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Erkenntnisgrund ein falscher Begriff

Wir werden sofort nach diesem allgemeinen Satze im einzelnen erfahren, dass Schlußfolgerungen nur sprachliche Abänderungen anderer Urteile sind, wie wir ja schon wissen, dass Urteile die Begriffe nur umgeben, wie der Rauch das Feuer umgibt. Das Allgemeine aber wird vielleicht schlagend deutlich werden durch das alltäglichste Beispiel. Ich habe es als das nächste schon benützt. Wir nennen die Sonnenwärme die Ursache davon, dass das Quecksilber im Thermometer steigt; wir nennen es unseren Erkenntnisgrund für unser Urteil über den Grad der Sonnenwärme, wenn das Quecksilber im Thermometer steigt. Im ersten Falle ist dasselbe Steigen des Quecksilbers die Wirkung oder Folge der Wärme, im zweiten Falle nennt man es ihren Erkenntnisgrund. Nun achte man wohl auf das Folgende. Die Sonnenwärme wirkt auf das Quecksilber genau so, wie sie auf meinen Körper wirkt, genau so ursächlich, wenn auch die reagierenden Objekte verschieden sind; die Summe der körperlichen Veränderungen, welche die Sonnenwärme in meinem Leibe hervorbringt, nenne ich mein Wärmegefühl, und es ist für die Erkenntnis der Wirklichkeit gleich, ob ich die Ausdehnung der Quecksilbersäule an der Thermometerskala mit dem Gesichtssinn genauer meßbar oder ob ich die Gesamtwirkung der Wärme auf meinen Leib durch das sogenannte Gemeingefühl etwas undeutlicher wahrnehme. Beidemal haben meine Nerven eine Wirkung verspürt. Die Wirkung der Sonnenwärme auf meinen Leib ist mein Wärmegefühl; die Sonnenwärme ist in Wirklichkeit die Ursache meines Wärmegefühls, meines Warmseins. Diese Vorstellung drücke ich nun durch das sprachliche Urteil aus "mir ist warm"; es ist ganz gleichgültig, ob andere Sprachen ungefähr sagen: "es ist warm", "ich bin warm" oder "ich habe warm". Nun wäre ich ohne Frage berechtigt, ebenso wie ich den Thermometerstand für den Erkenntnisgrund des Luftwärmegrades erkläre, auch mein Wärmegefühl für den Erkenntnisgrund der Sonnenwärme auszugeben. Es wäre ganz logisch zu sagen: "daraus, dass mir warm ist, schließe ich, dass es warm ist." Dieser Gedankengang wäre nicht um ein Jota anders als der Schluß von der Quecksilberhöhe auf die Lufttemperatur. Und ein Gesunder könnte einem frierenden Fieberkranken gegenüber ganz vernünftig und nützlich den Schluß von seinem Wärmegefühl auf die Sonnenwärme ziehen, dann also, wenn nach der Sonnenwärme gefragt würde, wenn die Aufmerksamkeit auf die Sonnenwärme gelenkt würde.

Wir haben es also bei dem sogenannten Erkenntnisgrunde, der Quecksilberhöhe, und bei der Erkenntnis (dass es warm sei) beidemal mit einer Wirkung und zwar mit einer Wirkung aus der gleichen Ursache zu tun. Bei der Tatsache des Wärmegefühls hängt es ganz allein von den uns interessierenden Umständen oder unserer Aufmerksamkeit ab, ob wir die Empfindung logisch so oder so ausdrücken, ob wir sagen: mir ist warm, mir ist warm, mir ist warm. Das eine Mal richten wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Person, das zweite Mal auf die in Frage gestellte Tatsache, das dritte Mal auf die Art der Empfindung. Mit einiger Wortspalterei und scheinbarer Geistreichigkeit kann ich freilich meine Wärmeempfindung den Erkenntnisgrund der Wärme nennen. Aber da geraten wir ja eben sofort zu der Weisheit, dass wir von der Wärme absolut nichts erkennen als eben die Empfindung, dass unsere Empfindung ganz und gar unsere Erkenntnis von der Wärme ausmacht; wenn wir also unsere Wärmeempfindung den Erkenntnisgrund der Wärme nennen, so nennen wir unsere Erkenntnis ihren eigenen Erkenntnisgrund. Die Albernheit eines solchen Sprachgebrauchs springt hoffentlich in die Augen.

