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Schlüsse auf die "Urzeit"

Auf einen zweiten bösen logischen Schnitzer habe ich schon hingewiesen, dass nämlich Schlußfolgerungen aus der partikularen Negation häufig gezogen werden. In der Theorie sind alle Fachmänner darüber einig, dass ein Volk ein Ding gekannt haben könne, auch wenn in den zufälligen Quellen die Wortbezeichnung dafür nicht vorhanden sei; aber in der Praxis wird immer wieder gegen diese richtige Theorie gesündigt. Ich will es dahingestellt sein lassen, ob die Untersuchungen über die Farbenbezeichnungen der Urvölker und der Naturvölker richtig sind und wirklich die Bezeichnungen für blau und grün jüngeren Ursprungs sind als die Bezeichnungen für rot und gelb. Es wäre doch zu toll, wenn die Menschen den blauen Himmel und die grüne Erde nicht von jeher ganz deutlich unterschieden hätten. Aber daraus, dass ein Wort für "Farbe" in der angeblichen Ursprache nicht aufzufinden ist, hat man sogar geschlossen, dass damals (wann?) der Farbenbegriff gefehlt habe.

Nähmen es die Forscher auch nur mit der Wortform genau, so müßten sie die meisten Behauptungen der ethnographischen Sprachwissenschaft preisgeben. Denn die Fälle, in denen sowohl die Stammsilbe als die Bildungssilbe einander nach den Gesetzen der Wissenschaft entsprechen, sind zu zählen. Bei den Worten, wo die Stammsilben einander zu entsprechen scheinen, nicht aber die Bildungssilben, liegt der Gedanke an Entlehnung noch näher als sonst. Doch selbst die Worte der ersten Gattung sind ja nicht zuverlässig. Es gibt da ein Sanskritwort paktar (Koch), welches lautgesetzlich und in der Bedeutung ganz ordentlich dem lateinischen coctor entspricht, in Stamm- und Bildungssilbe. Danach müßte man annehmen, das legendare Urvolk habe schon Leute gekannt, die die Küchenkunst zu ihrem besonderen Geschäfte machten. In diesem Falle verzichtet man auf eine solche uns seltsam erscheinende Annahme, weil das lateinische Wort in der älteren Sprache noch gar nicht vorkommt und weil die Bildungssilbe tar beziehungsweise tor offenbar häufig zu Neubildungen benutzt wurde. In ganz alten Zeiten haben wir aber für solche Dinge keinen Maßstab mehr; wo wir von der Kulturgeschichte einer Zeit so wenig Vorstellungen haben, dass wir auf die Sprachreste allein angewiesen sind, da geben uns die Sprachreste auch keine Antwort. Es ist ein ewiger Zirkelschluß.