Wortfolge
Die Wertlosigkeit der Syntax wird vielleicht noch klarer, wenn wir an die wirkliche Aufnahme einer zusammenhängenden Rede denken, also an unsere psychologische Tätigkeit beim Anhören. Es ist bekannt, dass wir beim Lesen die Wortbilder zu flüchtig auf uns wirken lassen, um so leicht Druckfehler zu bemerken. Jahrelange gelegentliche Beobachtungen in Zeitungsdruckereien haben mich etwas Neues dazu gelehrt: dass nämlich von den Schriftstellern (die gewöhnlich schlechte Korrektoren sind) Druckfehler in den Wortstämmen wohl mit einiger Sicherheit entdeckt werden, viel seltener aber Druckfehler in den Ableitungssilben. Ich habe (II. S. 370 f.) darauf hingewiesen, dass wir wieder in besonderer Weise falsch hören. Es geht ja auch die Tendenz der Sprachentwickelung dahin, die Bildungssilben des Nomens und des Verbums abzuschleifen und verschwinden zu lassen, was gar nicht möglich wäre, wenn nicht die sprechenden und die hörenden Menschen gleichgültig wären gegen den Ausdruck dieser Formen. Übersehen, Überhören der Fehler ist danach das Element, das Urphänomen des Lautwandels. Die Eeihenfolge der Vorstellungen, wie sie durch die Wortstämme allein schon in uns erweckt werden, ist für die Aufnahme des Gedankengangs die Hauptsache. Dazu kommt dann freilich als wichtigster Ausdruck des Gedankengangs und als wichtigste Erscheinung aller Syntax: die Wortfolge. Wollte man die Wortfolge allein schon Syntax nennen, so müßte ich hier meine Kritik der Syntax abbrechen und sagen: die Wortfolge ist allerdings von Wichtigkeit für unsere Sprache; denn in der Wortfolge liegt, Wenn nicht die Ordnung der Wirklichkeit, so doch diejenige Ordnung ausgedrückt, in welcher wir die Wirklichkeit uns nach unserem Standpunkte vorstellen. Es sind aber nur einige weit entlegene, der Sprachwissenschaft sehr wenig bekannte Sprachen, in denen Wortfolge und Syntax zusammenfallen. In unseren Kultursprachen ist die Wortfolge nur, ich möchte sagen, das Gerippe der Syntax. Das Satzgefüge bis hinauf zum viel bewunderten Periodenbau verlangt einen ganz anderen Aufwand von Ausdrucksmitteln für die koordinierten und subordinierten Sätze und für die schmückenden Zierate, in welche jeder einzelne Satzteil verwandelt werden kann. Was die Grammatik die Syntax nennt, das erscheint in ihrer Darstellung wie die "stilvolle" Fassade eines Prachtbaus; in Wirklichkeit ist sie die unwahre, der Mode unterworfene, sehr oft durchaus unlogische, äußerlich angeklebte, zum Blenden bestimmte Straßenfassade, mit welcher gefällige Architekten die Mietskasernen der Großstadt bewerten. Inwendig die Reihe von Arbeitszimmer und Schlafzimmer, von Speisezimmer und Klosett, wie das Bedürfnis es verlangt, auswendig Renaissancestuck oder gotischer Stuck, wie die Eitelkeit des Mieters und das Geschäft des Vermieters es verlangt.