Ich weiß wohl, dass die neuere Physik nicht ganz ohne Erfolg nach dem Warum der Wärme gefragt hat. also nach einer nachweisbaren entfernten Ursache unseres Wärmegefühls; hierin ist unser Wissen bereichert worden, aber nicht durch logische Schlüsse, sondern durch Apercus, durch gut und neu beobachtete Sinneseindrücke.

Ein physikalischer Apparat, den Sinneseindruck der Wärme gut und neu zu beobachten, ist auch unser Thermometer. Es gestattet eine genauere Ausdrucksweise; anstatt die Hand zur Probe in das Wasser zu stecken und zu sagen "es ist sehr warm", brauchen wir bloß aufzublicken, das Experiment an unserem Gesichtssinn anstatt am Gemeingefühl der Haut auszuführen und können fast gelehrt urteilen "das Wasser hat 25 Grad". Aber wieder besteht unsere ganze Erkenntnis in dem Ablesen dieser Ziffer, und wieder hieße es blödsinnig die Erkenntnis für ihren eigenen Grund ausgeben, wollte man (und das tut bis zu dieser Stunde alle Welt) den Thermometer-stand einen Erkenntnisgrund des Wärmegrades nennen. Auch dann noch wäre der Ausdruck Erkenntnisgrund sinnlos, wenn man etwa den Thermometerstand für den Erkenntnisgrund und erst den Satz "es ist also sehr warm" für die Schlußfolge gelten lassen wollte. Ich darf nicht aufhören, das Sprach-elend unerbittlich bis in seine letzten Schlupfwinkel zu verfolgen. "Sehr warm" kann doch nur ein Tollhäusler eine Wirkung, nur ein Zierbengel eine Folge von "25 Grad" nennen.

So glaube ich an einem populären Beispiel unwiderleglich gezeigt zu haben, dass der Begriff Erkenntnisgrund einen wirklichen Sinn nicht hat, dass selbst die bildliche Anwendung des Worts ungereimt ist. Damit scheint mir auch der entsprechende Begriff der Schlußfolge oder der logischen Kot-wendigkeit beseitigt. Was bis zu dieser Stunde Erkenntnisgrund genannt wird, ist nichts weiter als ein Hinlenken der Aufmerksamkeit auf sprachliche Formen von Urteilen. Was unsere Erkenntnis jedesmal "begründet", das ist immer nur die Erinnerung an Sinnesempfindungen und die durch unsere Interessen gelenkte Aufmerksamkeit. Es mag gewöhnlich bequem sein, nur bis zu den Erinnerungszeichen zurückzugehen und diese im Vertrauen auf ihre Treue die Ursachen unserer Sätze zu nennen, wofür wir dann mit schlechtem Gewissen das wackelnde Wort "Grund" eingeführt haben; die wirklichen Ursachen unserer Sätze sind nicht Gründe, sind nicht schallende Worte, sondern die Sinnesempfindungen oder das Unerkennbare, das die Sinnesempfindungen erzeugt.

Auch unser Hanswurst ist ein scharfer Logiker; auch ihm sind die Empfindungen seiner Augen, seines Tastsinns, seines Geschmacks und seines Geruchs Erkenntnisgründe der Existenz seines Käsestücks; der Hanswurst müßte daneben auch Metaphysiker sein, um einzusehen, dass er von dem Wesen seines Chester, von seinem Käsestück als Ding-an-sich durchaus nichts Anderes kennt als eben die Empfindungen seiner Sinne, dass er die Summe seiner Erkenntnisse ihren Erkenntnisgrund genannt hat. Und sagt er mit seinem dummen Lachen, das Stinken des Käses sei doch wenigstens der Erkenntnisgrund für das Alter des Käses, so erinnere ich an die 25 Grad, die der Erkenntnisgrund für große Wärme sein sollten. Nein, so disparat die Adjektive "alt" und "stinkend" auch im toten Wörterbuch sein mögen, in der lebendigen Verbindung mit der Vorstellung "Käse" sind sie zwei Synonyme, von denen das zweite die Wirkung auf unsere Sinne nur etwas deutlicher bezeichnet als das erste.

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