte seit vielen Jahren Zuschriften von den verschiedensten Seiten, in denen mir Träume mitgeteilt oder zur Beurteilung vorgelegt werden. Ich bin natürlich allen jenen dankbar, die zum Traum soviel Material hinzufügen, daß eine Deutung möglich wird, oder die selbst eine solche Deutung geben. In diese Kategorie gehört nun der folgende Traum eines Mediziners aus München vom Jahre 1910. Ich bringe ihn vor, weil er Ihnen beweisen kann, wie unzugänglich im allgemeinen ein Traum dem Verständnis ist, ehe der Träumer uns seine Auskünfte dazu gegeben hat. Ich vermute nämlich, daß Sie im Grunde die Traumdeutung durch Einsetzen der Symbolbedeutung für die ideale halten, die Technik der Assoziation zum Traum aber beiseite schieben möchten, und will Sie von diesem schädlichen Irrtum frei machen.

„13. Juli 1910: Gegen Morgen träume ich: Ich fahre mit dem Rad in Tübingen die Straße herunter, als ein brauner Dachshund hinter mir dreinrast und mich an einer Ferse faßt. Ein Stück weiter steige ich ab, setze mich auf eine Staffel und fange an, auf das Vieh loszutrommeln, das sich fest verbissen hat. (Unangenehme Gefühle habe ich von dem Beißen und der ganzen Szene nicht.) Gegenüber sitzen ein paar ältere Damen, die mir grinsend zusehen. Dann wache ich auf und, wie schon öfter, ist mir in diesem Moment des Übergangs zum Wachen der ganze Traum klar.

Mit Symbolen ist hier wenig auszurichten. Der Träumer berichtet uns aber: „Ich habe mich in der letzten Zeit in ein Mädchen verliebt, nur so vom Sehen auf der Straße, habe aber keinerlei Anknüpfungspunkte gehabt. Dieser Anknüpfungspunkt hätte für mich am angenehmsten der Dachshund sein können, zumal ich ein großer Tierfreund bin und diese Eigenschaft auch bei dem Mädchen sympathisch empfunden habe.“ Er fügt auch hinzu, daß er wiederholt mit großem Geschick und oft zum Erstaunen der Zuschauer in die Kämpfe miteinander raufender Hunde eingegriffen habe. Wir erfahren also, daß das Mädchen, welches ihm gefiel, stets in Begleitung dieses besonderen Hundes zu sehen war. Dies Mädchen ist aber für den manifesten Traum beseitigt worden, nur der mit ihr assoziierte Hund ist geblieben. Vielleicht sind die älteren Damen, die ihn angrinsen, an die Stelle des Mädchens getreten. Was er sonst noch mitteilt, reicht zur Aufklärung dieses Punktes nicht aus. Daß er im Traume auf dem Rade fährt, ist direkte Wiederholung der erinnerten Situation. Er war dem Mädchen mit dem Hunde immer nur, wenn er zu Rade war, begegnet.

3) Wenn jemand einen seiner teueren Angehörigen verloren hat, so produziert er durch längere Zeit nachher Träume von besonderer Art, in denen das Wissen um den Tod mit dem Bedürfnis, den Toten wiederzubeleben, die merkwürdigsten Kompromisse abschließt. Bald ist der Verstorbene tot und lebt dabei doch weiter, weil er nicht weiß, daß er tot ist, und wenn er es wüßte, stürbe er erst ganz; bald ist er halb tot und halb lebendig, und jeder dieser Zustände hat seine besonderen Anzeichen. Man darf diese Träume nicht einfach unsinnige nennen, denn das Wiederbelebtwerden ist für den Traum nicht unannehmbarer als z. B. für das Märchen, in dem es als ein sehr gewöhnliches Schicksal vorkommt. Soweit ich solche Träume analysieren konnte, ergab es sich, daß sie einer vernünftigen Lösung fähig sind, aber daß der pietätvolle Wunsch, den Toten ins Leben zurückzurufen, mit den seltsamsten Mitteln zu arbeiten versteht. Ich lege Ihnen hier einen solchen Traum vor, der sonderbar und unsinnig genug klingt und dessen Analyse Ihnen vieles von dem vorführen wird, worauf Sie durch unsere theoretischen Ausführungen vorbereitet sind. Der Traum eines Mannes, der seinen Vater vor mehreren Jahren verloren hatte:

Der Vater ist gestorben, aber exhumiert worden und sieht schlecht aus. Er lebt seitdem fort, und der Träumer tut alles, damit er es nicht merkt. (Dann übergeht der Traum auf andere, scheinbar sehr fernliegende Dinge.)

