§ 37. Die Zeit als Universalform aller egologischen Genesis
Die Wesensgesetze der Kompossibilität (im Faktum Regeln des Miteinander-zugleich-oder-folgend-zu-Sein und -sein-zu-Können) sind in einem weitesten Sinne Gesetze der Kausalität — Gesetze für ein Wenn und So. Doch ist es hier besser, den vorurteilsbelasteten Ausdruck Kausalität zu vermeiden und in der transzendentalen Sphäre (wie in der rein-psychologischen) von Motivation zu sprechen. Das Universum der Erlebnisse, die den „reellen“ Seinsgehalt des transzendentalen Ego ausmachen, ist ein kompossibles nur in der universalen Einheitsform des Strömens, in welche alle Einzelheiten selbst als darin strömende sich einordnen. Also schon diese allgemeinste Form aller Sonderformen von konkreten Erlebnissen und den in ihrem Strömen selbst strömend konstituierten Gebilden ist eine Form allverknüpfender und in jeder Einzelheit insonderheit waltender Motivation, die wir auch mit ansprechen können als eine formale Gesetzmäßigkeit einer universalen Genesis, der gemäß sich immer wieder in einer gewissen noetisch-noematischen Formstruktur strömender Gegebenheitsweisen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins konstituieren. Aber innerhalb dieser Form verläuft das Leben als ein motivierter Gang besonderer konstituierender Leistungen mit vielfältigen besonderen Motivationen und Motivationssystemen, die nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Genesis eine Einheit der universalen Genesis des Ego herstellen. Das Ego konstituiert sich für sich selbst sozusagen in der Einheit einer Geschichte. Wenn wir gesagt haben, daß in der Konstitution des Ego alle Konstitutionen aller für es seienden Gegenständlichkeiten, immanenter wie transzendenter, idealer wie realer, beschlossen sind, so ist jetzt beizufügen, daß die konstitutiven Systeme, durch die für das Ego die und jene Gegenstände und Gegenstandskategorien sind, selbst nur im Rahmen einer gesetzmäßigen Genesis möglich sind. Zugleich sind sie dabei gebunden durch die universale genetische Form, die das konkrete Ego (die Monade) als Einheit, als in ihrem besonderen Seinsgehalt kompossibel möglich macht. Daß für mich eine Natur ist, eine Kulturwelt, eine Menschenwelt mit ihren sozialen Formen usw., besagt, daß Möglichkeiten entsprechender Erfahrungen für mich bestehen — als für mich jederzeit ins Spiel zu setzende, in gewissem synthetischen Stil frei fortzuführende, ob ich gerade solche Gegenstände wirklich erfahre oder nicht; in weiterer Folge, daß ihnen entsprechende andere Bewußtseinsmodi, vage Meinungen und dgl., Möglichkeiten für mich sind und daß ihnen auch Möglichkeiten zugehören, sie durch Erfahrungen vorgezeichneter Typik zu erfüllen oder zu enttäuschen. Darin liegt eine fest ausgebildete Habitualität — eine aus einer gewissen, unter Wesensgesetzen stehenden Genesis erworbene.
Man wird hier an die altbekannten Probleme des psychologischen Ursprungs der Raumvorstellung, der Zeitvorstellung, Dingvorstellung, Zahlvorstellung usw. erinnert. In der Phänomenologie treten sie als transzendentale und natürlich mit dem Sinn intentionaler Probleme auf, und zwar als eingeordnet den Problemen der universalen Genesis.
Sehr schwierig sind die Zugänge zu der letzten Allgemeinheit eidetisch-phänomenologischer Problematik, und somit auch einer letzten Genesis. Der anfangende Phänomenologe ist unwillkürlich durch seinen exemplarischen Ausgang von sich selbst gebunden. Er findet sich transzendental als das Ego, und dann als ein Ego überhaupt vor, das bewußtseinsmäßig schon eine Welt, eine Welt von unserem allbekannten ontologischen Typus hat, mit Natur, mit Kultur (Wissenschaften, schöner Kunst, Technik usw.). mit Personalitäten höherer Ordnung (Staat, Kirche) usw. Die zunächst ausgebildete Phänomenologie ist bloß statische, ihre Deskriptionen sind analog den naturhistorischen, die den einzelnen Typen nachgehen und sie allenfalls ordnend systematisieren. Fragen der universalen Genesis und der über die Zeitformung hinausgehenden genetischen Struktur des Ego in seiner Universalität bleiben noch fern, wie sie ja in der Tat höherstufige sind. Aber selbst wenn sie aufgeworfen werden, so geschieht es in einer Bindung. Denn zunächst wird sich auch die Wesensbetrachtung an ein Ego überhaupt halten in der Bindung, daß für es schon eine konstituierte Welt ist. Auch das ist eine notwendige Stufe, von der aus man erst durch Freilegung der Gesetzesformen der ihr zugehörigen Genesis die Möglichkeiten für eine eidetische allgemeinste Phänomenologie erschauen kann. In ihr variiert sich das Ego so frei, daß es also nicht einmal daran festhält, als ideale, aber bindende Voraussetzung, daß eine Welt der uns selbstverständlichen ontologischen Struktur für es wesensmäßig konstituiert ist.