XIV. VORLESUNG
Die Wunscherfüllung
Meine Damen und Herren! Soll ich Ihnen nochmals vorhalten, welchen Weg wir bisher zurückgelegt haben? Wie wir bei der Anwendung unserer Technik auf die Traumentstellung gestoßen sind, uns besonnen haben, ihr zunächst auszuweichen, und uns die entscheidenden Auskünfte über das Wesen des Traumes an den infantilen Träumen geholt haben? Wie wir dann, mit den Ergebnissen dieser Untersuchung ausgerüstet, die Traumentstellung direkt angegriffen und sie, ich hoffe es, auch schrittweise überwunden haben? Nun aber müssen wir uns sagen, was wir auf dem einen und auf dem anderen Weg gefunden, trifft nicht ganz zusammen. Es wird uns zur Aufgabe, beiderlei Ergebnisse zusammenzusetzen und gegeneinander auszugleichen.
Von beiden Seiten her hat sich uns ergeben, die Traumarbeit bestehe wesentlich in der Umsetzung von Gedanken in ein halluzinatorisches Erleben. Wie das geschehen kann, ist rätselhaft genug, aber es ist ein Problem der allgemeinen Psychologie, das uns hier nicht beschäftigen soll. Aus den Kinderträumen haben wir erfahren, die Traumarbeit beabsichtige die Beseitigung eines den Schlaf störenden seelischen Reizes durch eine Wunscherfüllung. Von den entstellten Träumen konnten wir nichts Ähnliches aussagen, ehe wir sie zu deuten verstanden. Unsere Erwartung ging aber von Anfang an dahin, die entstellten Träume unter dieselben Gesichtspunkte bringen zu können wie die infantilen. Die erste Erfüllung dieser Erwartung brachte uns die Einsicht, daß eigentlich alle Träume — die Träume von Kindern sind, mit dem infantilen Material, den kindlichen Seelenregungen und Mechanismen arbeiten. Nachdem wir die Traumentstellung für überwunden halten, müssen wir an die Untersuchung gehen, ob die Auffassung als Wunscherfüllungen auch für die entstellten Träume Geltung hat.
Wir haben erst kürzlich eine Reihe von Träumen der Deutung unterzogen, aber die Wunscherfüllung ganz außer Betracht gelassen. Ich bin überzeugt, daß sich Ihnen dabei wiederholt die Frage aufgedrängt hat: Wo bleibt denn die Wunscherfüllung, die angeblich das Ziel der Traumarbeit ist? Diese Frage ist bedeutsam; sie ist nämlich die Frage unserer Laienkritiker geworden. Wie Sie wissen, hat die Menschheit ein instinktives Abwehrbestreben gegen intellektuelle Neuheiten. Zu den Äußerungen desselben gehört, daß eine solche Neuheit sofort auf den geringsten Umfang reduziert, womöglich in ein Schlagwort komprimiert wird. Für die neue Traumlehre ist die Wunscherfüllung dies Schlagwort geworden. Der Laie stellt die Frage: Wo ist die Wunscherfüllung? Sofort, nachdem er gehört hat, daß der Traum eine Wunscherfüllung sein soll, und indem er sie stellt, beantwortet er sie ablehnend. Es fallen ihm sofort ungezählte eigene Traumerfahrungen ein, in denen sich Unlust bis zu schwerer Angst an das Träumen geknüpft hat, so daß ihm die Behauptung der psychoanalytischen Traumlehre recht unwahrscheinlich wird. Wir haben es leicht, ihm zu antworten, daß bei den entstellten Träumen die Wunscherfüllung nicht offenkundig sein kann, sondern erst gesucht werden muß, so daß sie vor der Deutung des Traumes nicht anzugeben ist. Wir wissen auch, daß die Wünsche dieser entstellten Träume verbotene, von der Zensur abgewiesene Wünsche sind, deren Existenz eben die Ursache der Traumentstellung, das Motiv für das Eingreifen der Traumzensur geworden ist. Aber dem Laienkritiker ist es schwer beizubringen, daß man vor der Deutung des Traumes nicht nach dessen Wunscherfüllung fragen darf. Er wird es doch immer wieder vergessen. Seine ablehnende Haltung gegen die Theorie der Wunscherfüllung ist eigentlich nichts anderes als eine Konsequenz der Traumzensur, ein Ersatz und ein Ausfluß der Ablehnung dieser zensurierten Traumwünsche.
Natürlich werden auch wir das Bedürfnis haben, uns zu erklären, daß es so viele Träume mit peinlichem Inhalt und besonders, daß es Angstträume gibt. Wir stoßen dabei zum erstenmal auf das Problem der Affekte im Traum, welches ein Studium für sich verdiente, uns aber leider nicht beschäftigen darf. Wenn der Traum eine Wunscherfüllung ist, so sollten peinliche Empfindungen im Traume unmöglich sein; darin scheinen die Laienkritiker recht zu haben. Es kommen aber dreierlei Komplikationen in Betracht, an welche diese nicht gedacht haben.
