Hemsterhuis
Es ist wahrscheinlich, daß Lessing seine Idee von den "mehr als fünf Sinnen" dem Holländer Hemsterhuis verdankte, trotzdem Lessing von dessen Schriften bis zum Gespräche mit Jacobi nur den Brief über die Skulptur kannte, und trotzdem Hemsterhuis seinem Gedanken erst nach Leasings Tode den schärfsten Ausdruck gab. Er sagt in seinem Briefe an Diotima (die Fürstin Galitzin) in der Jacobischen Übersetzung (vermehrte Ausgabe des Spinoza-Büchleins): "Der dritte Atheismus (d. h. der moderne Materialismus), diese riesenhafte Geburt unseres törichten Stolzes, wird nicht eher gestürzt werden, als bis der Mensch mit folgenden unleugbaren Wahrheiten sich vertrauter gemacht hat: nämlich daß die Materie nur ein Wort ist, wodurch man die wirklichen Wesenheiten bezeichnet, insofern zwischen diesen Wesenheiten und unseren jetzigen Organen Beziehung ist; daß wir von der Materie nicht mehr Eigenschaften wahrnehmen können, als wir Organe haben; und daß, wenn in der Folge unseres eigenen Daseins wir entweder mehr oder andere Organe erlangen sollten, alsdann auch die Materie (wenn man dieses Wort als Zeichen für die in jedem Zustande uns bekannten Wesenheiten beibehalten will) verhältnismäßig uns entweder in mehrere oder andere Eigenschaften entdecken wird." Diese Sätze sind erst 1787 niedergeschrieben. In den Schriften, die Lessing 1780 durch Jacobi kennen lernte, ist mehr als einmal von einer künftigen Mehrzahl der Sinne die Rede, aber diese Vorstellung (offenbar von Spinoza herstammend) ist nicht wie bei Lessing entwicklungsgeschichtlich und insofern erkenntnistheoretisch, sondern halbtheologisch. Was Hemsterhuis sucht, das ist eigentlich immer nur der sechste Sinn, l'organe moral.
Trotzdem scheint mir da Lessing unter dem Einfluß von Hemsterhuis zu stehen; und die Datierung seines Fragments wäre danach zu verbessern.