Der Vater ist gestorben, das wissen wir. Daß er exhumiert worden, entspricht nicht der Wirklichkeit, die ja auch für alles weitere nicht in Betracht kommt. Aber der Träumer erzählt: Nachdem er vom Begräbnis des Vaters zurückgekommen war, begann ihn ein Zahn zu schmerzen. Er wollte diesen Zahn nach der Vorschrift der jüdischen Lehre behandeln: Wenn dich dein Zahn ärgert, so reiße ihn aus, und begab sich zum Zahnarzt. Der aber sagte: Einen Zahn reißt man nicht, man muß Geduld mit ihm haben. Ich werde etwas einlegen, um ihn zu töten; nach drei Tagen kommen Sie wieder, dann werde ich's herausnehmen.

Dies „Herausnehmen“, sagt der Träumer plötzlich, das ist das Exhumieren.

Sollte der Träumer recht haben? Es stimmt zwar nicht ganz, nur so ungefähr, denn der Zahn wird ja nicht herausgenommen, sondern etwas, das Abgestorbene, aus ihm. Aber dergleichen Ungenauigkeiten darf man der Traumarbeit nach anderen Erfahrungen wohl zutrauen. Dann hätte der Träumer den verstorbenen Vater mit dem getöteten und doch erhaltenen Zahn verdichtet, zu einer Einheit verschmolzen. Kein Wunder dann, daß im manifesten Traum etwas Sinnloses zustande kommt, denn es kann doch nicht alles auf den Vater passen, was vom Zahn gesagt wird. Wo wäre überhaupt das Tertium comparationis zwischen Zahn und Vater, welches diese Verdichtung ermöglicht?

Es muß aber doch wohl so sein, denn der Träumer fährt fort, es sei ihm bekannt, wenn man von einem ausgefallenen Zahn träumt, so bedeutet es, daß man ein Familienmitglied verlieren werde.

Wir wissen, daß diese populäre Deutung unrichtig oder wenigstens nur in einem skurrilen Sinne richtig ist. Umsomehr wird es uns überraschen, das so angeschlagene Thema doch hinter den anderen Stücken des Trauminhalts aufzufinden.

Ohne weitere Aufforderung beginnt nun der Träumer von der Krankheit und dem Tode des Vaters sowie von seinem Verhältnis zu ihm zu erzählen. Der Vater war lange krank, die Pflege und Behandlung des Kranken kostete ihn, den Sohn, viel Geld. Und doch war es ihm nie zuviel, er wurde nie ungeduldig, hatte nie den Wunsch, es möge doch schon zu Ende sein. Er rühmt sich echt jüdischer Pietät gegen den Vater, der strengen Befolgung des jüdischen Gesetzes. Fällt uns da nicht ein Widerspruch in den zum Traum gehörigen Gedanken auf? Er hatte Zahn und Vater identifiziert. Gegen den Zahn wollte er nach dem jüdischen Gesetz verfahren, welches das Urteil mit sich brachte, ihn auszureißen, wenn er Schmerz und Ärgernis bereitete. Auch gegen den Vater wollte er nach der Vorschrift des Gesetzes verfahren sein, welches aber hier lautet, Aufwand und Ärgernis nicht zu achten, alles Schwere auf sich zu nehmen und keine feindliche Absicht gegen das Schmerz bereitende Objekt aufkommen zu lassen. Wäre die Übereinstimmung nicht weit zwingender, wenn er wirklich gegen den kranken Vater ähnliche Gefühle entwickelt hätte wie gegen den kranken Zahn, d. h. gewünscht hätte, ein baldiger Tod möge seiner überflüssigen, schmerzlichen und kostspieligen Existenz ein Ende setzen?

