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§ 58. Problemgliederung der intentionalen Analytik der höheren intersubjektiven Gemeinschaften. Ich und Umwelt

Die Konstitution des Menschentumes bzw. derjenigen Gemeinschaft, die zum vollen Wesen desselben gehört, ist mit dem bisherigen noch nicht abgeschlossen. Aber verständlich ist sehr leicht, im Ausgange von der Gemeinschaft in dem zuletzt gewonnenen Sinne, die Möglichkeit von Ich-Akten, die durch das Medium der appräsentierenden Fremderfahrung in das andere Ich hineinreichen, ja von spezifisch ichlich-personalen, die den Charakter von sozialen Akten haben, durch welche alle menschliche personale Kommunikation hergestellt wird. Diese Akte in ihren verschiedenen Gestalten sorgsam zu studieren und von da aus das Wesen aller Sozialität transzendental verständlich zu machen, ist eine wichtige Aufgabe. Mit der eigentlichen, der sozialen Vergemeinschaftung konstituieren sich innerhalb der objektiven Welt als eigenartige geistige Objektivitäten die verschiedenen Typen sozialer Gemeinschaften in ihrer möglichen Stufenordnung, darunter die ausgezeichneten Typen, die den Charakter von Personalitäten höherer Ordnung haben.

In weiterer Folge käme in Betracht das von der angedeuteten Problematik unabtrennbare und in gewissem Sinn korrelative Problem der Konstitution der spezifisch menschlichen, und zwar einer kulturellen Umwelt für jeden Menschen und jede Menschengemeinschaft und ihrer obschon beschränkten Art der Objektivität. Beschränkt ist diese Objektivität, obschon für mich und jedermann die Welt konkret nur als Kulturwelt gegeben ist, und mit dem Sinn der Zugänglichkeit für jedermann. Aber eben diese Zugänglichkeit ist aus konstitutiven Wesensgründen, wie bei genauer Sinnauslegung alsbald hervortritt, keine unbedingte. Sie ist darin offenbar unterschieden von der absolut unbedingten Zugänglichkeit für jedermann, die wesensmäßig zum konstitutiven Sinn der Natur, der Leiblichkeit und damit des psychophysischen Menschen (letzteren in einer gewissen Allgemeinheit verstanden) gehört. Allerdings reicht in die Sphäre der unbedingten Allgemeinheit noch dies hinein (als Korrelat der Wesensform der Weltkonstitution), daß jedermann, und a priori, in derselben Natur lebt, und einer Natur, die er in notwendiger Vergemeinschaftung seines Lebens mit dem Anderer in individuellem und vergemeinschaftetem Handeln zu einer Kulturwelt, einer Welt mit menschlichen Bedeutsamkeiten gestaltet hat — mag sie auch noch so primitiver Stufe sein. Aber das schließt ja nicht aus, wie a priori so faktisch, daß die Menschen einer und derselben Welt in loser oder gar keiner kulturellen Gemeinschaft leben und danach verschiedene kulturelle Umwelten konstituieren, als konkrete Lebenswelten, in denen die relativ oder absolut gesonderten Gemeinschaften leidend und wirkend leben. Jeder Mensch versteht zunächst einem Kerne nach und mit einem unenthüllten Horizont seine konkrete Umwelt bzw. seine Kultur, eben als Mensch der sie historisch gestaltenden Gemeinschaft. Ein tieferes Verständnis, ein solches, das den Horizont der für das Verständnis der Gegenwart selbst mitbestimmenden Vergangenheit eröffnet, ist jedermann aus dieser Gemeinschaft prinzipiell möglich, in einer gewissen nur ihm möglichen Ursprünglichkeit, die einem mit dieser Gemeinschaft in Beziehung tretenden Menschen aus einer anderen Gemeinschaft verschlossen ist. Zunächst versteht er die Menschen der fremden Welt, wie notwendig, als Menschen überhaupt und als solche einer gewissen Kulturwelt; von da aus muß er sich erst schrittweise die weiteren Verständigungsmöglichkeiten schaffen. Er muß von dem allgemeinst Verständlichen aus sich erst Zugang zu dem Nachverstehen immer größerer Schichten der Gegenwart und von da der historischen Vergangenheit erschließen, das dann wieder für ein erweitertes Erschließen der Gegenwart hilft.

Die Konstitution von Welten irgendwelcher Art, von dem eigenen Erlebnisstrom angefangen mit seinen offen endlosen Mannigfaltigkeiten bis hinauf zur objektiven Welt in ihren verschiedenen Objektivationsstufen, steht unter der Gesetzmäßigkeit orientierter Konstitution, einer Konstitution, die in verschiedenen Stufen, aber innerhalb eines weitest zu fassenden Sinnes primordial und sekundär Konstituiertes voraussetzt. Dabei tritt immer das Primordiale in die sekundär konstituierte Welt so ein mit einer neuen Sinnesschicht, daß es zum Zentralglied in orientierten Gegebenheitsweisen wird. Sie ist als Welt notwendig gegeben als von ihm aus zugänglicher und geordnet erschließbarer Seinshorizont. So schon für die erste, die immanente Welt, die wir den Erlebnisstrom nennen. Er ist als System des Außereinander orientiert gegeben um die primordial sich konstituierende lebendige Gegenwart, von der aus alles außer ihr, das der immanenten Zeitlichkeit, zugänglich ist. Wieder ist mein Leib innerhalb der in unserem spezifischen Sinne primordialen Sphäre Zentralglied für die Natur, als der sich erst durch sein Walten konstituierenden Welt. Ebenso ist mein psychophysischer Leib primordial für die Konstitution der objektiven Welt des Außereinander und geht in deren orientierte Gegebenheitsweise als Zentralglied ein. Wenn die in unserem ausgezeichneten Sinn primordiale Welt nicht selbst Zentrum der objektiven Welt wird, so liegt es daran, daß sich dieses Ganze so objektiviert, daß sie kein neues Außereinander schafft. Dagegen ist die Mannigfaltigkeit der Fremdwelt um die meine orientiert gegeben, also eine Welt, weil sie sich mit einer ihr immanenten gemeinsamen objektiven Welt konstituiert, deren raumzeitliche Form zugleich die Funktion einer Zugangsform für sie hat.

