Pantheismus
Pantheismus (von pan = alles u. theos = Gott) heißt seit Anfang des 18. Jahrhunderts dasjenige religionsphilosophische System, welches Gott und die Welt nicht voneinander trennt, sondern im Wesen für eins erklärt. Theismus heißt im Gegensatz dazu das System, das an der Verschiedenheit von Gott und Welt festhält. Der Pantheist identifiziert Gott und Welt und verleiht Gott ein immanentes Dasein in der Welt, während der Theist Gott und Welt trennt und Gott eine transzendente Existenz zuschreibt. Leicht aber verflüchtigt sich dem Pantheismus, wenn er Gott und All gleichsetzt oder auch das eine in das andere setzt, die Bedeutung des einen der gleichgesetzten Faktoren. Entweder verliert er über dem Begriff Gott das Bild der Welt oder über dem Bilde der Natur das Bild Gottes. Der Pantheismus erzeugt daher zwei Hauptrichtungen, die akosmistische (Brahmaismus, Eleaten), welche im Grunde die Welt leugnet, und die pankosmistische, atheistische (Spinoza, Goethe, Strauß), welche in Gefahr ist, Gott über der Welt völlig zu verlieren. (Siehe Th. Ziegler, Religion und Religionen. Stuttgart 1893. S. 113 f.) Bei den einzelnen Vertretern der Einheitslehre gewinnt der Pantheismus durch Betonung eines besonderen Elementes an dem über Geist und Körper hinaus gedachten Absoluten eine sehr verschiedene Färbung. Realistisch erscheint er da, wo die Einheit eines Stoffprinzips wie bei Herakleitos, oder die Einheit der Naturkraft, wie bei den Stoikern, hervorgehoben ist, idealistisch da, wo, wie bei Hegel, Gott die sich selbst entwickelnde Idee oder, wie bei Fichte, Gott die sittliche Weltordnung ist. Abstrakt erscheint er da, wo eine fast nur mit negativen Prädikaten ausgestattete Einheit wie bei den Eleaten gesetzt ist, konkret da, wo Gott als das Allpersönliche in den Geistern gedacht wird. (Vgl. Weisenborn, Vorlesungen über den Pantheismus und Theismus. 1859. Frz. Hoffmann, Theismus und Pantheismus. 1861.) Der Pantheismus, welcher innige Religiosität keineswegs ausschließt, wie dies z.B. die indische Religion beweist, ist eine weite und hohe poetische Weltanschauung, die etwas tief Beruhigendes an sich hat; aber wir befinden uns meist außerhalb der Wissenschaft und im Reiche der Phantasie, wenn pantheistische Gedanken unser Gemüt erfüllen. Wir finden ihn in allen Zeiten vor. Die Eleaten vertraten einen abstrakten Pantheismus (Xenophanês de prôtos toutôn henisas eis ton holon ouranon apoblepsas to hen einai phêsi ton theon. Arist. Met. I, 5, p. 986 b 21), indem sie nur dem einen Sein Existenz zuschrieben; Herakleitos (um 500 v. Chr.) sah in dem All ein göttliches Urfeuer. Auch die Stoiker legten dem Göttlichen als Substrat das Feuer unter. Andere war der neuplatonische Pantheismus beschaffen, der die bunte Erscheinungswelt aus dem einen Gott durch Emanation ableitete, sei es, wie bei Plotinos und Proklos, in der Form spekulativer Entwicklungen, sei es, wie bei Jamblichos, vermischt mit dämonischen Phantastereien. Im Mittelalter tritt der Pantheismus nur vereinzelt auf, entweder im Anschluß an Plotinos, bei Scotus Erigena, oder an Averroes, bei David v. Dinanto. Das erwachende Naturstudium des 16. Jahrhunderts rief eine Art von Schwärmerei für die mit Gott identifizierte Natur hervor (Vanini, Campanella, Giordano Bruno). Mehr panentheistisch als pantheistisch war die Lehre Malebranches (1638-1715), dem Gott als der Sitz der Geister erschien. Der nüchternste und konsequenteste Pantheist ist Spinoza (1632-1674), dem das All „deus sive natura“ war; er verschmäht jeden poetischen Reiz, jede bestechende Rhetorik. Nachdem er lange Zeit mehr verketzert als studiert war, haben sich Herder, Goethe und die neueren Philosophen nach Kant mehr oder weniger an ihn angeschlossen, namentlich Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Fechner. Bekannt gemacht hat ihn zuerst durch seine Polemik Fr. Jacobi (1743 bis 1819).
Die Lehre E. v. Hartmanns (1842-1906) als Pantheismus zu bezeichnen, ist unzulässig. Pantheismus kann vernünftigerweise nur da gesucht werden, wo Gott nicht in das Gegenteil verkehrt wird. Bei v. Hartmann ist aber das Absolute vernunftloser Wille und ohnmächtige logische Idee, und der Hartmannsche Pessimismus fordert als Endresultat die Aufhebung des Daseins. Die durch Verbindung von Christentum und Buddhismus geschaffene Zukunftsreligion Hartmanns, die er als konkreten Monismus bezeichnet, hat mit dem Pantheismus nur den Gedanken der Einheit des (Unbewußten) Absoluten gemeinsam.
Gegen den Pantheismus richtet sich außer den Bedenken, die jede Identitätsphilosophie (s. d.) erweckt, der Einwand, daß es für ihn fast unmöglich ist, dem Individuum gerecht zu werden, daß die menschliche Persönlichkeit mit ihrem Selbstbewußtsein und ihrer Selbstbestimmung unerklärlich wird, und daß ihm die Erklärung des Übels und des Bösen kaum ohne Gewaltsamkeiten gelingt. Vgl. Pansatanismus. Jaesche, der Panth. nach seinen Hauptformen. Berlin 1826. Schuler, der Pantheismus. Würzburg 1884. Eucken, Geistige Strömungen der Gegenwart. Leipzig 1904. S. 256 ff., 378 ff.