Erstens: es kann sein, daß es der Traumarbeit nicht voll gelungen ist, eine Wunscherfüllung zu schaffen, so daß von dem peinlichen Affekt der Traumgedanken ein Anteil für den manifesten Traum erübrigt wird. Die Analyse müßte dann zeigen, daß diese Traumgedanken noch weit peinlicher waren als der aus ihnen gestaltete Traum. Soviel läßt sich auch jedesmal nachweisen. Wir geben dann zu, die Traumarbeit hat ihren Zweck nicht erreicht, so wenig wie der Trinktraum auf den Durstreiz seine Absicht erreicht, den Durst zu löschen. Man bleibt durstig und muß erwachen, um zu trinken. Aber es war doch ein richtiger Traum, er hatte nichts von seinem Wesen aufgegeben. Wir müssen sagen: Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas. [Mögen die Kräfte auch fehlen: der Wille ist dennoch zu loben.] Die klar zu erkennende Absicht wenigstens bleibt lobenswert. Solche Fälle des Mißlingens sind kein seltenes Vorkommnis. Es wirkt dazu mit, daß es der Traumarbeit soviel schwerer gelingt, Affekte als Inhalte in ihrem Sinne zu verändern; die Affekte sind manchmal sehr resistent. So geschieht es denn, daß die Traumarbeit den peinlichen Inhalt der Traumgedanken zu einer Wunscherfüllung umgearbeitet hat, während sich der peinliche Affekt noch unverändert durchsetzt. In solchen Träumen paßt der Affekt dann gar nicht zum Inhalt, und unsere Kritiker können sagen, der Traum sei so wenig eine Wunscherfüllung, daß in ihm selbst ein harmloser Inhalt peinlich empfunden werden kann. Wir werden gegen diese unverständige Bemerkung einwenden, daß die Wunscherfüllungstendenz der Traumarbeit gerade an solchen Träumen am deutlichsten, weil isoliert, zum Vorschein kommt. Der Irrtum kommt daher, daß, wer die Neurosen nicht kennt, sich die Verknüpfung von Inhalt und Affekt als eine zu innige vorstellt und darum nicht fassen kann, daß ein Inhalt abgeändert wird, ohne daß die dazugehörige Affektäußerung mitverändert werde.
Ein zweites, weit wichtigeres und tiefer reichendes Moment, welches der Laie gleichfalls vernachlässigt, ist das folgende. Eine Wunscherfüllung müßte gewiß Lust bringen, aber es fragt sich auch, wem? Natürlich dem, der den Wunsch hat. Vom Träumer ist uns aber bekannt, daß er zu seinen Wünschen ein ganz besonderes Verhältnis unterhält. Er verwirft sie, zensuriert sie, kurz er mag sie nicht. Eine Erfüllung derselben kann ihm also keine Lust bringen, sondern nur das Gegenteil davon. Die Erfahrung zeigt dann, daß dieses Gegenteil, was noch zu erklären ist, in der Form der Angst auftritt. Der Träumer kann also in seinem Verhältnis zu seinen Traumwünschen nur einer Summation von zwei Personen gleichgestellt werden, die doch durch eine starke Gemeinsamkeit verbunden sind. Anstatt aller weiteren Ausführungen biete ich Ihnen ein bekanntes Märchen, in welchem Sie die nämlichen Beziehungen wiederfinden werden. Eine gute Fee verspricht einem armen Menschenpaar, Mann und Frau, die Erfüllung ihrer drei ersten Wünsche. Sie sind selig und nehmen sich vor, diese drei Wünsche sorgfältig auszuwählen. Die Frau läßt sich aber durch den Duft von Bratwürstchen aus der nächsten Hütte verleiten, sich ein solches Paar Würstchen herzuwünschen. Flugs sind sie auch da; das ist die erste Wunscherfüllung. Nun wird der Mann böse und wünscht in seiner Erbitterung, daß die Würste der Frau an der Nase hängen mögen. Das vollzieht sich auch, und die Würste sind von ihrem neuen Standort nicht wegzubringen, das ist nun die zweite Wunscherfüllung, aber der Wunsch ist der des Mannes; der Frau ist diese Wunscherfüllung sehr unangenehm. Sie wissen, wie es im Märchen weitergeht. Da die beiden im Grunde doch eines sind, Mann und Frau, muß der dritte Wunsch lauten, daß die Würstchen von der Nase der Frau weggehen mögen. Wir könnten dieses Märchen noch mehrmals in anderem Zusammenhange verwerten; hier diene es uns nur als Illustration der Möglichkeit, daß die Wunscherfüllung des einen zur Unlust für den anderen führen kann, wenn die beiden miteinander nicht einig sind.
