Das schönste Geschenk
Nun liegt endlich von meinem Lieblingsfotografen Albert Renger-Patzsch ein Band mit hundert Fotos vor: »Die Welt ist schön« (bei Kurt Wolff in München erschienen). Das ist das Beste vom Besten.
Es ist ungemein bezeichnend, dass unter keinem dieser Bilder etwas andres steht als eine Ziffer – keine Unterschrift. Die wäre auch ganz unnötig – diese Bilder sprechen selbst und brauchen keine erzählende oder erklärende Unterschrift. Schnell soll gesagt sein, was Renger-Patzsch alles nicht ist –: kein süßlicher Frauenfotograf; kein »Malerischer«; kein Stilfatzke – der Mann hat einfach drei Augen; zwei im Kopf, mit denen er den Bildausschnitt sieht, und die Linse im Kasten. Von diesem Buch kann man schwer loskommen.
Renger-Patzsch fotografiert hauptsächlich die Landschaft, das Tier, die Stadt, das Material und nur wenig Menschen: so etwas wie Porträts sind nur vier im ganzen Buch. Am schönsten sind die Pflanzen und die Aufnahmen, auf denen nichts ist als Stoff, Masse, Körper – das, was man anfassen kann, was man mit den Sinnen wahrnehmen, spüren, streicheln kann. Wollbündel und Schuhleisten, kleine Näpfchen und Holz – die Materie ist so beseelt und belebt; das hat wohl noch nie ein Fotograf fertigbekommen. Es ist – um mit Kraus zu sprechen: das »Indianerstaunen über die Zivilisation« – Kaffeebohnen glänzen fettschwarz, und man möchte sie zwischen den Zähnen zerkrachen lassen; junge Bäume sehen aus wie Gazellenleiber, wie Tierbeine – nein: wie junge Bäume; Pflanzen leben, und die Aufnahmen 50-59: Glas, Porzellan, Eisen und Tuch, gehören zum Schönsten, was je auf den großen Ausstellungen der Welt zu sehen gewesen ist.
Dieser herrliche Fotografienband zeigt uns aber noch mehr als die Kunst eines Körpers. Er zeigt unsre Zeit.
Wie seltsam polytheistisch, wie gottlos und wie des Gottes voll sind diese Bilder! Wie liegt alles nebeneinander – scheinbar urteilslos aneinandergesetzt! So ist die Welt – neunundfünfzig Jahre sind wir hienieden vorhanden; rieche am Kaffee, höre den Frost klingen; schmecke die süße Milch; fühle den Gabardinestoff und sieh! sieh! sieh! Einbezogen ist die Technik in die Natur – Eisengerüste sind wie Wälder, Schornsteine wie Felsen; Brücken wie Gewachsenes. Dogmenlos ist diese Kunst, scheinbar ganz und gar ohne Voraussetzungen, gut und böse gilt hier nicht – so sieht ein Gott die Welt. Und so ist sie schön.
Renger-Patzsch hat uns zu Weihnachten das schönste Buch von allen geschenkt.
Peter Panter
Die Weltbühne, 18.12.1928, Nr. 51, S. 933.