Ich zweifle nicht, daß dies wirklich seine Einstellung gegen den Vater während dessen langwieriger Krankheit war und daß die prahlerischen Versicherungen seiner frommen Pietät dazu bestimmt sind, von diesen Erinnerungen abzulenken. Unter solchen Bedingungen pflegt der Todeswunsch gegen den Erzeuger rege zu werden und sich mit der Maske einer mitleidigen Erwägung wie: es wäre nur eine Erlösung für ihn, zu decken. Bemerken Sie aber wohl, daß wir hier in den latenten Traumgedanken selbst eine Schranke überschritten haben. Der erste Anteil derselben war gewiß nur zeitweilig, d. h. während der Traumbildung, unbewußt, die feindseligen Regungen gegen den Vater dürften aber dauernd unbewußt gewesen sein, vielleicht aus Kinderzeiten stammen und sich während der Krankheit des Vaters gelegentlich schüchtern und verkleidet ins Bewußtsein geschlichen haben. Mit noch größerer Sicherheit können wir dies von anderen latenten Gedanken behaupten, die unverkennbare Beiträge an den Trauminhalt abgegeben haben. Von den feindseligen Regungen gegen den Vater ist ja nichts im Traum zu entdecken. Indem wir aber der Wurzel solcher Feindseligkeit gegen den Vater im Kinderleben nachforschen, erinnern wir uns, daß sich die Furcht vor dem Vater herstellt, weil dieser sich schon in frühesten Jahren der Sexualbetätigung des Knaben entgegensetzt, wie er es in der Regel im Alter nach der Pubertät aus sozialen Motiven wiederholen muß. Diese Beziehung zum Vater trifft auch für unseren Träumer zu; seiner Liebe zu ihm war genug Respekt und Angst beigemengt gewesen, die aus der Quelle der frühzeitigen Sexualeinschüchterung geflossen waren.

Aus dem Onaniekomplex erklären sich nun die weiteren Sätze des manifesten Traumes. Er sieht schlecht aus spielt zwar auf eine weitere Rede des Zahnarztes an, daß es schlecht aussieht, wenn man einen Zahn an dieser Stelle eingebüßt hat; es bezieht sich aber gleichzeitig auf das schlechte Aussehen, durch welches der junge Mann in der Pubertät seine übermäßige Sexualbetätigung verrät oder zu verraten fürchtet. Nicht ohne eigene Erleichterung hat der Träumer im manifesten Inhalt das schlechte Aussehen von sich weg auf den Vater geschoben, eine der Ihnen bekannten Umkehrungen der Traumarbeit. Er lebt seitdem fort deckt sich mit dem Wiederbelebungswunsch wie mit dem Versprechen des Zahnarztes, daß der Zahn erhalten bleiben wird. Ganz raffiniert ist aber der Satz „der Träumer tut alles, *damit er (der Vater) es nicht merkt“,* darauf hergerichtet, uns zur Ergänzung zu verleiten, daß er gestorben ist. Die einzig sinnreiche Ergänzung ergibt sich aber wieder aus dem Onaniekomplex, wo es selbstverständlich ist, daß der Jüngling alles tut, um sein Sexualleben vor dem Vater zu verbergen. Erinnern Sie sich nun zum Schluß, daß wir die sogenannten Zahnreizträume stets auf Onanie und auf die gefürchtete Bestrafung für sie deuten mußten.

Sie sehen nun, wie dieser unverständliche Traum zustande gekommen ist. Durch die Herstellung einer sonderbaren und irreführenden Verdichtung, durch die Übergehung aller Gedanken aus der Mitte des latenten Gedankenganges und durch die Schaffung von mehrdeutigen Ersatzbildungen für die tiefsten und zeitlich entlegensten dieser Gedanken.

4) Wir haben schon wiederholt versucht, jenen nüchternen und banalen Träumen beizukommen, die nichts Unsinniges oder Befremdendes an sich tragen, bei denen sich aber die Frage erhebt: Wozu träumt man so gleichgültiges Zeug? Ich will also ein neues Beispiel dieser Art vorlegen, drei zusammengehörige, in einer Nacht vorgefallene Träume einer jungen Dame.

a) Sie geht durch die Halle ihres Hauses und stößt sich den Kopf blutig an dem tief herabhängenden Luster.