Es wird uns nun nicht schwer werden, zu einem noch besseren Verständnis der Angstträume zu kommen. Wir werden nur noch eine Beobachtung verwerten und uns dann zu einer Annahme entschließen, für die sich mancherlei anführen läßt. Die Beobachtung ist, daß die Angstträume häufig einen Inhalt haben, welcher der Entstellung völlig entbehrt, sozusagen der Zensur entgangen ist. Der Angsttraum ist oft eine unverhüllte Wunscherfüllung, natürlich nicht die eines genehmen, sondern eines verworfenen Wunsches. An Stelle der Zensur ist die Angstentwicklung getreten. Während man vom infantilen Traum aussagen kann, er sei die offene Erfüllung eines zugelassenen Wunsches, vom gemeinen entstellten Traum, er sei die verkappte Erfüllung eines verdrängten Wunsches, taugt für den Angsttraum nur die Formel, daß er die offene Erfüllung eines verdrängten Wunsches sei. Die Angst ist das Anzeichen dafür, daß der verdrängte Wunsch sich stärker gezeigt hat als die Zensur, daß er seine Wunscherfüllung gegen dieselbe durchgesetzt hat oder durchzusetzen im Begriffe war. Wir begreifen, daß, was für ihn Wunscherfüllung ist, für uns, die wir auf der Seite der Traumzensur stehen, nur Anlaß zu peinlichen Empfindungen und zur Abwehr sein kann. Die dabei im Traum auftretende Angst ist, wenn Sie so wollen, Angst vor der Stärke dieser sonst niedergehaltenen Wünsche. Warum diese Abwehr in der Form der Angst auftritt, das kann man aus dem Studium des Traumes allein nicht erraten; man muß die Angst offenbar an anderen Stellen studieren.
Dasselbe, was für die unentstellten Angstträume gilt, dürfen wir auch für diejenigen annehmen, die ein Teil Entstellung erfahren haben, und für die sonstigen Unlustträume, deren peinliche Empfindungen wahrscheinlich Annährungen an die Angst entsprechen. Der Angsttraum ist gewöhnlich auch ein Wecktraum; wir pflegen den Schlaf zu unterbrechen, ehe der verdrängte Wunsch des Traumes seine volle Erfüllung gegen die Zensur durchgesetzt hat. In diesem Falle ist die Leistung des Traumes mißglückt, aber sein Wesen ist darum nicht verändert. Wir haben den Traum mit dem Nachtwächter oder Schlafwächter verglichen, der unseren Schlaf vor Störung behüten will. Auch der Nachtwächter kommt in die Lage, die Schlafenden zu wecken, wenn er sich nämlich zu schwach fühlt, die Störung oder Gefahr allein zu verscheuchen. Dennoch gelingt es uns manchmal, den Schlaf festzuhalten, selbst wenn der Traum bedenklich zu werden und sich zur Angst zu wenden beginnt. Wir sagen uns im Schlaf: Es ist doch nur ein Traum und schlafen weiter.
Wann sollte es geschehen, daß der Traumwunsch in die Lage kommt, die Zensur zu überwältigen? Die Bedingung hierfür kann ebensowohl von Seiten des Traumwunsches wie der Traumzensur erfüllt werden. Der Wunsch mag aus unbekannten Gründen einmal überstark werden; aber man gewinnt den Eindruck, daß häufiger das Verhalten der Traumzensur die Schuld an dieser Verschiebung des Kräfteverhältnisses trägt. Wir haben schon gehört, daß die Zensur in jedem einzelnen Falle mit verschiedener Intensität arbeitet, jedes Element mit einem anderen Grade von Strenge behandelt; jetzt möchten wir die Annahme hinzufügen, daß sie überhaupt recht variabel ist und gegen das nämliche anstößige Element nicht jedesmal die gleiche Strenge anwendet. Hat es sich so gefügt, daß sie sich einmal ohnmächtig gegen einen Traumwunsch fühlt, der sie zu überrumpeln droht, so bedient sie sich anstatt der Entstellung des letzten Mittels, das ihr bleibt, den Schlafzustand unter Angstentwicklung aufzugeben.
