Kultursprachen
Ich fürchte, die Regelung der Syntax in unseren viel gerühmten Kultursprachen entspricht nicht im mindesten dem Zweck der Sprache, mit unseren Erinnerungen an die Wirklichkeit übereinzustimmen, sie entspricht vielmehr einer gewissen Ordnungsliebe, die mitunter ihren praktischen Nutzen haben kann, viel häufiger jedoch nur einem spielerischen Bedürfnisse der Zierlichkeit dient. Ich sehe in dieser syntaktischen Gliederung dasselbe Bild, wie es eine fruchtbare Landschaft in unseren hoch kultivierten Gegenden bietet. Ist so ein Stück Land hübsch parzelliert und sind die "Vierecke mit Gemüsen, Getreide und Handelspflanzen buntscheckig bestellt, ist gar, wie in einem Hausgarten, für weitere Abwechselung durch blühende Gewächse gesorgt, so hat der Interessent seine Freude an dem Anblick. Ein interesseloser Kopf, ein Dichter z. B., mag sich dann über diese Ordnungsliebe entsetzen; wie denn der Pußtadichter Lenau einmal diese wohlgeordneten Kulturfluren in Schwaben ganz abscheulich fand. Will die Sprache nichts Anderes als die Wirklichkeit zeichnen oder bezeichnen, so hat sie zu einer so zierlichen Ordnung gar keine rechte Veranlassung ; denn die Wirklichkeit ist regellos wie die ursprüngliche Natur, wie die Wüste, die Steppe oder der Urwald. Alle unsere Kultursprachen aber sind schon durch ihre analogischen Flexionsformen, noch mehr aber durch ihre syntaktischen Gliederungen Arabesken geworden. Sie stilisieren die Erscheinungen der Wirklichkeit wie etwa eine spielerische Kunst in ihren Arabesken die Formen der Natur stilisiert, wie insbesondere die Architektur Pflanzenformen benützt. War rechts ein Blättchen, so wird auch links ein Blättchen angebracht; bog sich der Zweig zuerst nach rechts, so muß er sich dann nach links biegen. Das Ohr sucht in der Sprache Beruhigung, wie das Auge in der zierenden Kunst. Als ob in der Natur überall Gleichgewicht herrschen müßte oder könnte. Dieses ziervolle Streben nach Übereinstimmung der Teile geht bis auf die Elemente des Satzes zurück. Wir verachten die einfachen Sprachen, welche Übereinstimmung zwischen Subjekt und Prädikat nach Zahl und Geschlecht und dergleichen nicht in ihren Formen vermerken. Aber in alltäglichen Anwendungen stehen wir da vor Schwierigkeiten. Heißt es: "3 mal 7 ist 21" oder "sind 21"? Der Grammatiker stutzt bei der Frage, der Logiker ist hilflos. Im Französischen ähnlich das Schwanken zwischen font und est.
So führt uns auch diese Betrachtung wieder dazu, den Bau der menschlichen Sprache nur vom Standpunkt des Künstlers aus bewundern zu können; nicht zufällig spricht man von einem Stil im Satzgefüge, wie man von einem Stil in den Künsten spricht, und so wenig der Einzelne imstande ist, sich selbständig und einsam von dem Kunstgefühl seiner Zeit und seines Volkes ganz loszulösen, so wenig können wir in der Wertschätzung der Sprachen, weil sie eine rein ästhetische ist, uns von dem Stilgefühl unserer eigenen Muttersprache völlig befreien. Wir sind in allen diesen Dingen Sklaven der Zeit und ihrer Mode, und je naiver wir sind, desto unfreier verwechseln wir die Mode mit der Schönheit, unsere Sprachgewohnheiten mit der logischen Wahrheit.