Keine Reminiszenz, nichts, was wirklich vorgefallen ist. Ihre Auskunft dazu leitet auf ganz andere Wege. „Sie wissen, wie stark mir die Haare ausgehen. Kind, hat die Mutter gestern zu mir gesagt, wenn das so weitergeht, wirst du einen Kopf bekommen wie einen Popo.“ Der Kopf steht also hier für das andere Körperende. Den Luster können wir ohne Nachhilfe symbolisch verstehen; alle der Verlängerung fähigen Gegenstände sind Symbole des männlichen Gliedes. Also handelt es sich um eine Blutung am unteren Körperende, die durch den Zusammenstoß mit dem Penis entsteht. Das könnte noch mehrdeutig sein; ihre weiteren Einfälle zeigen, daß es sich um den Glauben handelt, die Menstruationsblutung entstehe durch den Geschlechtsverkehr mit dem Mann, ein Stück der Sexualtheorie, das viele Gläubige unter den unreifen Mädchen hat.

b) Sie sieht im Weingarten eine tiefe Grube, von der sie weiß, daß sie durch Ausreißen eines Baumes entstanden ist. Dazu ihre Bemerkung, der Baum fehle ihr dabei. Sie meint, sie habe im Traum den Baum nicht gesehen, aber derselbe Wortlaut dient dem Ausdruck eines anderen Gedankens, der nun die symbolische Deutung vollends sicherstellt. Der Traum bezieht sich auf ein anderes Stück der infantilen Sexualtheorien, auf den Glauben, daß die Mädchen ursprünglich dasselbe Genitale hatten wie die Knaben und daß dessen spätere Gestaltung durch Kastration (Ausreißen eines Baumes) entstanden ist.

c) Sie steht vor ihrer Schreibtischlade, in der sie sich so gut auskennt, daß sie sofort weiß, wenn jemand darüber gekommen ist. Die Schreibtischlade ist wie jede Lade, Kiste, Schachtel, ein weibliches Genitale. Sie weiß, daß man die Anzeichen des Sexualverkehrs (wie sie meint, auch der Berührung) am Genitale erkennen kann, und hat sich lange vor solcher Überführung gefürchtet. Ich meine, der Akzent ist in all diesen drei Träumen auf das Wissen zu legen. Sie gedenkt der Zeit ihrer kindlichen Sexualforschung, auf deren Ergebnisse sie damals recht stolz war.

5) Wiederum ein Stückchen Symbolik. Aber diesmal muß ich die psychische Situation in einem kurzen Vorbericht voranstellen. Ein Herr, der mit einer Frau eine Liebesnacht verbracht hat, schildert seine Partnerin als eine jener mütterlichen Naturen, bei denen im Liebesverkehre mit dem Manne der Wunsch nach dem Kinde unwiderstehlich durchdringt. Die Verhältnisse jenes Zusammentreffens nötigen aber zu einer Vorsicht, durch welche der befruchtende Samenerguß vom weiblichen Schoß ferngehalten wird. Beim Erwachen aus dieser Nacht erzählt die Frau nachstehenden Traum:

Ein Offizier mit einer roten Kappe läuft ihr auf der Straße nach. Sie flieht vor ihm, läuft die Stiege hinauf, er immer nach. Atemlos erreicht sie ihre Wohnung und wirft die Türe hinter sich ins Schloß. Er bleibt draußen, und wie sie durchs Guckloch schaut, sitzt er draußen auf einer Bank und weint.

Sie erkennen wohl in der Verfolgung durch den Offizier mit der roten Kappe und in dem atemlosen Steigen die Darstellung des Geschlechtsaktes. Daß die Träumerin sich vor dem Verfolger verschließt, mag Ihnen als Beispiel der im Traum so häufig angewendeten Umkehrungen gelten, denn in Wirklichkeit hatte sich ja der Mann der Beendigung des Liebesaktes entzogen. Ebenso ist ihre Trauer auf den Partner verschoben, er ist es ja, der im Traume weint, womit gleichzeitig der Samenerguß angedeutet ist.

Sie werden gewiß einmal gehört haben, in der Psychoanalyse werde behauptet, daß alle Träume sexuelle Bedeutung haben. Nun sind Sie selbst in die Lage gekommen, sich über die Unkorrektheit dieses Vorwurfs ein Urteil zu bilden. Sie haben die Wunschträume kennengelernt, die von der Befriedigung der klarliegendsten Bedürfnisse, des Hungers, des Durstes, der Sehnsucht nach Freiheit handeln, die Bequemlichkeits- und Ungeduldsträume und ebenso rein habsüchtige und egoistische. Aber daß die stark entstellten Träume vorwiegend — wiederum nicht ausschließlich — sexuellen Wünschen Ausdruck geben, dürfen Sie allerdings als Ergebnis der psychoanalytischen Forschung im Gedächtnis behalten.