Dabei fällt uns auf, daß wir ja überhaupt noch nicht wissen, warum diese bösen, verworfenen Wünsche sich gerade zur Nachtzeit regen, um uns im Schlafe zu stören. Die Antwort kann kaum anders als in einer Annahme bestehen, die auf die Natur des Schlafzustandes zurückgreift. Bei Tage lastet der schwere Druck einer Zensur auf diesen Wünschen, der es ihnen in der Regel unmöglich macht, sich durch irgendeine Wirkung zu äußern. Zur Nachtzeit wird diese Zensur wahrscheinlich wie alle anderen Interessen des seelischen Lebens zu Gunsten des einzigen Schlafwunsches eingezogen oder wenigstens stark herabgesetzt. Diese Herabsetzung der Zensur zur Nachtzeit ist es dann, der die verbotenen Wünsche es verdanken, daß sie sich wiederum regen dürfen. Es gibt schlaflose Nervöse, die uns gestehen, daß ihre Schlaflosigkeit anfänglich eine gewollte war. Sie getrauten sich nicht einzuschlafen, weil sie sich vor ihren Träumen, also vor den Folgen dieser Verminderung der Zensur fürchteten. Daß diese Einziehung der Zensur darum doch keine grobe Unvorsichtigkeit bedeutet, sehen Sie wohl mit Leichtigkeit ein. Der Schlafzustand lähmt unsere Motilität; unsere bösen Absichten können, wenn sie sich auch zu rühren beginnen, doch nichts anderes machen als eben einen Traum, der praktisch unschädlich ist, und an diesen beruhigenden Sachverhalt mahnt die höchst vernünftige, zwar der Nacht, aber doch nicht dem Traumleben angehörige Bemerkung des Schläfers: Es ist ja nur ein Traum. Also lassen wir ihn gewähren und schlafen wir weiter.
Wenn Sie drittens sich an die Auffassung erinnern, daß der gegen seine Wünsche sich sträubende Träumer gleichzusetzen ist einer Summation von zwei gesonderten, aber irgendwie innig verbundenen Personen, so werden Sie eine andere Möglichkeit begreiflich finden, wie durch Wunscherfüllung etwas zustande kommen kann, was höchst unlustig ist, nämlich eine Bestrafung. Hier kann uns wiederum das Märchen von den drei Wünschen zur Erläuterung dienen: die Bratwürstchen auf dem Teller sind die direkte Wunscherfüllung der ersten Person, der Frau; die Würstchen an ihrer Nase sind die Wunscherfüllung der zweiten Person, des Mannes, aber gleichzeitig auch die Strafe für den törichten Wunsch der Frau. Bei den Neurosen werden wir dann die Motivierung des dritten Wunsches, der im Märchen allein noch übrigbleibt, wiederfinden. Solcher Straftendenzen gibt es nun viele im Seelenleben des Menschen; sie sind sehr stark, und man darf sie für einen Anteil der peinlichen Träume verantwortlich machen. Vielleicht sagen Sie jetzt, auf diese Weise bleibt von der gerühmten Wunscherfüllung nicht viel übrig. Aber bei näherem Zusehen werden Sie zugeben, daß Sie unrecht haben. Entgegen der später anzuführenden Mannigfaltigkeit dessen, was der Traum sein könnte, — und nach manchen Autoren auch ist, — ist die Lösung Wunscherfüllung-Angsterfüllung-Straferfüllung doch eine recht eingeengte. Dazu kommt, daß die Angst der direkte Gegensatz des Wunsches ist, daß Gegensätze einander in der Assoziation besonders nahe stehen und im Unbewußten, wie wir gehört haben, zusammenfallen. Ferner, daß die Strafe auch eine Wunscherfüllung ist, die der anderen, zensurierenden Person.
Im ganzen habe ich also Ihrem Einspruch gegen die Theorie der Wunscherfüllung keine Konzession gemacht. Wir sind aber verpflichtet, an jedem beliebigen entstellten Traum die Wunscherfüllung nachzuweisen, und wollen uns dieser Aufgabe gewiß nicht entziehen. Greifen wir auf jenen bereits gedeuteten Traum von den drei schlechten Theaterkarten für 1 fl. 50 zurück, an dem wir schon so manches gelernt haben. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an ihn. Eine Dame, der ihr Mann am Tage mitgeteilt, daß ihre nur um drei Monate jüngere Freundin Elise sich verlobt hat, träumt, daß sie mit ihrem Manne im Theater sitzt. Eine Seite des Parketts ist fast leer. Ihr Mann sagt ihr, die Elise und ihr Bräutigam hätten auch ins Theater gehen wollen, konnten aber nicht, da sie nur schlechte Karten bekamen, drei um einen Gulden fünfzig. Sie meint, es wäre auch kein Unglück gewesen. Wir hatten erraten, daß sich die Traumgedanken auf den Ärger, so früh geheiratet zu haben, und auf die Unzufriedenheit mit ihrem Mann beziehen. Wir dürfen neugierig sein, wie diese trüben Gedanken zu einer Wunscherfüllung umgearbeitet worden sind und wo sich deren Spur im manifesten Inhalt findet. Nun wissen wir schon, daß das Element „zu früh, voreilig“ durch die Zensur aus dem Traum eliminiert wurde. Das leere Parkett ist eine Anspielung darauf. Das rätselhafte „3 um einen Gulden fünfzig“ wird uns jetzt mit Hilfe der Symbolik, die wir seither gelernt haben, besser verständlich.1 Die 3 bedeutet wirklich einen Mann, und das manifeste Element ist leicht zu übersetzen: sich einen Mann für die Mitgift kaufen. („Einen zehnmal besseren hätte ich mir für meine Mitgift kaufen können.