Abteilung X.
Über die Wunder.
Abschnitt I.
Um diese Grundsätze auf ein Beispiel anzuwenden, so gibt es keine Art von Folgerungen, die gebräuchlicher, üblicher und für das Leben notwendiger ist, als die, welche sich von dem Zeugnis der Menschen und den Berichten der Augenzeugen und Zuschauer ableitet. Man kann vielleicht bestreiten, dass diese Art von Folgerung auf die Beziehung von Ursachen und Wirkung sich stütze und ich will über das Wort nicht streiten. Es genügt die Bemerkung, dass unsere Gewissheit in all diesen Fällen sich nur aus dem Grundsatz ableitet, dass menschliches Zeugnis von uns als wahr befunden worden, und die Berichte der Zeugen gemeinhin mit den Tatsachen übereingestimmt haben. Da es ein allgemeiner Grundsatz ist, dass die Dinge keine wahrnehmbare Verknüpfung mit einander haben, und dass alle Schlüsse von dem Einen auf das Andere sich lediglich auf die Erfahrung von deren regelmäßigen und beständigen Verbindung stützt, so kann man offenbar keine Ausnahme von diesem Grundsatze zugunsten des menschlichen Zeugnisses machen, dessen Verknüpfung mit einem andern Umstande an sich selbst so wenig wie bei andern Beispielen notwendig ist. Wäre das Gedächtnis nicht bis zu einem gewissen Grade treu; wären die Menschen nicht durchschnittlich der Wahrheit und den Grundsätzen der Ehrlichkeit zugetan; schämten sie sich nicht, auf einer Lüge entdeckt zu werden; wäre dies Alles nicht durch die Erfahrung als Eigenschaften der menschlichen Natur erkannt, so würde man nicht das geringste Gewicht auf menschliches Zeugnis legen. Ein Irrsinniger oder als lügnerisch und niederträchtig bekannter Mensch findet niemals Glauben.
Und da die Gewissheit, die von Zeugnissen und Berichten abgeleitet ist, sich auf frühere Erfahrungen stützt, so wechselt sie mit dieser Erfahrung und gilt entweder als voll bewiesen oder wahrscheinlich, je nachdem die Verbindung zwischen einer Art von Berichten und einer Art von Tatsachen beständig oder wechselnd befunden worden ist. Man muss bei allen Urteilen dieser Art eine große Zahl von Umständen berücksichtigen, und der letzte Maasstab, nach dem alle darüber entstehenden Streitigkeiten zu entscheiden sind, wird immer der Erfahrung und Beobachtung entnommen. Wo diese Erfahrung nicht ganz gleichförmig ist, besteht immer ein unvermeidlicher Gegensatz in unsern Urteilen, ein Kampf und eine gegenseitige Aufhebung der Gründe, wie bei jeder andern Art von Beweisen. Man schwankt oft bei den Berichten Anderer, man erwägt die gegenseitigen Umstände, welche den Zweifel und die Ungewissheit veranlassen. Findet sich ein Übergewicht auf der einen Seite, so neigt man dahin, aber immer mit einer der Stärke des Gegners entsprechenden mindern Sicherheit.
In dem vorliegenden Falle entspringt der Gegensatz der Beweise aus verschiedenen Gründen: aus dem Widerspruch entgegengesetzter Zeugnisse; aus dem Charakter und der Zahl der Zeugen; aus der Art, wie sie ihr Zeugnis überliefern, und aus der Verbindung all dieser Umstände. Wir schöpfen in Bezug auf eine Tatsache Verdacht, wenn die Zeugen sich widersprechen; wenn es nur Wenige und von zweifelhaftem Charakter sind; wenn sie einen Vorteil von ihrer Aussage erwarten; wenn sie ihr Zeugnis zaudernd oder mit zu heftigen Beteuerungen ablegen. Es gibt auch noch andere besondere Umstände, welche die Kraft eines Beweises, der sich auf menschliches Zeugnis stützt, vermindern oder vernichten.