Kehren wir zu unserem Fall der Kulturwelt zurück, so ist auch sie als Welt von Kulturen orientiert gegeben auf dem Untergrunde der allgemeinen Natur und ihrer raumzeitlichen Zugangsform, die für die Zugänglichkeit der Mannigfaltigkeiten der Kulturgebilde und Kulturen mitzufungieren hat. So ist, sehen wir, auch die Kulturwelt orientiert gegeben in Beziehung auf ein Nullglied, bzw. auf eine Personalität. Hier sind Ich und meine Kultur das Primordiale gegenüber jeder fremden Kultur. Diese ist mir und meinen Kulturgenossen nur zugänglich in einer Art Fremderfahrung, einer Art Einfühlung in die fremde Kulturmenschheit und ihre Kultur, und auch diese Einfühlung fordert ihre intentionalen Untersuchungen.

Die genauere Erforschung der Sinnesschicht, welche der Menschheits- und Kulturwelt als solcher ihren spezifischen Sinn gibt, sie also zu einer mit spezifisch geistigen Prädikaten ausgestatteten macht, müssen wir uns versagen. Die konstitutiven Auslegungen, die wir durchgeführt haben, wiesen die intentionalen Motivationszusammenhänge aus, in denen die zusammenhängende Unterschicht der konkreten vollen Welt konstitutiv erwuchs, welche uns verbleibt, wenn wir von allen Prädikaten des objektiven Geistes abstrahieren. Wir behalten die ganze Natur, schon in sich konkret einheitlich konstituiert, in sie einbezogen die menschlichen und tierischen Leiber, aber das Seelenleben nicht mehr konkret vollständig, da menschliches Sein als solches bewußtseinsmäßig auf eine seiende praktische Umwelt, als mit Prädikaten menschlicher Bedeutsamkeit immer schon ausgestattete, bezogen ist und diese Beziehung psychologische Konstitution dieser Prädikate voraussetzt.

Daß jedes solche Prädikat der Welt aus einer zeitlichen Genesis zuwächst, und zwar einer solchen, die im menschlichen Leiden und Tun verwurzelt ist, bedarf keines Beweises. Vorausgesetzt für den Ursprung solcher Prädikate in den einzelnen Subjekten und für den ihrer intersubjektiven Geltung, als der gemeinsamen Lebenswelt zugehörig verbleibenden, ist danach, daß eine Menschengemeinschaft, und daß sie wie jeder einzelne Mensch, in eine konkrete Umwelt hineinlebt, auf sie in Leiden und Tun bezogen — daß all das schon konstituiert ist. In diesem beständigen Wandel der menschlichen Lebenswelt wandeln sich offenbar auch die Menschen selbst als Personen, sofern sie korrelativ immer neue habituelle Eigenheiten annehmen müssen. Hier werden weitreichende Probleme der statischen und genetischen Konstitution, letztere als Teilproblem der rätselvollen universalen Genesis, sehr empfindlich. Z. B. hinsichtlich der Personalität nicht nur das Problem der statischen Konstitution einer Einheit des personalen Charakters gegenüber der Mannigfaltigkeit gestifteter und wieder aufgehobener Habitualitäten, sondern auch das genetische, das auf Rätsel des angeborenen Charakters zurückführt.

Es muß uns genügen, diese höherstufige Problematik als konstitutive angedeutet und dadurch verständlich gemacht zu haben, daß sich uns im systematischen Fortgang der transzendental-phänomenologischen Auslegung vom apodiktischen Ego schließlich der transzendentale Sinn der Welt auch in der vollen Konkretion enthüllen muß, in der sie unser aller beständige Lebenswelt ist. Das betrifft mit alle umweltlichen Sondergestalten, in denen sie sich für uns je nach unserer persönlichen Erziehung und Entwicklung oder nach unserer Mitgliedschaft dieser oder jener Nation, dieses oder jenes Kulturkreises darstellt. In all dem herrschen Wesensnotwendigkeiten bzw. ein wesensmäßiger Stil, der im transzendentalen Ego und dann in der in ihm sich erschließenden transzendentalen Intersubjektivität die Quellen seiner Notwendigkeit hat, also in den Wesensgestalten transzendentaler Motivation und transzendentaler Konstitution. Gelingt deren Enthüllung, so gewinnt dieser apriorische Stil eine rationale Erklärung höchster Dignität, diejenige einer letzten, einer transzendentalen Verständlichkeit.