“) Das Heiraten ist offenbar ersetzt durch das Ins-Theater-Gehen. Das „zu früh Theaterkarten besorgen“ steht ja direkt an Stelle des zu früh Heiratens. Diese Ersetzung ist aber das Werk der Wunscherfüllung. Unsere Träumerin war nicht immer so unzufrieden mit ihrer frühen Heirat wie am Tage, da sie die Nachricht von der Verlobung ihrer Freundin erhielt. Sie war seinerzeit stolz darauf und fand sich vor der Freundin bevorzugt. Naive Mädchen sollen häufig nach ihrer Verlobung ihre Freude darüber verraten haben, daß sie nun bald zu allen bisher verbotenen Stücken ins Theater gehen, alles mitansehen dürfen. Das Stück Schaulust oder Neugierde, das hier zum Vorschein kommt, war gewiß anfänglich sexuelle Schaulust, dem Geschlechtsleben, besonders der Eltern, zugewendet, und wurde dann zu einem starken Motiv, das die Mädchen zum frühen Heiraten drängte. Auf solche Art wird der Theaterbesuch zu einem naheliegenden Andeutungsersatz für das Verheiratetsein. In dem gegenwärtigen Ärger über ihre frühe Heirat greift sie also auf jene Zeit zurück, in welcher ihr die frühe Heirat Wunscherfüllung war, weil sie ihre Schaulust befriedigte, und ersetzt, von dieser alten Wunschregung geleitet, das Heiraten durch das Ins-Theater-Gehen.
Wir können sagen, daß wir uns für den Nachweis einer versteckten Wunscherfüllung nicht gerade das bequemste Beispiel herausgesucht haben. In analoger Weise müßten wir bei anderen entstellten Träumen verfahren. Ich kann das vor Ihnen nicht tun und will bloß die Überzeugung aussprechen, daß es überall gelingen wird. Aber ich will bei diesem Punkte der Theorie noch länger verweilen. Die Erfahrung hat mich belehrt, daß er einer der gefährdetsten der ganzen Traumlehre ist und daß viele Widersprüche und Mißverständnisse an ihn anknüpfen. Außerdem werden Sie vielleicht noch unter dem Eindruck stehen, daß ich bereits ein Stück meiner Behauptung zurückgenommen, indem ich äußerte, der Traum sei ein erfüllter Wunsch oder das Gegenteil davon, eine verwirklichte Angst oder Bestrafung, und werden meinen, es sei die Gelegenheit, mir weitere Einschränkungen abzunötigen. Ich habe auch den Vorwurf gehört, daß ich Dinge, die mir selbst evident scheinen, zu knapp und darum nicht überzeugend genug darstelle.
Wenn jemand in der Traumdeutung so weit mit uns gegangen ist und alles angenommen hat, was sie bisher gebracht, so macht er nicht selten bei der Wunscherfüllung halt und fragt: Zugegeben, daß der Traum jedesmal einen Sinn hat und daß dieser Sinn durch die psychoanalytische Technik aufgedeckt werden kann, warum muß dieser Sinn aller Evidenz zum Trotze immer wieder in die Formel der Wunscherfüllung gepreßt werden? Warum soll der Sinn dieses nächtlichen Denkens nicht so mannigfaltig sein können wie der des Denkens bei Tage, also der Traum das eine Mal einem erfüllten Wunsch entsprechen, das andere Mal, wie Sie selbst sagen, dem Gegenteil davon, einer verwirklichten Befürchtung, dann aber auch einen Vorsatz ausdrücken können, eine Warnung, eine Überlegung mit ihrem Für und Wider, oder einen Vorwurf, eine Gewissensmahnung, einen Versuch, sich für eine bevorstehende Leistung vorzubereiten usw? Warum aber gerade immer nur einen Wunsch oder höchstens noch sein Gegenteil?
Man könnte meinen, eine Differenz in diesem Punkte sei nicht wichtig, wenn man sonst einig ist. Genug, daß wir den Sinn des Traumes und die Wege, ihn zu erkennen, aufgefunden; es tritt dagegen zurück, wenn wir diesen Sinn zu enge bestimmt haben sollten; aber es ist nicht so. Ein Mißverständnis in diesem Punkte trifft das Wesen unserer Erkenntnis vom Traum und gefährdet dessen Wert für das Verständnis der Neurose. Auch ist jene Art von Entgegenkommen, die im kaufmännischen Leben als „Kulanz“ geschätzt wird, im wissenschaftlichen Betrieb nicht an ihrem Platze und eher schädlich.
