Der ideale Begriff
Diese meine Auffassung, dass nämlich der Begriff der Psychologie allein angehöre, vor jeder Logik da sei, etwas wie Tätigkeit sei und darum etwas Irrationales, diese Auffassung findet sich schon, wenn auch ungenau, bei Lotze und Sigwart. Aber bei beiden bildet der Begriff als psychologische Tatsache doch nur eine niedrige Stufe, welche zu dem höheren Begriff, zu dem klaren, idealen, logischen Begriff emporführt, der sich dann durch eine klare, logische Definition als wissenschaftliches Element ausweisen kann. Beide behandeln die Logik, als ob sie etwa der Mathematik gleichwertig Wäre, während doch die Elemente der Mathematik gar nichts Anderes sind als zählbar, meßbar, begrenzbar, definierbar, die Elemente des Denkens jedoch "ihrem Wesen nach" undefinierbar. H. Rickert (Grenzen d. naturwiss. Begriffsbildung) gibt alle Mängel der Begriffe bei den SpezialWissenschaften zu, scheint aber der Wissenschaftslehre die Formung vollkommener Begriffe vorzubehalten. Ähnlich schon J. Volkelt (Erfahrung und Denken), der Begriffe höherer Ordnung und "eine logische Gliederung ihrer Merkmale" kennt. Es ist menschlich zu verstehen, ja es ist zu loben, wenn die Logiker (zu denen ich freilich Rickert nicht eben rechnen möchte; Logik ist eine seiner beiden schwachen Seiten) die Sehnsucht empfinden, unsere mangelhaften Begriffe einem Ideal zu nähern, das Chaos unseres Denkens zu ordnen. Eine solche Sehnsucht aber für Wissenschaft zu halten, ist eine arge Selbsttäuschung: die Täuschung wird immer in die Versuchung führen, die Ordnung, weil sie in der Wirklichkeitswelt nicht zu finden ist, erzwingen zu Wollen. Man rechnet die Logik nicht gerade zu den Zehngeboten, aber ein "Sollen" ist in ihren anspruchsvollen Denkgesetzen versteckt. In der Logik ist das Wort frech geworden wie in der Ästhetik und in der Ethik; die Wirklichkeitswelt kennt nur das Wollen des Künstlers, seine sinnfälligen Schöpfungen, und die hergebrachte Ästhetik tritt ihr von irgend einem heiligen Berge, dem Parnaß z. B., mit einem Sollen entgegen; die psychologische Wirklichkeitswelt kennt nur ein Wollen des Menschen, seine Handlungen, und die Ethik tritt ihr, immer noch vom Sinai, wieder mit dem Sollen entgegen. Ich fürchte nun, Ästhetik und Ethik gelten immer noch für ernsthafte Wissenschaften, und der Vergleich mit ihnen möchte darum keinen Zweifel an dem Wert der Logik erregen; ich will darum lieber auf ihre Ähnlichkeit mit der älteren Astronomie hinweisen, welche Astrologie hieß und war, auf dem Ptolemäischen System fußte und z. B. lehrte: die Planeten müßten sich (man achte auf die Logik) in Kreislinien bewegen, weil der Kreis die vollkommenste Linie wäre. Solche Scheinwissenschaften sind schwer auszurotten. Kopernikus stürzte das alte System, aber sein jüngerer Zeitgenosse Melanchthon war ein überzeugter Astrolog; ja sogar Kepler noch, der große Entdecker der elliptischen Planetenbewegung, gab sich dazu her, für Wallenstein das Horoskop zu stellen. Wir haben also nicht die Hoffnung, man werde so bald aufhören, in den Schulen zu lehren, wie man denken solle.