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Phrenologie

Phrenologie (von gr. phrên = Geist, Plural phrenes, und logos = Lehre) heißt die schon von Platon und Aristoteles angedeutete, von Gall (1758 -1828) und von Spurzheim (1776 bis 1832) begründete Vergleichung der geistigen Kräfte von Menschen und Tieren mit deren Schädelformein (daher auch Schädellehre, Kranioskopie, Kraniologie). Voraussetzung der Phrenologie ist die Annahme, daß das Gehirn Organ der geistigen Kräfte sei und daß ein durchgehender Parallelismus zwischen Gehirn und Seelenleben bestehe, ferner die Zurückführbarkeit des Seelenlebens auf bestimmte Seelenvermögen und die anatomisch-physiologische Kongruenz dieser Vermögen mit lokal abgegrenzten Regionen der äußeren Schädelwand. Als Beweis dafür wird angeführt, daß die Bildung des Gehirns und die Mannigfaltigkeit seiner Teile mit der Stufenfolge der Tiere zunimmt, daß die Gehirnteile mit der Entwicklung der betreffenden Fähigkeiten hervortreten, und daß geistige Anstrengung nur den betreffenden Teil ermüdet. Ferner soll die Hirnbildung der Geschlechter entsprechend ihrer verschiedenen geistigen Begabung verschieden sein. Die scheinbaren Widersprüche der verschiedenen Triebe, die Erscheinungen des Schlafes, Traumes und Somnambulismus sollen beweisen, daß in verschiedenen Hirnteilen Verschiedenes produziert wird. Also stehe die Stärke jener Seelenvermögen, deren die Phrenologie 35 annimmt, in gleichen Verhältnissen zur räumlichen Entwicklung der betreffenden Hirnteile, was durch Betastung des Schädels festgestellt werden könne. – Die Phrenologie deckt sich in dem Gedanken der Lokalisation einzelner Hirnfähigkeiten mit den Bestrebungen der neueren exakten Physiologie. Aber gegen die Art, wie sie ihre Theorie ausgeführt hat, spricht, daß die Seelenvermögen gar nicht gegeneinander so isoliert sind, wie Gall dies annahm, und daß wohl die Hirnpartien ungleichartig an den einzelnen psychischen Funktionen beteiligt sind, wir aber bisher doch nicht in der Lage sind, dies bis ins einzelste nachzuweisen. Gall selbst hat auch fast kein Vermögen richtig lokalisiert. Ferner werden auch in der Phrenologie die inneren Hirnteile zu sehr gegen die äußeren herabgesetzt. Die bloße äußere Erhöhung derselben genügt nicht zur Erklärung erhöhter Funktion, die innere Struktur und chemische Beschaffenheit kommen auch in Betracht. Die Aufstellung von 30-35 Vermögen ist auch zu schematisch; ihre Zahl läßt sich verringern oder vermehren, denn ihre Einteilung und Benennung ist willkürlich. Die Vermögenstheorie ist in der neuen Psychologie ganz aufgegeben. Die Resultate der Phrenologie sind daher unbefriedigend. So fand Gall bei Blumauer ebensoviel idealen Sinn als bei Schiller, an Raphaels Schädel wenig Farbensinn, beim Storch ebensoviel Zerstörungssinn als beim Tiger! Vgl. Meier, die Phrenologie vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet. 1844. Combe, System of Phrenology. 5. Aufl. Lond. 1843. Deutsch Braunschw. 1833. Scheve, Phrenologische Bilder. 3. Aufl. Leipzig 1874. Derselbe, Katechism. d. Phr. Lpz. 7. Aufl. 1884.