Meine erste Antwort auf die Frage, warum der Traum nicht im angegebenen Sinn vieldeutig sein soll, lautet wie gewöhnlich in solchen Fällen: Ich weiß nicht, warum es nicht so sein soll. Ich hätte nichts dagegen. Meinetwegen sei es so. Nur eine Kleinigkeit widersetzt sich dieser breiteren und bequemeren Auffassung des Traumes, daß es nämlich in Wirklichkeit nicht so ist. Meine zweite Antwort wird betonen, daß die Annahme, der Traum entspreche mannigfaltigen Denkformen und intellektuellen Operationen, mir selbst nicht fremd ist. Ich habe einmal in einer Krankengeschichte einen Traum berichtet, der drei Nächte hintereinander auftrat und dann nicht mehr, und habe dies Verhalten damit erklärt, daß der Traum einem Vorsatz entsprach, der nicht wiederzukehren brauchte, nachdem er ausgeführt worden war. Später habe ich einen Traum veröffentlicht, der einem Geständnis entsprach. Wie kann ich also doch widersprechen und behaupten, daß der Traum immer nur ein erfüllter Wunsch sei?
Ich tue das, weil ich ein einfältiges Mißverständnis nicht zulassen will, welches uns die Frucht unserer Bemühung um den Traum kosten kann, ein Mißverständnis, das den Traum mit den latenten Traumgedanken verwechselt und von ihm etwas aussagt, was einzig und allein zu den letzteren gehört. Es ist nämlich ganz richtig, daß der Traum all das vertreten und durch das ersetzt werden kann, was wir vorhin aufgezählt haben: einen Vorsatz, eine Warnung, Überlegung, Vorbereitung, einen Lösungsversuch einer Aufgabe usw. Aber wenn sie richtig zusehen, erkennen Sie, daß dies alles nur von den latenten Traumgedanken gilt, die in den Traum umgewandelt worden sind. Sie erfahren aus den Deutungen der Träume, daß das unbewußte Denken der Menschen sich mit solchen Vorsätzen, Vorbereitungen, Überlegungen usw. beschäftigt, aus denen dann die Traumarbeit die Träume macht. Wenn Sie sich für die Traumarbeit derzeit nicht interessieren, für die unbewußte Denkarbeit des Menschen aber sehr interessieren, dann eliminieren Sie die Traumarbeit und sagen von dem Traum praktisch ganz richtig aus, er entspreche einer Warnung, einem Vorsatz u. dgl. In der psychoanalytischen Tätigkeit trifft dieser Fall oft zu: Man strebt meist nur danach, die Traumform wieder zu zerstören und die latenten Gedanken, aus denen der Traum geworden ist, an seiner statt in den Zusammenhang einzufügen.
So ganz nebenbei erfahren wir also aus der Würdigung der latenten Traumgedanken, daß alle die genannten, hochkomplizierten seelischen Akte unbewußt vor sich gehen können, ein ebenso großartiges wie verwirrendes Resultat!
Aber um zurückzukehren, Sie haben nur recht, wenn Sie sich klarmachen, daß Sie sich einer abgekürzten Redeweise bedient haben, und wenn Sie nicht glauben, daß Sie jene angeführte Mannigfaltigkeit auf das Wesen des Traumes beziehen müssen. Wenn Sie vom „Traum“ sprechen, so müssen Sie entweder den manifesten Traum meinen, d. i. das Produkt der Traumarbeit, oder höchstens noch die Traumarbeit selbst, d. i. jenen psychischen Vorgang, der aus den latenten Traumgedanken den manifesten Traum formt. Jede andere Verwendung des Wortes ist Begriffsverwirrung, die nur Unheil stiften kann. Zielen Sie mit ihren Behauptungen auf die latenten Gedanken hinter dem Traum, so sagen Sie es direkt und verhüllen Sie nicht das Problem des Traumes durch die lockere Ausdrucksweise, deren Sie sich bedienen. Die latenten Traumgedanken sind der Stoff, den die Traumarbeit zum manifesten Traum umbildet. Warum wollen Sie durchaus den Stoff mit der Arbeit verwechseln, die ihn formt? Haben Sie dann etwas vor jenen voraus, die nur das Produkt der Arbeit kannten und sich nicht erklären konnten, woher es stammt und wie es gemacht wird?
