IV. Die Denkgesetze
Grund
Eine Mutter wurde von einem vierjährigen Mädchen gefragt, warum sie weine. "Ich habe Grund", antwortete sie und glaubte wahrscheinlich etwas zu sagen. Also glaubte auch das Kind etwas zu hören und wußte von der Zeit an, "Grund" sei etwas Schmerzhaftes, etwas wie eine Krankheit. Und noch jahrelang, wenn die Mutter ein betrübtes Gesicht machte, fragte das gute Kind: "Hast du wieder Grund?"
Die Abstrakta unserer Sprache sehen diesem kindlichen Grunde zum Verwechseln ähnlich. Ich habe Rheumatismus, ich habe Eeue, ich habe Leibweh, ich habe Kummer, ich habe Glauben und alle ähnlichen Wendungen enthalten irgendwo versteckt die liebe Dummheit: "Ich habe Grund".
Der Glaube der Logiker, der ein wenig auch der Glaube aller sprachfrohen Menschen ist, dass nämlich den Schlußfolgerungen der Logik, das heißt den aus Begriffen oder Worten abgeleiteten Sätzen notwendige Wahrheit eingeräumt werden müsse, dass die Folge sich zu ihrem Grunde (raison) ebenso verhalte wie in der Wirklichkeitswelt die Wirkung zu ihrer Ursache (cause), dieser Glaube zwingt mich zu dem Versuche, diesen dunklen Punkt aufzuhellen, bevor ich zur Kritik der logischen Schlußfolgerungen fortschreite.
Die Frage geht auf das Verhältnis zwischen Folge (conséquence) und Wirkung (effet). Da diese beiden Begriffe zu den mythologischen gehören, so wäre es für uns vielleicht möglich und sicherlich bequem, sie beide über Bord zu werfen. Da Ursache und Wirkung aber die Grundbegriffe unserer Welterkenntnis ausmachen, Grund und Folge wiederum die Grundbegriffe aller wissenschaftlichen Systematik, so werden wir die Mühe nicht scheuen, die annähernde Bedeutung dieser Metaphern aufzusuchen und ihr Verhältnis zueinander zu bestimmen. Denn auch bloße Figuren, unwirkliche Dinge, können ein Verhältnis zueinander haben.