6) Ich habe ein besonderes Motiv, die Beispiele für die Symbolverwendung im Traume zu häufen. Ich habe mich bei unserem ersten Zusammentreffen darüber beklagt, wie schwierig die Demonstration und damit das Erwecken von Überzeugungen in der Unterweisung der Psychoanalyse sei, und Sie haben mir seither gewiß beigestimmt. Nun hängen aber die einzelnen Behauptungen der Psychoanalyse doch so innig zusammen, daß die Überzeugung sich leicht von einem Punkt her auf einen größeren Teil des Ganzen fortsetzen kann. Man könnte von der Psychoanalyse sagen, wer ihr den kleinen Finger gibt, den hält sie schon bei der ganzen Hand. Schon wem die Aufklärung der Fehlleistungen eingeleuchtet hat, der kann sich logischerweise dem Glauben an alles andere nicht mehr entziehen. Eine zweite ebenso zugängliche Stelle ist in der Traumsymbolik gegeben. Ich werde Ihnen den bereits publizierten Traum einer Frau aus dem Volke vorlegen, deren Mann Wachmann ist und die gewiß niemals etwas von Traumsymbolik und Psychoanalyse gehört hat. Urteilen Sie dann selbst, ob dessen Auslegung mit Hilfe von Sexualsymbolen willkürlich und gezwungen genannt werden kann.

„… Dann sei jemand in die Wohnung eingebrochen und sie habe angstvoll nach einem Wachmann gerufen. Dieser aber sei mit zwei ‚Pülchern‘ einträchtig in eine Kirche gegangen, zu der mehrere Stufen emporführten. Hinter der Kirche sei ein Berg gewesen und oben ein dichter Wald. Der Wachmann sei mit einem Helm, Ringkragen und Mantel versehen gewesen. Er habe einen braunen Vollbart gehabt. Die beiden Vaganten, die friedlich mit dem Wachmann gegangen seien, hätten sackartig aufgebundene Schürzen um die Lenden geschlungen gehabt. Von der Kirche habe zum Berge ein Weg geführt. Dieser sei beiderseits mit Gras und Gestrüpp verwachsen gewesen, das immer dichter wurde und auf der Höhe des Berges ein ordentlicher Wald geworden sei.“

Die verwendeten Symbole erkennen Sie ohne Mühe. Das männliche Genitale ist durch eine Dreiheit von Personen dargestellt, das weibliche durch eine Landschaft mit Kapelle, Berg und Wald. Wiederum begegnen Sie den Stufen als Symbol des Sexualaktes. Was im Traume ein Berg genannt wird, heißt auch in der Anatomie so, nämlich Mons Veneris, Schamberg.

7) Wiederum ein mittels Symboleinsetzung zu lösender Traum, dadurch bemerkenswert und beweiskräftig, daß der Träumer selbst alle Symbole übersetzt hat, obwohl er keinerlei theoretische Vorkenntnisse für die Traumdeutung mitbrachte. Dies Verhalten ist recht ungewöhnlich, und die Bedingungen dafür sind nicht genau bekannt.

„Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiß der Prater ist, denn man sieht die Rotunde, vor dieser einen kleineren Vorbau, an dem ein Fesselballon angebracht ist, der aber ziemlich schlaff scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich darüber, erklärt es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine große Platte von Blech ausgebreitet liegt. Sein Vater will sich ein großes Stück davon abreißen, sieht sich aber vorher um, ob es nicht jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braucht es doch nur dem Aufseher zu sagen, dann kann er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof führt eine Treppe in einen Schacht herunter, dessen Wände weich ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil. Am Ende dieses Schachtes ist eine längere Plattform und dann beginnt ein neuer Schacht …“

Der Träumer deutet selbst: Die Rotunde ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis, über dessen Schlaffheit ich zu klagen habe. Man darf also eingehender übersetzen, die Rotunde sei das — vom Kind regelmäßig zum Genitale gerechnete — Gesäß, der kleinere Vorbau der Hodensack. Im Traum fragt ihn der Vater, was das alles ist, d. h. nach Zweck und Verrichtung der Genitalien. Es liegt nahe, diesen Sachverhalt umzukehren, so daß er der fragende Teil wird. Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, muß man den Traumgedanken als Wunsch auffassen oder ihn etwa konditionell nehmen: „Wenn ich den Vater um sexuelle Aufklärung gebeten hätte.“ Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an anderer Stelle finden.

Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie symbolisch zu fassen, sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das „Blech“ für das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am Wortlaut des Traumes zu ändern. Der Träumer ist in das Geschäft des Vaters eingetreten und hat an den eher unkorrekten Praktiken, auf denen der Gewinn zum guten Teil beruht, gewaltigen Anstoß genommen. Daher dürfte die Fortsetzung des obigen Traumgedankens lauten: („Wenn ich ihn gefragt hätte), würde er mich betrogen haben, wie er seine Kunden betrügt.“ Für das Abreißen, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredlichkeit dient, gibt der Träumer selbst die zweite Erklärung, es bedeute die Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt, sondern stimmt auch sehr gut dazu, daß das Geheimnis der Onanie durch das Gegenteil ausgedrückt ist (man darf es ja offen tun). Es entspricht dann allen Erwartungen, daß die onanistische Tätigkeit wieder dem Vater zugeschoben wird, wie die Befragung in der ersten Traumszene. Den Schacht deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der Wände als Vagina. Daß das Herabsteigen wie sonst das Aufsteigen den Koitusverkehr in der Vagina beschreiben will, setze ich eigenmächtig ein.

Die Einzelheiten, daß auf den ersten Schacht eine längere Plattform folgt und dann ein neuer Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat eine Zeitlang koitiert, dann den Verkehr infolge von Hemmungen aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu können.

8) Die beiden nachstehenden Träume eines Fremden mit sehr polygamer Veranlagung teile ich ihnen als Beleg für die Behauptung mit, daß das eigene Ich in jedem Traume vorkommt, auch wo es sich für den manifesten Inhalt verborgen hat. Die Koffer in den Träumen sind Weibsymbole.

a) Er reist ab, sein Gepäck wird auf einem Wagen zur Bahn gebracht, viele Koffer aufgehäuft, darunter zwei große schwarze, wie Musterkoffer. Er sagt tröstend zu jemand: Nun, die fahren ja nur bis zum Bahnhof mit.

Er reist in Wirklichkeit mit sehr viel Gepäck, bringt aber auch sehr viel Geschichten von Frauen mit in die Behandlung. Die zwei schwarzen Koffer entsprechen zwei schwarzen Frauen, die gegenwärtig in seinem Leben die Hauptrolle spielen. Eine von ihnen wollte ihm nach Wien nachreisen; er hatte ihr auf meinen Rat telegraphisch abgesagt.

b) Eine Szene bei der Douane: Ein Mitreisender macht seinen Koffer auf und sagt, gleichgültig eine Zigarette rauchend: Da ist nichts drin. Der Zollbeamte scheint ihm zu glauben, greift aber noch einmal hinein und findet etwas ganz besonders Verbotenes. Der Reisende sagt dann resigniert: Da ist nichts zu machen. Er ist selbst der Reisende, ich der Zollbeamte. Er ist sonst sehr aufrichtig in seinen Bekenntnissen, hatte sich aber vorgenommen, mir eine neu angeknüpfte Beziehung zu einer Dame zu verschweigen, weil er mit Recht annehmen konnte, daß sie mir nicht unbekannt sei. Die peinliche Situation des Überführtwerdens verschiebt er auf eine fremde Person, so daß er selbst in diesem Traum nicht vorzukommen scheint.

9) Hier ein Beispiel für ein Symbol, das ich noch nicht erwähnt habe:

Er begegnet seiner Schwester in Begleitung von zwei Freundinnen, die selbst Schwestern sind. Er gibt beiden die Hand, der Schwester aber nicht.

Keine Anknüpfung an eine wirkliche Begebenheit. Seine Gedanken führen ihn vielmehr in eine Zeit, zu welcher ihm die Beobachtung zu denken gab, daß sich der Busen der Mädchen so spät entwickelt. Die beiden Schwestern sind also die Brüste, er möchte sie gerne mit der Hand begreifen, wenn es nur nicht seine Schwester wäre.