Das einzig Wesentliche am Traum ist die Traumarbeit, die auf den Gedankenstoff eingewirkt hat. Wir haben kein Recht, uns in der Theorie über sie hinwegzusetzen, wenn wir sie auch in gewissen praktischen Situationen vernachlässigen dürfen. Die analytische Beobachtung zeigt denn auch, daß die Traumarbeit sich nie darauf beschränkt, diese Gedanken in die Ihnen bekannte archaische oder regressive Ausdrucksweise zu übersetzen. Sondern sie nimmt regelmäßig etwas hinzu, was nicht zu den latenten Gedanken des Tages gehört, was aber der eigentliche Motor der Traumbildung ist. Diese unentbehrliche Zutat ist der gleichfalls unbewußte Wunsch, zu dessen Erfüllung der Trauminhalt umgebildet wird. Der Traum mag also alles mögliche sein, insoweit Sie nur die durch ihn vertretenen Gedanken berücksichtigen, Warnung, Vorsatz, Vorbereitung usw.; er ist immer auch die Erfüllung eines unbewußten Wunsches, und er ist nur dies, wenn Sie ihn als Ergebnis der Traumarbeit betrachten. Ein Traum ist also auch nie ein Vorsatz, eine Warnung schlechtweg, sondern stets ein Vorsatz u. dgl., mit Hilfe eines unbewußten Wunsches in die archaische Ausdrucksweise übersetzt und zur Erfüllung dieser Wünsche umgestaltet. Der eine Charakter, die Wunscherfüllung, ist der konstante; der andere mag variieren; er kann seinerseits auch ein Wunsch sein, so daß der Traum einen latenten Wunsch vom Tage mit Hilfe eines unbewußten Wunsches als erfüllt darstellt.
Ich verstehe das alles sehr gut, aber ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, es auch für Sie verständlich zu machen. Auch habe ich Schwierigkeiten, es Ihnen zu beweisen. Das geht einerseits nicht ohne die sorgfältige Analyse vieler Träume, und anderseits ist dieser heikelste und bedeutsamste Punkt unserer Auffassung des Traumes nicht ohne Beziehung auf Späteres überzeugend darzustellen. Können Sie es überhaupt glauben, daß man bei dem innigen Zusammenhang aller Dinge sehr tief in die Natur des einen eindringen kann, ohne sich um andere Dinge von ähnlicher Natur bekümmert zu haben? Da wir von den nächsten Verwandten des Traumes, von den neurotischen Symptomen, noch nichts wissen, müssen wir uns auch hier bei dem Erreichten bescheiden. Ich will nur noch ein Beispiel vor Ihnen erläutern und eine neue Betrachtung anstellen.
Nehmen wir wieder jenen Traum vor, zu dem wir schon mehrmals zurückgekehrt sind, den Traum von den 3 Theaterkarten für 1 fl. 50. Ich kann Ihnen versichern, daß ich ihn zuerst absichtslos als Beispiel aufgegriffen habe. Die latenten Traumgedanken kennen Sie. Ärger, daß sie sich mit dem Heiraten so beeilt hatte, bei der Nachricht, daß ihre Freundin sich erst jetzt verlobt hat; Geringschätzung ihres Mannes, die Idee, daß sie einen besseren bekommen, wenn sie nur gewartet hätte. Den Wunsch, der aus diesen Gedanken einen Traum gemacht hat, kennen wir auch bereits, es ist die Schaulust, ins Theater gehen zu können, sehr wahrscheinlich eine Abzweigung der alten Neugierde, endlich einmal zu erfahren, was denn vorgeht, wenn man verheiratet ist. Diese Neugierde richtet sich bei Kindern bekanntlich regelmäßig auf das Sexualleben der Eltern, ist also eine infantile, und soweit sie später noch vorhanden ist, eine mit ihren Wurzeln ins Infantile reichende Triebregung. Aber zur Erweckung dieser Schaulust gab die Nachricht vom Tage keinen Anlaß, bloß zum Ärger und zur Reue. Zu den latenten Traumgedanken gehörte diese Wunschregung zunächst nicht, und wir konnten das Ergebnis der Traumdeutung in die Analyse einreihen, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen. Der Ärger war auch an sich nicht traumfähig; ein Traum konnte aus den Gedanken: Es war ein Unsinn, so früh zu heiraten, nicht eher werden, als bis von ihnen aus der alte Wunsch, endlich einmal zu sehen, was beim Heiraten vorgeht, erweckt worden war. Dann formte dieser Wunsch den Trauminhalt, indem er das Heiraten durch Ins-Theater-Gehen ersetzte, und gab ihm die Form einer früheren Wunscherfüllung: So, ich darf ins Theater gehen und alles Verbotene ansehen und du darfst es nicht; ich bin verheiratet und du mußt warten. Auf solche Weise wurde die gegenwärtige Situation in ihr Gegenteil verwandelt, ein alter Triumph an die Stelle der rezenten Niederlage gesetzt. Nebenbei eine Schaulustbefriedigung mit einer egoistischen Konkurrenzbefriedigung verquickt. Diese Befriedigung bestimmt nun den manifesten Trauminhalt, in dem es wirklich heißt, daß sie im Theater sitzt, während die Freundin nicht Einlaß finden konnte. Als unpassende und unverständliche Modifikation sind dieser Befriedigungssituation jene Stücke des Trauminhalts aufgesetzt, hinter welchen sich die latenten Traumgedanken noch verbergen. Die Traumdeutung hat von allem abzusehen, was zur Darstellung der Wunscherfüllung dient, und aus jenen Andeutungen die peinlichen latenten Traumgedanken wiederherzustellen.
