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Die Fundverheimlichung

Es war ein Hund, der glaubte sich am Ziel,
er sah den fremden Mann, dem lief er zu
und ließ ihn nicht und folgt’ ihm in die Wohnung.
Am nächsten Tag erschlägt der Mann den Hund
mit einem Beil, zerlegt ihn kunstgerecht
und Stück für Stück bestattet er im Ofen.
Doch hieß es auch, er habe ihn tranchiert,
gekocht und dann mit einem Anverwandten
gemeinsam Stück für Stück den Hund verzehrt.
Deshalb steht wegen Fundverheimlichung
der Mann vor seinem Richter. Doch er leugnet,
den Hund verzehrt zu haben, gibt nur zu,
aus Mitleid habe er ihn aufgenommen
und dann erschlagen, weil er ihm die Wohnung
unsauber machte, also ordnungshalber,
doch auch aus Angst; dann hab’ er ihn zerlegt
und dann verbrannt, jedoch nicht aufgegessen,
er werde doch das Fleisch von einem Köter,
der nur ein hundsgemeiner Hund gewesen,
nicht essen, denn das sei nicht appetitlich,
was auch der anverwandte Zeuge meint.
Der Neffe, sagt er, habe wohl den Hund
betäubt durch Schläge erst mit einem Pracker,
dann mit dem Beil erschlagen und hierauf
tranchiert und endlich Stück für Stück im Ofen
verbrannt, und dies in seiner Gegenwart,
jedoch gegessen — da sei Gott davor.
Er hätt’ es doch gesehn; allein auch er
hab’ von dem toten Hunde nicht gegessen,
der Neffe, der ein Tramwaykondukteur,
er selbst, ein Offizial, sie seien doch
gefeit durch ihre soziale Stellung
vor dem Verdachte, Appetit zu haben
auf Hundefleisch. Das sei Geschmacksache,
versetzt der Richter. Überhaupt jedoch,
ergänzt der Zeuge, dieser tote Hund
war nur ein schäbiger Hund, ganz ohne Rasse,
schon dies allein entkräfte den Verdacht.
Er war ganz abgemagert, sagt der Zeuge.
Die Zeugin schildert, wie der Hund gestöhnt;
dann habe sie durch’s Gangfenster gesehn,
wie sie die Haut ihm abgezogen haben.
Ob sie den Hund gegessen haben, wisse
sie leider nicht, doch hab’ sie es gehört
und sich gewundert, daß Gebildeten
so was erlaubt sei. Einen andern Zeugen
befragt der Richter, wie der Hund denn lebend
beschaffen war, wie er denn ausgesehn hat.
Hierauf wird aus dem Akte konstatiert,
daß sich der Eigentümer des Kadavers
bis heute nicht gemeldet hat. Hierauf
erhebt der Richter sich und fallt das Urteil,
der Angeklagte werde freigesprochen,
denn dieser Hund, der ihm da ohne Beißkorb
und ohne Marke zugelaufen war,
sei anzusehn als eine herrenlose,
vom Eigentümer preisgegebne Sache. —
Ist’s eine Greuellüge unsrer Feinde?
Nein, es geschah. Der Zeuge bin ich selbst!
Und nun erhebt, da so der Fall beendet,
Stummheit des Tiers sich und sie schreit zum Himmel.
Ruft Rache, Pest und Sintflut von dem Himmel
herab auf eine ganz entartete
Abart von Tier, die nur zwei Beine hat,
jedoch zwei Arme nur zum Morden hat.
Den Menschen, unter dessen blutiger Hand
auch Kalb und Huhn und Hase nicht verscheiden
dankbaren Blicks, ihn trieb die Fleischnot nicht,
und daß es Sache des Geschmackes sei,
der Witz des Richters ist der Ruhepunkt,
von dem man dieses Wirrsal des Gefühls
schaudernd betrachtet, und dann denken wir,
auf diesem menschbevölkerten Planeten
sei’s mit dem Standesvorurteil vereinbar,
den Hund zu schlachten, dessen Fleisch nicht eßbar.
Nahm’ Hunger so vorlieb, so hätte nur
tierisch der Mensch gehandelt, und das wäre
entschuldbar in der Zeit, wo Menschen nichts
zu essen haben, weil ja eben Menschen
geschlachtet werden, damit eben Menschen
zu essen haben. Da es nicht der Fall ist,
so hat der Mensch nicht tierisch nur gehandelt,
nein menschlich. Menschlich ist die Anklage
auf Fundverheimlichung. Menschlich die Laune
des Richters, der den Wert des Lebensmittels
abschätzt. Das Urteil menschlich und die Gründe.
Menschlich ist auch der sachliche Bericht,
der subjektiv nur in der Wendung ist,
die Klage wegen Fundverheimlichung
sei merkwürdig durch die Begleitumstände.