10) Hier ein Beispiel für die Todessymbolik im Traum:

Er geht mit zwei Personen, deren Namen er weiß, aber beim Erwachen vergessen hat, über einen sehr hohen, steilen eisernen Steg. Plötzlich sind die beiden weg und er sieht einen gespenstischen Mann mit Kappe und im Leinenanzug. Er fragt ihn, ob er der Telegraphenbote sei … Nein. Ob er der Fuhrmann sei? Nein. Er geht dann weiter, hat noch im Traume große Angst und setzt den Traum nach dem Erwachen mit der Phantasie fort, daß die eiserne Brücke plötzlich abbricht und er in den Abgrund stürzt.

Personen, bei denen man betont, daß sie unbekannt sind, daß man ihre Namen vergessen hat, sind meist sehr nahestehende. Der Träumer hat zwei Geschwister; wenn er diesen beiden den Tod gewünscht haben sollte, so wäre es nur gerecht, wenn ihn dafür die Todesangst heimsuchte. Zum Telegraphenboten bemerkt er, daß solche Leute immer Unheilsposten bringen. Es könnte auch nach der Uniform ein Laternenanzünder gewesen sein, der aber auch die Laternen auslöscht, also wie der Genius des Todes die Fackel verlöscht. Zum Fuhrmann assoziiert er das Uhlandsche Gedicht von König Karls Meerfahrt und erinnert an eine gefahrvolle Seefahrt mit zwei Genossen, auf welcher er die Rolle des Königs im Gedicht spielte. Zur Eisenbrücke fällt ihm ein Unfall der letzten Zeit ein und die dumme Redensart: Das Leben ist eine Kettenbrück’.

11) Als anderes Beispiel der Todesdarstellung mag der Traum gelten: Ein unbekannter Herr gibt eine schwarzgeränderte Visitkarte für ihn ab.

12) In mehrfacher Hinsicht wird Sie der folgende Traum interessieren, zu dessen Voraussetzungen allerdings auch ein neurotischer Zustand gehört.

Er fährt im Eisenbahnzug. Der Zug hält auf offenem Felde. Er meint, es steht ein Unfall bevor, man muß daran denken, sich zu flüchten, geht durch alle Abteile des Zuges und erschlägt alle, die ihm begegnen, Schaffner, Lokomotivführer usw.

Dazu die Erinnerung an die Erzählung eines Freundes. Auf einer Strecke in Italien wurde ein Wahnsinniger in einem Halbcoupé transportiert, aber aus Versehen ein Reisender zu ihm eingelassen. Der Verrückte erschlug den Mitreisenden. Er identifiziert sich also mit diesem Verrückten und begründet sein Anrecht darauf mit der Zwangsvorstellung, die ihn zeitweilig quält, daß er alle „Mitwisser beseitigen“ müsse. Dann findet er aber selbst eine bessere Motivierung, die zum Anlaß des Traumes führt. Er hat gestern im Theater das Mädchen wiedergesehen, das er heiraten wollte, von der er sich aber, weil sie ihm Grund zur Eifersucht gegeben, zurückgezogen hat. Bei der Intensität, zu welcher die Eifersucht bei ihm ansteigt, wäre er wirklich verrückt, wenn er die heiraten wollte. Das heißt: Er hält sie für so unverläßlich, daß er alle Leute, die ihm in den Weg kommen, aus Eifersucht erschlagen müßte. Das Gehen durch eine Reihe von Zimmern, hier von Abteilen, haben wir als Symbol des Verheiratetseins (Gegensatz zur Einehe) bereits kennengelernt.

Zum Halten des Zuges auf offenem Felde und zur Befürchtung eines Unfalles erzählt er: Als sich einmal auf einer Eisenbahnfahrt ein solches plötzliches Stehenbleiben außerhalb einer Station ereignete, erklärte eine mitreisende junge Dame, es stehe vielleicht ein Zusammenstoß bevor und da sei die zweckmäßigste Vorsicht, die Beine hoch zu heben. Dieses „die Beine hoch“ hatte aber auch eine Rolle in den vielen Spaziergängen und Ausflügen in die freie Natur gespielt, die er in der glücklichen ersten Liebeszeit mit jenem Mädchen unternommen hatte. Ein neues Argument dafür, daß er verrückt sein müßte, um sie jetzt zu heiraten. Daß ein Wunsch, so verrückt zu sein, bei ihm dennoch bestand, durfte ich nach meiner Kenntnis der Situation als gesichert annehmen.