Die eine Betrachtung, die ich vorbringen will, soll Ihre Aufmerksamkeit auf die jetzt in den Vordergrund gerückten latenten Traumgedanken einstellen. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß sie erstens dem Träumer unbewußt, zweitens vollkommen verständig und zusammenhängend sind, so daß sie sich als begreifliche Reaktionen auf den Traumanlaß verstehen lassen, drittens, daß sie den Wert einer beliebigen seelischen Regung oder intellektuellen Operation haben können. Ich werde diese Gedanken jetzt strenger als vorhin „Tagesreste“ heißen, der Träumer mag sich zu ihnen bekennen oder nicht. Ich sondere jetzt Tagesreste und latente Traumgedanken, indem ich im Einklang mit unserem früheren Gebrauch als latente Traumgedanken alles bezeichne, was wir bei der Deutung des Traumes erfahren, während die Tagesreste nur ein Teil der latenten Traumgedanken sind. Dann geht unsere Auffassung eben dahin, zu den Tagesresten ist etwas hinzugekommen, etwas, was auch dem Unbewußten angehörte, eine starke, aber verdrängte Wunschregung, und diese allein ist es, die die Traumbildung ermöglicht hat. Die Einwirkung dieser Wunschregung auf die Tagesreste schafft den weiteren Anteil der latenten Traumgedanken, jenen, der nicht mehr rationell und aus dem Wachleben begreiflich erscheinen muß.
Für das Verhältnis der Tagesreste zu dem unbewußten Wunsch habe ich mich eines Vergleiches bedient, den ich hier nur wiederholen kann. Bei jeder Unternehmung bedarf es eines Kapitalisten, der den Aufwand bestreitet, und eines Unternehmers, der die Idee hat und sie auszuführen versteht. Die Rolle des Kapitalisten spielt für die Traumbildung immer nur der unbewußte Wunsch; er gibt die psychische Energie für die Traumbildung ab; der Unternehmer ist der Tagesrest, der über die Verwendung dieses Aufwandes entscheidet. Nun kann der Kapitalist selbst die Idee und die Sachkenntnis haben oder der Unternehmer selbst Kapital besitzen. Das vereinfacht die praktische Situation, erschwert aber ihr theoretisches Verständnis. In der Volkswirtschaft wird man immer wieder die eine Person in ihre beiden Aspekte als Kapitalist und als Unternehmer zerlegen und somit die Grundsituation, von der unser Vergleich ausgegangen ist, wiederherstellen. Bei der Traumbildung kommen dieselben Variationen vor, deren weitere Verfolgung ich Ihnen überlasse.
Weiter können wir hier nicht gehen, denn Sie sind wahrscheinlich schon längst durch ein Bedenken gestört worden, das angehört zu werden verdient. Sind die Tagesreste, fragen Sie, wirklich in demselben Sinne unbewußt wie der unbewußte Wunsch, der hinzukommen muß, um sie traumfähig zu machen? Sie ahnen richtig. Hier liegt der springende Punkt der ganzen Sache. Sie sind nicht unbewußt in demselben Sinne. Der Traumwunsch gehört einem anderen Unbewußten an, jenem, das wir als infantiler Herkunft, mit besonderen Mechanismen ausgestattet, erkannt haben. Es wäre durchaus angebracht, diese beiden Weisen des Unbewußten durch verschiedene Bezeichnungen voneinander zu sondern. Aber wir wollen doch lieber damit warten, bis wir uns mit dem Erscheinungsgebiet der Neurosen vertraut gemacht haben. Hält man uns doch das eine Unbewußte als phantastisch vor; was wird man erst sagen, wenn wir bekennen, daß wir erst bei zweierlei Unbewußtem unser Auslangen finden?
Brechen wir hier ab. Sie haben wiederum nur Unvollständiges gehört; aber ist es nicht hoffnungsvoll zu denken, daß dieses Wissen eine Fortsetzung hat, die entweder wir selbst oder andere nach uns zutage fördern werden? Und haben wir selbst nicht Neues und Überraschendes genug erfahren?
- Eine andere naheliegende Deutung dieser 3 bei der kinderlosen Frau erwähne ich nicht, weil diese Analyse kein Material hierfür brachte.↩