An der Tragödie war alles menschlich.
Tierisch allein war nur der Opfertod
der Treue, war der Heldentod des Tiers,
um die zum Tier geflohne Eigenschaft,
die Schutz noch einmal bei dem Menschen suchte,
die Treue, die sich preisgegeben fand,
so unbetreut vom menschlichen Verstand,
ganz ohne Arg, ohn’ Wissen, ohne Wittrung,
daß eben er der Mörder könnte sein.
Wie die bewußtlose Natur des Weibs,
wie letzte Lust sich zu dem Mörder rettet,
verendet hier die Treue so des Tiers.
Der Treue treu, treu noch im letzten Atem
einer Idee, fällt so das Tier im Tod,
der tragischer als jener Heldentod ist,
welchen der Mensch vor der von ihm erfundnen,
von ihm verschuldeten Maschine leidet.
Im wahrhaften Konflikt, zwischen der Lust
zu leben und der Pflicht, das letzte Pfand
des Schöpfers aus der menschverratnen Schöpfung
zu retten, sinkt die arme Kreatur,
die wahre, die im Mund der Menschenlüge
zum Schimpf gewordene stolze Kreatur.
Schwein, Esel, Ochs und Hund — Schimpfworte hat
der Mensch daraus gemacht, um seinesgleichen,
die sittlich tief stehn unter all der Gattung,
zu unterscheiden. Will er aber Ruhm,
so ruft er Hund und Pferd als Helfer an,
gibt sie Maschinen preis, wie er sich preisgibt,
gibt die Unwissenden dem Menschen preis.
Und nur das Tier, das Menschlichem erliegt,
ist Held des Lebens. Oh, daß diese Menschheit
in einen Traum verfiel’, worin sie selbst
vor Lastwagen gespannt, von klugen Pferden,
die schon ihr Hü und Hott erlernt haben,
vorwärts getrieben würde mit der Peitsche!
Worin der räudige, schlechtrassige
Mensch einem Hund zuläuft, weil sein verkommner
Instinkt in ihm den letzten Retter sieht,
und von ihm kunstgerecht dafür tranchiert wird.
Wann tötete der Hund den Menschen je?
In einen dunkeln Schacht gestürzt, vom Hunger
in Wut gejagt, wenn ein Verunglückter
ihm dorthin nachfiel, biß er ihn und ließ
dann von dem Fund, dem herrenlosen. Der hier
springt, suchend den verlornen Herrn in jeder
Gestalt, auf die Maschine, und er muß
am Biß des tollen Menschen sterben. Seht,
er glaubte sich am Ziel, o seht, er sprang,
wie Hunde selten tun, auf eine Bahn.
Er wird verjagt, springt dennoch wieder auf,
verläßt den Mann nicht mehr und folgt ihm nach.
Der Ordnung halb und halb aus Angst erschlägt
ihn jener mit dem Beil. Aus Mitleid tat er’s,
dazu kam Furcht, das gibt ein Trauerspiel.
Und Stück für Stück bestattet er im Ofen,
der Ordnung halb und halb aus Lust. Ei seht —
ich sah ihn oft — ei seht doch nur, solch einer,
der keiner Fliege je ein Haar gekrümmt,
sitzt einem gegenüber im Coupé
und schlägt, damit die Fahrt schneller vergeht,
mit seiner Schlächterpratze eine tot.
Totschlag der Zeit, die nicht vorüberfliegt,
nur kriecht und justament am Fenster sitzt,
bloß für ein Weilchen, das den Tod ihr bringt.
Patsch — aus ist es. Und lacht. Denn es ist aus.
Trifft ihn der Schlag, so jammern die Verwandten.
Er fragte artig, ob die Zeitung frei,
er fragte nicht, ob es erlaubt denn sei,
die Fliege mir zu töten. Hätte ich
die Wahl gehabt, ihm oder dieser Fliege
Schicksal zu sein, ich hätte gern gewählt!
Wie es da auf dem Fenster lief, so war es
ein Mechanismus, den er nicht erfand.
Sein Stolz verträgt es nicht, es kränkt ihn immer,
wenngleich er es nicht weiß. Wozu sind Fliegen?
Auch er kann fliegen, fliegen kann er auch!
Wir schaffen es; allein das Unnütze,
das stört ihn und gar überlegen ist er
den Tieren, denn er hört vor seiner Stummheit
nicht ihre Sprache, vor all seiner Stummheit.
O hätte man mir nur die Wahl gelassen,
den Hund oder den Schlächter zu tranchieren,
ich hätt’ gewählt! Doch in dem großen Schlachthaus,
in das wir eingeboren, ist der Hund,
der seinen Herrn sucht, nur der Fund des andern;
und gönnt das Recht die Folterung von Kindern,
erlaubt’s die Massakrierung auch des Hunds.
