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Ja und nein

Diese Abhängigkeit der obersten Denkgesetze von der Sprache ist beim Satze vom Widerspruch nicht geringer als beim Satze der Identität. Liegen nämlich zwei kontradiktorische Urteile vor uns (z. B. die Monarchie ist gut — die Monarchie ist nicht gut), so ist der Satz vom Widerspruch vorerst nur formell auf sie anwendbar. Nur unter der Voraussetzung, dass ihr Sinn kontradiktorisch sei, schließt die Bejahung des einen die Verneinung des anderen ein, was im schlichten Deutsch heißt: nur wenn die Sätze einander widersprechen, widersprechen sie einander. Dazu kommt, dass — den Widerspruch der Bedeutungen vorausgesetzt — die Unvereinbarkeit der Sätze noch nicht lehrt, welcher von beiden wahr sei. Sowohl um die Wahrheit zu erforschen als auch nur um die Bedeutung zu verstehen, muß auf die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, also auf die Entstehung der Begriffe, zurückgegangen werden. In unserem Falle wird es sich fragen, ob der Urteilende mit "Monarchie" jede solche Staatsform bezeichne oder eine ihm besonders zusagende Art der Monarchie, ob er das Interesse, welches immer im Begriff "gut" verborgen ist, an seine eigene Person knüpfe oder an eine bestimmte Menschenklasse oder an das gesamte Volk oder gar an seine Wertschätzung irgendeiner Abstraktion; er wird sogar fragen müssen, ob das Wörtchen "nicht" den Begriff "gut" nur formell negiere (was allein einen echten kontradiktorischen Gegensatz schaffen würde) oder ob es einen neuen positiven Begriff der Schädlichkeit bilden helfe. Denken und Sprechen ist da gewiß eins. Solange die sprachliche Form unseres Urteils nicht völlig klargelegt ist, solange gilt der Satz vom Widerspruch nicht und die Güte der Monarchie kann mit Recht bejaht und verneint werden. In dem Augenblicke aber, wo die Begriffe in ihren Merkmalen ausgebreitet vor unserem Gedächtnis liegen, wird sofort das eine Urteil tautologisch und gilt uns damit für wahr; das andere nennen wir unwahr, weil es nicht tautologisch ist. Der Satz vom Widerspruch ist also für das gewöhnliche Denken nicht vorhanden, für das scharfe Denken eine überflüssige Arabeske. Das muß auch schon Kant gemeint haben als er in seiner Sprache den Satz vom Widerspruch nur für die analytischen Urteile gelten ließ; denn seine analytischen Urteile sind dieselben, die wir die apriorischen, tautologischen, wertlosen Sätze nennen, das Geschwätz. Auch Hegel durchschaute die Armut des Satzes vom Widerspruch, und die ganze Praxis seiner dialektischen Methode lebt davon, dass man widersprechende Urteile auf einer niederen Stufe des Denkens zugleich bejahen und verneinen könne, was sich dann auf einer höheren Stufe des Denkens vereinigen ließe. Hegel aber glaubte, dass diese Bewegung der Begriffe der Wirklichkeitswelt entspreche, während diese Bewegung für uns nur ein verzweifeltes Vorwärtszappeln der Sprache ist. Darum ist die Hegelei auch nicht bei ihrem Meister stehen geblieben, darum teilten sich die Hegelianer bald in brave Theologen und in Radikale, je nachdem ihre Worterklärungen sich nach der rechten oder nach der linken Seite hin bewegten.

Sigwart berührt in diesem Punkte die Wahrheit, wenn er den Sinn des alten Satzes dahin erklärt: jede Rede müsse einen festen Sinn haben, der Eindeutigkeit der Begriffe müsse die Eindeutigkeit der Urteilsakte entsprechen und der Satz der Identität sei nur eine andere Form des Satzes vom Widerspruch. Wir erheben uns über diese Selbstverständlichkeit, wenn uns unsere bisher paradoxe Wahrheit zu einer Selbstverständlichkeit wird: dass nämlich, wie es in der Natur oder Wirklichkeit um und um keine Negation gibt, dass es so auch keine kontradiktorischen Gegensätze gibt außer in der künstlichen Sprache der Logiker, dass es (auch nicht in der Natur, aber in der natürlichen Sprache) nur unlogische, ungefähre, ineinander überfließende Gegensätze gibt, von der Logik die konträren geheißen. Unsere bisher paradoxe Wahrheit lehrt weiter, dass das Wörtchen "nicht" (der Angelpunkt des Satzes vom Widerspruch) in aller Welt der Dinge nicht seinesgleichen habe, dass es in der Sprache immer nur ein ungeschickter Ausdruck sei für einen ungefähren, fließenden, konträren Gegensatz und dass eine Idealsprache, die für alles Wirkliche und nur für das Wirkliche Wortzeichen hätte, dieses "nicht" gar nicht besitzen müßte und dann freilich das oberste Denkgesetz vom Widerspruch sprachlich gar nicht einmal ausdrücken könnte.

Und wieder weise ich darauf hin, dass der Satz vom Widerspruch wohl vielen sinnenden Köpfen zweifelhaft gewesen ist, dass aber noch kein Wahnsinniger an der Wahrheit dieses obersten Denkgesetzes gezweifelt hat. Er kann in seinem Wahn eine Suppenschüssel für eine Krone halten, aber er wird dem Logiker beistimmen, wenn dieser ihn belehrt: die Sätze "ich bin König" und "ich bin nicht König" können nicht zugleich und in dem gleichen Sinne wahr sein.