§ 42. Exposition des Problems der Fremderfahrung in Gegenstellung gegen den Einwand des Solipsismus
Knüpfen wir unsere neuen Meditationen an einen, wie es scheinen möchte, schwerwiegenden Einwand. Nichts Geringeres betrifft er als den Anspruch der transzendentalen Phänomenologie, schon Transzendentalphilosophie zu sein, also in Form einer im Rahmen des transzendental reduzierten Ego sich bewegenden konstitutiven Problematik und Theorie die transzendentalen Probleme der objektiven Welt lösen zu können. Wenn ich, das meditierende Ich, mich durch die phänomenologische epoché auf mein absolutes transzendentales Ego reduziere, bin ich dann nicht zum solus ipse geworden, und bleibe ich es nicht, solange ich unter dem Titel Phänomenologie konsequente Selbstauslegung betreibe? Wäre also eine Phänomenologie, die Probleme objektiven Seins lösen und schon als Philosophie auftreten wollte, nicht als transzendentaler Solipsismus zu brandmarken?
Überlegen wir näher. Die transzendentale Reduktion bindet mich an den Strom meiner reinen Bewußtseinserlebnisse und an die durch ihre Aktualitäten und Potentialitäten konstituierten Einheiten. Es scheint nun doch selbstverständlich, daß solche Einheiten von meinem Ego unabtrennbar sind und somit zu seiner Konkretion selbst gehören.
Aber wie steht es dann mit anderen Ego's, die doch nicht bloße Vorstellung und Vorgestelltes in mir sind, synthetische Einheiten möglicher Bewährung in mir, sondern sinngemäß eben Andere. Haben wir also dem transzendentalen Realismus nicht Unrecht getan? Es mag ihm an phänomenologischer Grundlegung fehlen, aber im Prinzipiellen behält er Recht insofern, als er einen Weg von der Immanenz des Ego zur Transzendenz des Andern sucht. Können wir als Phänomenologen anders als dem nachgehend sagen, die im Ego immanent konstituierte Natur und Welt überhaupt habe hinter sich allererst die an sich seiende Welt selbst, zu der eben der Weg erst zu suchen sei; und somit sagen: Schon die Frage der Möglichkeit wirklich transzendenter Erkenntnis, vor allem der Möglichkeit, wie ich aus meinem absoluten Ego zu anderen Ego's komme, die doch als andere nicht wirklich in mir, sondern in mir nur bewußte sind, sei rein phänomenologisch nicht zu stellen. Ist es nicht von vornherein selbstverständlich, daß mein transzendentales Erkenntnisfeld über meine transzendentale Erfahrungssphäre und das in ihr synthetisch Beschlossene nicht hinausreicht — selbstverständlich, daß das alles in eins durch mein eigenes transzendentales Ego bezeichnet und erschöpft ist?
Indessen vielleicht ist doch in solchen Gedanken nicht alles in Ordnung. Ehe man sich für sie und die in ihnen verwerteten „Selbstverständlichkeiten“ entscheidet und nun gar sich in dialektische Argumentationen und in „metaphysisch“ sich nennende Hypothesen einläßt, deren vermeinte Möglichkeit sich vielleicht als vollkommener Widersinn herausstellt, dürfte es doch angemessener sein, zunächst die sich hier mit dem alter ego anzeigende Aufgabe der phänomenologischen Auslegung in konkreter Arbeit systematisch anzugreifen und durchzuführen. Wir müssen uns doch Einblick verschaffen in die explizite und implizite Intentionalität, in der sich auf dem Boden unseres transzendentalen Ego das alter ego bekundet und bewährt, wie, in welchen Intentionalitäten, in welchen Synthesen, in welchen Motivationen der Sinn anderes Ego sich in mir gestaltet und unter den Titeln einstimmiger Fremderfahrung sich als seiend, und in seiner Weise sogar als selbstda sich bewährt. Diese Erfahrungen und ihre Leistungen sind ja transzendentale Tatsachen meiner phänomenologischen Sphäre — kann ich wo anders her als durch ihre Befragung den Sinn seiender Anderer allseitig auslegen?