Er war sehr groß, doch war er dunkler Herkunft
und schlecht genährt. Was war er weiter denn
als eine preisgegebene Sache. — Hört!
Ihr, die ihr richtet über Mensch und Hund,
hört, was ich weiß! Hört zu: Solch eine Sache
kann vieles, was ein Mensch nicht kann. Hört zu!
Solch eine Sache kann ihm all das sagen,
was niemals er zur Sache sprechen könnte.
Unsäglich leidet sie, sucht ihn ihr Auge,
durch das allein sie es ihm sagen kann,
der es versagt ist, es ihm anzusagen,
der Gott, zu schweigen, was sie leidet, gab;
unwissend, ob sie preisgegeben ist,
stets preisgegeben ihrem Menschenglauben,
traut sie uns auf ihr ehrliches Gesicht!
Und jede Bürde des Gefühles trägt sie,
die das Bewußtsein uns erleichtern hilft.
Man sieht sie sitzen, aber niemand ahnt,
daß in der Sache eine Seele sitzt,
daß ein Gefühl jetzt schmerzt, daß eine Hoffnung
in ihr jetzt treibt, ihr aufgetragen hat,
just an der Stelle hier zu warten. Seht,
so sitzt sie wartend hier am Bahnhof, wo
die Herrin — denn die Sache war ein Hund —
davongefahren ist vor ein paar Stunden.
Denn als man Abschied nahm, da schritt die Sache,
der Hund, groß, traurig und ergeben, schritt er
den Hang hinauf und dem Begleiter nach,
blieb immer wieder stehn und sah zurück.
Seht hin — nicht anders geht ein schweres Herz.
Noch sieht man ihn, noch grüßt ein stummer Blick.
Und bald ist er entschwunden unserm Blick.
Und bald ist er entschwunden seinem Hüter.
Er wird gesucht, gefunden: an der Bahn —
denn jetzt, ja doch, ist ungefähr die Stunde,
daß einst die Herrin angekommen war.
Nun kommt sie nicht. Enttäuscht verschmäht die Sache
jedwede Nahrung, selbst die Leckerbissen,
die sonst geliebten. Wendet sich von allem,
was tierisch sie ihr Lebtag hat begehrt,
gibt sich dem Hunger preis; verzehrt sich selbst.
Noch ein paar Tage, da begibt sich etwas.
Man führt den Hund zur Bahn, denn eine Freundin,
die mit der Herrin abgereist war, kommt.
Sie selbst kommt nicht. Nun wird der Hund es sehn.
Er aber rührt sich nicht vom Fleck, er hofft noch,
blickt auf den Wagen nur und sucht und sucht.
Nun geht’s nachhaus. Er ißt noch immer nichts,
nimmt etwas Milch nur an, so viel grad nötig,
um nicht am Leid zu sterben. Und das geht so
die Woche lang. Der Hund verschmäht das Essen.
Er war ganz abgemagert, sagt der Zeuge.
Dann hilft Arsen, dazu wohl noch die Einsicht
ins Unabänderliche und Gewöhnung
der stellvertretenden Barmherzigkeit,
dies alles bringt ihn endlich doch hinauf ...
Seid ihr so weit hinunter, daß ihr nicht mehr
wie Kinder seid, hört es doch wie ein Märchen,
Kindern erzählt, die ihr Beginnen noch nicht
im Schützengrabenspiel verschüttet haben
und noch aufhorchen können, wenn ein Beispiel
sittlicher Haltung ihnen dicht ans Herz
gerückt wird. Tretet ehrfurchtsvoll zur Seite.
Seht doch nur hin. O du erhabnes Vorbild
in dieser Zeit profaner Hungersnot!
Von deinem Hunger trenn’ ich mich nicht mehr.
Es risse einen von der Menschheit weg,
wär’ man nicht längst schon über alle Berge.
Dort lebt ein Hund. Dort lebt ein wahrer Hund.
Gott hör’s: Der Menschenehre ersten Preis,
der Ehre, die sich preisgegeben hat,
sich selber preisgegebener Menschheit Preis
geb’ ich dem Hund! Und nimmer will die Andacht
fort von der Stelle, wo das Tier da wartet,
für eine halbe Stunde herrenlos,
länger verlassen, wartet, und in Treue
halt’ ich die rechte Hand über der Sache,
dem Fund, dem Hund, damit ihn nicht der Mensch,
der Schinder, finde und verheimliche,
er, der noch nie aus Sehnsucht hat gehungert
und der mir dieses Fleisch hier nur verschmäht,
weil gramverzehrt es ist und dem Geschmack
und Stand des Mörders widrig ist, und der
Gottes Geschöpf mir dennoch töten würde,
weil es ein Tier ist, er aber ein Mensch!